NPD-Niedersachsen - Prozesse der Radikalisierung

Niedersachsen

„Von der Weser bis zur Elbe, von dem Harz bis an das Meer, stehen Niedersachsens Söhne, eine feste Burg und Wehr“ - So einträchtig vereint sah zumindest der Verfasser des „Niedersachsenliedes“ das Geblüt im Norden. Doch an diesem in der volkstümlichen Folklore beschworenen Einheitsgefühl scheitert nun ausgerechnet der Landesverband der niedersächsischen NPD.

Die parteipolitische Vertretung von Neonazis scheint in Niedersachsen kein leichtes Unterfangen zu sein. Hier im Stammland der NPD, wo die neonazistische Partei dereinst begründet wurde, brodeln seit langem innerparteiliche Fraktions- und Richtungskämpfe. Ein Kräftemessen zwischen radikalen Hardlinern und militanten NS-Fanatikern auf der einen Seite und einem sich „realpolitisch“ gebenden Flügel auf der anderen. In diesem nunmehr seit Jahren schwelenden Konflikt geht um nicht mehr oder weniger als um die zukünftige Ausrichtung der Partei:

ein Machtkampf, der beileibe nicht auf Niedersachsen beschränkt ist. Ähnlich gelagerte Konflikte finden sich auch auf Bundesebene wieder. Zuletzt konnte hier der gemäßigtere, „realpolitische Flügel“ erfolgreich Boden gut machen. Dessen Vertreter Holger Apfel konnte jüngst zum neuen NPD-Bundesvorsitzenden avancieren und in einer Kampfabstimmung den langjährigen Parteistrategen Udo Voigt entmachten. Holger Apfel steht dabei stellvertretend für eine neue, junge Generation von NPD- Berufspolitiker_innen: eine Generation, die die NPD in eine moderne Wahlpartei transformieren möchte.

Statt mit NS-Nostalgie sollen nunmehr mit einem „bürgernahen, zukunftsorientierten Nationalismus“ breitere Wählerschichten angesprochen werden. Der neuen NPD-Führungsriege geht es dabei in erster Linie um ein moderates Erscheinungsbild – nicht nur unter dem Eindruck eines drohenden Verbotsverfahrens. Man möchte weg vom Bild der ewigen „Nazipartei“ und plumper „Blut und Boden-Ideologie“ hin zu einem populistisch vorgetragenem Sozial-Rassismus und einer vermeintlich wählbareren Alternative im Parteiengefüge. Mit dem nebulös gehaltenem Kampfbegriff von "seriöser Radikalität" und dem Image vom "Anwalt des kleinen Mannes" sollen die Chancen in kommenden Wahlkämpfen erhöht und noch die letzten Stammtisch-Wähler_innen mobilisiert werden.


Pack schlägt sich, Pack verträgt sich?

Dass solche Umbrüche nicht immer lautlos über die Bühne gehen sondern stattdessen von allerlei Gepolter und Scheppern begleitet sein können, zeigt sich anschaulich am Beispiel der NPD- Niedersachsen: einem Landesverband, der seit Jahren von innerparteilichen Richtungskämpfen geprägt wird. Zuletzt forderten die parteiinternen Konflikte eine Reihe prominenter Opfer. Im Februar 2012, nur wenige Monate nach seiner Amtsübernahme, verkündete der frisch gebackene Landesvorsitzende Christian Berisha bereis seinen Rücktritt vom Posten des ranghöchsten NPD- Vertreters in Niedersachsen.

Wie sich zeigen sollte, verließ nicht nur Berisha die Brücke. Wenige Tage später rollten im Lager der niedersächsischen NPD weitere Köpfe. Mit der bisherigen Pressesprecherin Ricarda Riefling sowie dem mit finanzielle Angelegenheiten betrauten Landesschatzmeister Denny Naterski traten weitere Führungspersonen von ihren Ämtern im Landesvorstand zurück. Einige Monate zuvor im Oktober 2011 hatte die NPD-Niedersachsen mit dem relativ geräuschlosen Rücktritt von Malte Holzer bereits ihren langjährigen Landesgeschäftsführer verloren. Holzer verdingt sich zukünftig als neuer Pressesprecher der NPD-Fraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern.

Die derzeitigen Umbrüche innerhalb des Landesverbandes bilden allerdings nur einen vorläufigen Höhepunkt, einen vorerst letzten Akt auf der Bühne neonazistischer Parteipolitik in Niedersachsen. Seit 2006/2007 ringen unterschiedliche Fraktionen im niedersächsischen Landesverband um die Vormachtstellung: ein Ringen, welches im Gegensatz zur NPD-Bundesebene, nun der radikale NS-Flügel für sich gewinnen konnte. Zum Verständnis lohnt der Blick zurück.

Auf- und Abbruchstimmung in der NPD-Niedersachsen



Neonazis und NPD in Niedersachsen Entzündet hatte sich der bis heute andauernde Konflikt am Führungsstil des damaligen Landesvorsitzenden Ulrich Eigenfeld aus Oldenburg. Der von militanten Neonazis als „knallharter Apparatschik und Betonkopf“ verschrieene Eigenfeld galt als eifriger Kritiker einer Zusammenarbeit von „Freien Kameradschaften“ und NPD. Als langjähriger Landesvorsitzender schreckte Ulrich Eigenfeld auch nicht vor Redeverboten gegen allzu radikale Vertreter parteiunabhängiger Neonazis bei NPD-Parteiveranstaltungen zurück.

Mit seinem Vorgehen schaffte sich Eigenfeld nicht nur Freunde. Ganz im Gegenteil, es erwuchsen ihm mächtige Feinde. Im Frühjahr 2007 formierte sich dann eine bunt zusammengewürfelte Phalanx aus militanten Neonazis und reformorientierten NPD- Mitgliedern um Andreas Molau, dem damaligen Vorsitzenden der „Gesellschaft für freie Publizistik“ (GfP). Ihr gemeinsames und nicht minder ehrgeiziges Ziel: die Entmachtung Eigenfelds: ein Vorhaben, welches zwar nicht in Gänze gelang, in der Folge aber zu einer Stärkung des radikalen NS-Flügels innerhalb der niedersächsischen NPD führte.

Auf Grund der starken Hausmacht des Landesvorsitzenden Eigenfeld verzichtete Molau allerdings auf eine direkte Konfrontation, ließ sich stattdessen während des NPD- Landesparteitages 2007 als Stellvertreter Eigenfelds inthronisieren. Doch der Anfang war gemacht.

Dass sich die fragilen Machtverhältnisse im Landesverband mit dieser Personalentscheidung entscheidend verschoben hatten, offenbarte sich nicht zuletzt durch die Aufstellung von Molau als NPD- Spitzendkandidat während der Landtagswahl 2008: eine Machtverschiebung, die für die NPD- Niedersachsen den Beginn einer Zäsur markierte. Angeschlagen durch die fortwährenden Konflikte mit der militanten Neonaziszene konnte Eigenfeld der Umbruchstimmung innerhalb der niedersächsischen NPD in den darauf folgenden Monaten nur wenig entgegen setzen. Molau hingegen nutzte seinerseits das entstandene Machtvakuum. Er verstand es, den niedersächsischen Landesverband für die Strukturen militanter Neonazis zu öffnen und letztlich seinen Reformkurs in Gang zu setzen.


Der (gescheiterte) NPD-Zauberlehrling Andreas Molau

Wie der frisch gebackene NPD- Bundesvorsitzende Holger Apfel verfolgte bereits Andreas Molau, der sich selbst als Hoffnungsträger, ja Lichtbringer vermarktete, die Vision einer modernen und moderat auftretenden Wahlpartei. In der militanten Neonaziszene sah der stellvertretende Landesvorsitzende dabei einen verlässlichen und leicht zu kontrollierenden Kooperationspartner – und nicht zuletzt nützliche Wahlkampfhelfer_innen: ein Trugschluss, wie es sich wenige Monate später schmerzlich zeigen sollte. Rückblickend drängt sich bei der Person Andreas Molau der Vergleich mit Goethes Zauberlehrling auf, der der Geister, die er rief, nicht mehr Herr wurde.

So konnte Andreas Molau in den ersten Monaten seiner Amtszeit mehrere führende Funktionäre der niedersächsischen Kameradschaftszene für ein verstärktes Engagement in der NPD gewinnen. Durch die Aussicht auf Posten, finanzielle Zuwendungen und kommende Wahlerfolge ergriffen in der Folge selbst eingefleischte Parteigegner das Banner der NPD.

Bild aus besseren Zeiten: Andreas Molau

Andreas Molau

Und nicht nur die: auch die Medien widmeten der Partei verstärkt ihr Augenmerk. Sie förderten das übersprudelnde Selbstbewusstsein noch, das sich in der niedersächsischen NPD angesichts des anstehenden Landtagswahl 2008 verbreitete. Dort erging man sich bereits in Superlativen. Wahlergebnisse im zweistelligen Bereich wurden als ernstzunehmende Prognosen gehandelt. Der Wahlkampfauftakt in der Kongresshalle von Hannover mutierte schließlich zum Medienereignis, in welchem sich die „neue“ NPD- Niedersachsen wie im Rausch selbst feierte. Doch Begeisterung mag zwar ein guter Treibstoff sein, allerdings verbrennt er relativ schnell.

So auch bei der NPD- Niedersachsen. Die Erwartungen und Hoffnungen wurden rasch enttäuscht. Nach einem für die NPD-Niedersachsen als desolat empfundenen Abschneiden bei der niedersächsischen Landtagswahl begann der rasante Abstieg des einstigen NPD-Hoffnungsträgers. Der stetig angewachsene Flügel von NS-Fanatikern, militanten Hardlinern und radikalen Neonazis versagte dem „Kameraden Molau“ kurzerhand die Gefolgschaft.

Für Andreas Molau, der zwar das Bündnis mit den „Freien Kameradschaften“ suchte, letztlich aber immer dem „moderaten Flügel“ zuzurechnen war, war dies der Anfang vom Ende seiner bisherigen NPD-Karriere. Das Scheitern seines reformorientierten und „moderaten“ Kurses stärkte in der Folgezeit die militanten Kräfte innerhalb des Landesverbandes. Nach deren Sichtweise sei das „weichgespülte, demokratische Getue“ der eigentliche Grund für die kurz zuvor erfolgte Niederlage. Für Molau war danach in der NPD-Niedersachsen kein Platz mehr. Beschimpft als „Demokrat“ und „Achtel-Jude“ und bedroht von körperlichen Angriffen der eigenen „Kameraden“ kehrte Molau eineinhalb Jahre später der NPD vollends den Rücken und trat aus der Partei aus.


Andreas Molau und Ulrich Eigenfeld

Aus die Maus: Andreas Molau und Ulrich Eigenfeld

Ein neues (altes) Fundament in Niedersachsen ...

Doch nicht nur Andreas Molau musste sich dem radikalen Flügel innerhalb der niedersächsischen NPD geschlagen geben. Auch für den eigentlichen NPD-Landesvorsitzenden Ulrich Eigenfeld wurde die Luft in der Folgezeit merklich dünner. Im April 2009 wurde dann schließlich mit Adolf Dammann ein neuer Landesvorsitzender gewählt und so die Ära Eigenfeld endgültig beendet.

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger gehört der 1939 geborene Adolf Dammann zu den Hardlinern der niedersächsischen NPD mit besten Verbindungen in die parteiunabhängige Neonaziszene. Der langjährige Vorsitzende des einflussreichen NPD-Unterbezirks Stade machte in der Vergangenheit aus seiner Militanz keinen Hehl. „Das System wird durch die Straße abgewählt, nicht durch die Parlamente,“ lautet sein diesbezügliches Credo. Solcherlei Verbalradikalismus führte in der Vergangenheit zu wohlwollenden Sympathiebekundungen aus Kreisen der parteiunabhängigen Neonaziszene, welche die Aktivitäten des „alten Mannes“ in der Vergangenheit tatkräftig und personell unterstützten.

Jedoch war Adolf Dammann ein Landesvorsitzender auf Zeit. Angesichts seines fortgeschrittenen Alters verkündete der ehemalige Direktor einer Sparkasse, derzuvor bereits als politischer Organisationsleiter im NPD-Landesvorstand tätig war, umgehend, dass er nicht die Absicht hege dem Landesverband für einen längeren Zeitraum vorzustehen. Er plane keineswegs "eine neue Ära zu begründen".

Er sah sich als Übergangskandidat, um jüngeren Aktivisten den Weg an die niedersächsische Parteispitze zu ebnen. Diese von Dammann eingeleitete Phase des Übergangs nutzten die militanten Elemente im Landesverband, um ihre Vormachtsstellung zu festigen und geeignete Kandidat_innen für den kommenden Landesvorstand aufzubauen.

Adolf Dammann: Landesvorsitzender der NPD Niedersachsen von 2009 bis 2011

Adolf Dammann

Insbesondere der mächtige "NPD-Unterbezirk Heide - Wendland" entwickelte sich in dieser Zeit zu einem Sammelbecken von Vertreter_Innen der etwas radikaleren Schrittweise. Aktivist_Innen aus den Strukturen der militanten Neonazigruppen „Snevern-Jungs“, der "Kameradschaft Lüneburg / Sturm 16“ oder der „Freien Kräfte Munster“ wandelten den Unterbezirk letztlich zu ihrer neuen politischen Spielwiese um.

Aus diesem Unterbezirk stammt auch Christian Berisha, der im Mai 2011 die Nachfolge von Adolf Dammann als Landesvorsitzender antrat und das Ruder der NPD- Niedersachsen übernahm. Berisha konnte als Vertreter der „Unabhängigen Wählerliste Lüneburg / Bündnis Rechte“ (UWL), einer NPD-Tarnorganisation, bereits einige parlamentarische Erfolge vorweisen. Der langjährige Neonazi, der sich zuvor unter anderem im Umfeld der verbotenen „Wiking-Jugend“ sowie der im Jahr 2009 ebenfalls verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) bewegte, verstand es in der Vergangenheit als moderater Vertreter seiner Partei in Erscheinung zu treten. Doch der Schein trügt.

Bildmitte: Der NPD- Landesvorsitzende Christian Berisha im Gespräch mit der Polizei

Christian Berisha

Während Berisha gegenüber der Öffentlichkeit das Image des seriösen Geschäftsmannes pflegt, schlägt er abseits der öffentlichen Wahrnehmung andere Töne an. Unter dem Pseudonym „Christian von der Heide“ soll Bersiha bereits als Moderator des neonazistischen „Netzradio Germania“ in Erscheinung getreten sein. Seine Verbindung ins militante Neonazispektrum offenbart sich auch in seiner Rolle als Spendenbeauftragter der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ), einer Organisation, die im März 2009 durch das Bundesinnenministerium verboten wurde. Nach Auffassung der Bundesbehörden habe die HDJ, und somit auch Christian Berisha, ein „am Nationalsozialismus orientiertes Weltbild“ vertreten, welches die Organisation bereits an Kleinkinder weitergab.


Militante Strippenzieher der NPD- Niedersachsen

Mit seinen radikalen Ansichten stand Berisha im neu gewählten Landesvorstand keineswegs allein. Als Stellvertreter des Landesvorsitzenden wurden mit Manfred Börm und Matthias Behrens zwei weitere Hardliner in das höchste Gremium der niedersächsischen NPD bestellt: wie Berisha beide Vertreter des "NPD- Unterbezirks Heide - Wendland." Das ehemalige NPD- Bundesvorstandmitglied Manfred Börm gilt dabei als einer der politischen Ziehväter von Christian Berisha und als graue Eminenz, ja Hintergrundstratege, der niedersächsischen NPD.

Insbesondere die Personalie Manfred Börm verdient dabei einige Aufmerksamkeit. Gerade für jüngere Neonazis verkörpert Börm das Idealbild des Überzeugungstäters und „politischen Kämpfers“. Bereits in den 70er Jahren beteiligte sich der Bauunternehmer und ehemalige Unteroffizier der Bundeswehr an den Aktivitäten der rechtsterroristischen Neonazigruppe „Wehrsportgruppe Werwolf“. Die terroristische Vereinigung entstand zuvor im Umfeld der neonazistischen "Wiking- Jugend" (WJ) und wurde ursprünglich unter dem Namen "Wehrsportgruppe Theorie und Praxis" gegründet. Ziel war die Herausbildung von geeigneten "Kadern" für eine terroristische "Werwolf-Untergrundarmee."

Die Namensgebung bezog sich dabei auf das Werk "Werwolf - Winke für Jagdeinheiten", einem Ausbildungs- und Grundlagenbuch gemeinsam erstellt von Spezialisten der Wehrmacht und der Waffen-SS. Angesichts des allierten Vormarsches in den letzten Kriegsjahren 1944/45 sollte es als taktische Anleitung zum Klein- und Partisanenkrieg dienen. Durch einen Untergrundkampf und gezielte Sabotageakte in den rückwärtigen Gebieten der Alliierten sollte die Wehrmacht an der Front entlastet und Kollaboration mit dem Feind durch Anschläge verhindert werden.

Das Konzept sieht einen rücksichtslos geführten Guerilla-Krieg hinter den feindlichen Linien vor. Eine Ansprache von Joseph Goebbels, im März 1945 "Generalbevollmächtigter für den totalen Kriegseinsatz", fasst das Konzept folgendermaßen zusammen: Der "Werwolf, hält sich nicht an die Beschränkungen", die den regulären Streitkräften auferlegt sind. "Für die Bewegung sind jeder Bolschewist, jeder Brite und jeder Amerikaner auf deutschem Boden Freiwild. Wo immer wir eine Gelegenheit haben, ihr Leben auszulöschen, werden wir das mit Vergnügen und ohne Rücksicht auf unser eigenes Leben tun. [...] Haß ist unser Gebet und Rache unser Feldgeschrei. [...] Der Werwolf hält selbst Gericht und entscheidet über Leben und Tod."

Auf das Konto der "Wehrsportgruppe Werwolf" gingen Straftaten wie Raub, gefährliche Körperverletzung, bewaffneter Diebstahl sowie räuberische Erpressung, auch wenn das nur diejenigen Straftatbestände beschreibt, für die sich die Mitglieder des "Werwolfes" schließlich verantworten mussten.

So überfielen Mitglieder der Gruppierung am 01.12.1977 einen Kölner Gastwirt und verletzten diesen schwer. Einen Tag später schlug die Gruppe erneut zu und überfiel ebenfalls in Köln einen Waffenhändler. Bei dem Überfall konnten Mitglieder der Gruppe rund 60.000 D-Mark erbeuten. Keine zwei Wochen später erfolgte ein weiterer Überfall. Diesmal traf es ein Munitionsdepot der Bundeswehr in Reinbek.

Die Serie setzte sich fort. Am 19.12.1977 überfielen Mitglieder des "Werwolfes" eine Zweigstelle der Hamburger Sparkasse. Es konnten etwa 66.000 D-Mark erbeutet werden. Einen Monat später, am 31. Januar 1978, überfielen Mitglieder der Wehrsportgruppe eine Gruppe von NATO- Soldaten auf dem Truppenübungsplatz in Bergen-Hohne.

Am 05.02.1978 folgte dann ein Überfall auf ein Biwaklager von NATO-Soldaten. Erneut traf es dabei den Truppenübungsplatz in Bergen-Hohne. Hierbei wurden zwei Maschinenpistolen und Munition erbeutet, ein NATO-Soldat wurde verletzt. Darüber hinaus sollen Mitglieder der Gruppierung Bombenanschläge sowie die gewaltsame Befreiung des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß aus alliierter Kriegsgefangenschaft geplant haben. Für seine Beteiligung an einzelnen Aktivitäten der Gruppierung wurde Börm 1979 zu sieben Jahren Freiheitsentzug verurteilt.

Manfred Börm

Bild: Der NPD- Politiker Manfred Börm

Nach seiner Haftentlassung führte Manfred Börm seine bisherige politische Arbeit konsequent weiter. So engagierte sich Börm, nachdem er seinen Wohnsitz von Schleswig-Holstein nach Niedersachsen verlegt hatte, abermals in den Strukturen der Wiking- Jugend. Wie zuvor stand Börm der Sinn nach Höherem. Während er vor seinem Haftantritt innerhalb der "Wiking- Jugend" als stellvertretender "Gauführer" (Landesvorsitzender) des "Gau Nordmark" (Schleswig-Holstein) für Furore sorgte, übernahm Börm nun die Angelegenheiten des "Gau Niedersachsen/Bremen", und damit den Aufgabenbereich des bisherigen niedersächsischen "Gauführers" Klaus Hoffmann.

In diese Phase fällt auch Börms verstärktes Engagement für Ordnerdienste. So gehörte Börm als Leiter einer WJ-Schutztruppe zu den Anführern eines gewaltsamen Angriffs auf Medienvertreter, die ein Zeltlager der "Wiking- Jugend" im Landkreis Celle dokumentieren wollten. Diese Arbeit setzte Börm auch nach dem Verbot der "Wiking- Jugend" im Jahre 1994 fort. Vier Jahre später verlegte Manfred Börm seinen politischen Arbeitsschwerpunkt auf die NPD, wo er schnell in der parteieigenen Hierarchie emporstieg. Als Leiter des "NPD- Bundesordnerdienstes"(OD) konnte Börm sogar in den Bundesvorstand der neonazistischen Partei aufsteigen und übernahm dort das "Referat Ordnung".

Unter der Ägide des 1950 geborenen Neonazi- Anführers entwickelte sich der parteieigene Ordnerdienst schnell zu einer gewaltaffinen, schlagkräftigen "Schutztruppe." Deren Mitglieder, in konspirativ durchgeführten Seminaren und Zeltlagern hinreichend geschult, gelten als extrem gewaltbereit. Immer wieder beteiligten sich diese "Ordnungskräfte" an Übergriffen auf Gegendemonstrant_innen und Medienvertreter_innen. Für ein gewisses überregionales Aufsehen sorgte zuletzt ein Auftritt des NPD eigenen Ordnungsfaktors im Dezember 2004. Während einer NPD- Wahlkampfveranstaltung im schleswig-holsteinischen Steinburg attackierten Neonazi-Ordnerkräfte anwesende Gegendemonstrat_innen mit Tritten, Schlägen und Steinwürfen. Unter den Steinewerfern befand sich auch das damalige NPD- Bundesvorstandsmitglied Manfred Börm.

Neben dem "NPD- Bundesordnerdienst" widmete sich Börm vor allem der neonazistischer Kindererziehung. Auf Zeltlagern der "Heimattreuen Deutschen Jugend" (HDJ) war der ehemalige "Wiking-Jugend Gauführer" ein gern gesehener Gast. Die Verbundenheit der Familie Börm mit der neonazistischen HDJ war immens. So diente das Anwesen der Familie Börm in niedersächsischen Handorf unter anderem als HDJ- Materiallager. Auch die Kinder Börms wurden in die Aktivitäten des notorischen Neonazis eingebunden, übernahmen Führungsaufgaben innerhalb der HDJ. Mit Alf Helmut Börm, einem Sohn des heutigen Bauunternehmers, stellte Familie Börm gar den Einheitsführer der "HDJ-Einheit Niedersachsen".

Bis zum Verbot der "Heimattreuen Deutschen Jugend" nutzte Manfred Börm die Strukturen der HDJ- Vereinsorganisation darüber hinaus als Rekrutierungsfeld für Aktivisten des "NPD- Bundesordnerdienstes." Seit der Übernahme des "Referat Ordnung" durch Manfred Börm traten enge personelle Verflechtungen zwischen Ordnerdienst und HDJ zu Tage. So wirkten etliche Mitglieder der HDJ- Einheiten "Niedersachsen", "Hermannsland" (NRW), "Mecklenburg und Pommern", "Hessen" sowie der "Einheit Franken" aktiv in den Strukturen des Bundesordnerdienstes: ein Vorgehen, welches Börm auch nach dem Verbot der HDJ fortsetzte, nachdem sich die "IG Fahrt und Lager" - eine Unterstruktur der NPD Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten"- zu einem Sammelbecken völkischer Jugendarbeit und somit auch zum bevorzugten Rekrutierungsfeld für den NPD- Bundesordnerdienst entwickeln konnte.

Kalter Putsch im niedersächsischen Landesverband

Neonazis und NPD in Niedersachsen Dass sich Manfred Börm neben seinen hinreichenden Aktivitäten im militanten Neonazi-Untergrund auch der neonazistischen Tagespolitik widmet, zeigen die jüngsten Entwicklungen im Landesverband der NPD- Niedersachsen. Nach dem überraschenden Rücktritt des bisherigen Vorsitzenden Christian Berisha im Februar diesen Jahres, übernahm nun Manfred Börm als "kommisarischer Landesvorsitzender" das Steuerrad.

Als Begründung für seinen Rücktritt benannte Berisha unter andere persönliche Angriffe gegen seine Person: Angriffe aus der eigenen Partei, denen er sich nicht weiter aussetzen wolle. Dies sind angesichts seiner politischen Laufbahn durchaus überraschende Einlassungen. Galt doch Berisha, nicht zuletzt auf Grund jahrelanger parlamentarischer Erfahrung, als einer der wenigen Polit-Profis seiner Partei in Niedersachsen. Schnell keimten innerhalb der Neonaziszene Spekulationen über die eigentlichen, die wahren Hintergründe des Rücktritts auf: Spekulationen, die darin gipfelten, Berisha als "verdienten Mitarbeiter des Verfassungsschutzes" zu verdächtigen, der auf Grund eines drohenden NPD-Verbotsverfahrens aus seiner Führungsposition abgezogen wurde- eine durchaus realitätsnahe Vermutung. Die Hintergründe seines Rücktritts liegen szene-internen Angaben zufolge allerdings woanders begraben.

Den eigentlichen Grund für den Rücktritt von Berisha bildete ein Machtkampf innerhalb der niedersächsischen Führungsebene: letztlich ein kalter Putsch, der von Berisha mitgetragen wurde. Vertreter_innen des radikalen NS-Flügels konnten in Folge dieser Amtsniederlegung sämtliche relevanten Schlüsselpositionen im NPD-Landesvorstand übernehmen. Der Rücktrittist somit ein Lehrstück des politischen Machiavellismus.

Mit der Legende, dass "parteiinterne Kräfte" und ihre "persönlichen Angriffe gegen die Landesführung" für den Rücktritt Berishas verantwortlich seien, stand ein willkommener Vorwand im Raum: ein Vorwand für den neuen "kommisarischen Vorstand", um schnell und konsequent zu handeln. Ein Vorwand, der eine „Säuberung“ der Landesspitze von „reaktionären Kräften“ erlaubte, wie die parteiinterne Kritik dieses Vorgehen bezeichnet. Als solche "Kräfte" galten nach Auffassung des „Kommissarischen Vorstands“ alle „gemäßigten und demokratischen Subjekte“ innerhalb der NPD-Niedersachsen: „Subjekte“ wie die bisherigen Landesvorstandmitglieder Ricarda Riefling und Denny Naterski, die beide umgehend als treibende Kräfte hinter der ominösen Intrige gegen Christian Berisha ausgemacht wurden.

Kein Zufall: Riefling wie auch Naterski sind Vertreter eben jenes NPD-Flügels, der die politische Linie des neuen Bundesvorsitzenden Holger Apfel teilt und danach trachtet die NPD in eine „moderne Wahlpartei“ umzuformen- ein Projekt also, das von militanten Neonazis mit nur wenig Gegenliebe bedacht wird und nun- zumindest in Niedersachsen- in weite Ferne gerückt sein dürfte. Bereits wenige Stunden nach dem offiziellen Rücktritt von Christian Berisha wurde Ricarda Riefling und Denny Naterski der Rücktritt aus dem Landesvorstand nahegelegt: eine Forderung, die letztlich von Erfolg gekrönt wurde. Die NPD-Niedersachsen konnte schließlich die Amtsniederlegung und den „freiwilligen Rücktritt“ von Riefling und Naterski verkünden.

Die faktische wie ebenso praktische Übernahme des Landesverbandes erfolgte unter maßgeblicher Beteiligung und Planung des „NPD-Unterbezirkes Heide-Wendland“, jenem Unterbezirk, dem auch Christian Berisha angehört. Sein Rücktritt: laut parteiinterner Quellen ein politischer Schachzug, ein Vorwand, um vollendete Tatsachen im Landesverband zu schaffen.

NPD Niedersachsen

Diese Richtung wurde bereits nach dem Rücktritt von Malte Holzer vom Amt des NPD- Landesgeschäftsführers im Oktober 2011 vorgezeichnet. Als Nachfolgerin wurde Jessika Keding, vormals stellvertretende Vorsitzende des NPD Unterbezirkes Heide-Wendland“, präsentiert. Neben ihrem Engagement für die NPD-Niedersachsen agiert die Diplom-Sozialpädagogin im Kreise der neonazistischen Kameradschaftsgruppe "Snevern Jungs" sowie als Führungsperson der völkisch- neonazistischen „Düütschen Deerns“, einer Gruppierung, die sich in "bester Tradition" von "Hitler- Jugend" (HJ) und „Bund Deutscher Mädel“ (BDM) wähnt.

Ihr zur Seite steht Matthias Behrens. Der Führungskader der neonazistischen Kameradschaftsgruppe „Snevern Jungs“ und zugleich Mitglied im „Unterbezirk Heide-Wendland“ bekleidet derzeit das Amt des stellvertretender NPD-Landesvorsitzenden. Unterstützung finden beide durch den militanten Neonazi Stefan Klingbeil - ebenso wie Keding und Behrens ein Mitglied des "UB Heide - Wendland" und ebenfalls im NPD- Landesvorstand vertreten. Klingbeil, der bereits als „Medienbeauftragter“ im niedersächsischen Landesvorstand vertreten war und nun den Aufgabenbereich des niedersächsischen „NPD-Schatzmeisters“ kommissarisch von Denny Naterski übernahm, gilt dabei als exrem gewaltbereit. Komplettiert wird der Einfluss des "Unterbezirkes Heide-Wendland" durch den neuen „kommisarischen Landesvorsitzenden“ Manfred Börm, der gleichzeitig als Vorsitzender des Unterbezirkes agiert.

Ricarda Rieflings Funktion als niedersächsische NPD-Pressesprecherin wurde schlussendlich von Patrick Kallweit, dem Vorsitzenden des "NPD- Kreisverbandes Goslar", kommissarisch übernommen. Die Bedeutung dieser Personalentscheidung dürfte allerdings gering sein. Kallweit gilt zwar als Verbindungsmann der NPD zu militanten Neonazis in der Harz-Region, wird aber dem gemäßigten Flügel im Landesverband zugerechnet. Da erscheint es konsequent, dass der Aufgabenbereich des Pressesprechers kurzerhand aus dem Landesvorstand gestrichen wurde und Kallweits Einfluss im Führungsgremium der NPD-Niedersachsen somit marginal bleibt. Böse Zungen aus Parteikreisen der NPD-Niedersachsen behaupten gar, die Qualifikation Kallweits für das Amt des Pressesprechers rühre "von seinem Rückgrat, in das man eine Hand stecken könne".

Im Landesvorstand verbleiben durfte hingegen Marco Borrmann. Bei dem langjährigen Neonazi handelt es sich um den derzeitigen Vorsitzenden des "NPD- Unterbezirks Göttingen" sowie des "NPD- Kreisverbandes Osterode". Als Aktivist der militanten "Kameradschaft Northeim" wird der NPD-Abgeordnete im Stadtrat von Herzberg ohnehin dem radikalsten Flügel seiner Partei zugerechnet.

Ebenfalls im Landesvorstand vertreten bleibt mit Friedrich Preuß der Vorsitzende des mitgliederreichen "NPD- Unterbezirkes Braunschweig". Der "langgediente Parteikamerad" gilt dabei weniger als Hardliner, vielmehr als konservativer Garant der Stabilität. Zumindest eignet sich Friedrich Preuß für die Aufrechterhaltung eines solchen Anscheins. Insbesondere bei älteren Parteimitgliedern genießt Preuß ein hohes Ansehen. Der 1943 geborene NPD-Politiker und gelernte Landmaschinenschlosser gehörte bereits den Landesvorständen unter Ulrich Eigenfeld und Adolf Dammann an, schaffte es zeitweise bis in den NPD- Bundesvorstand und dient der neuen Landesführung nun als "menschgewordener Beweis" politischer Konstanz.

Widerstand gegen die derzeitigen Radikalisierungsprozesse im Landesvorstand seien von Friedrich Preuß nicht zu erwarten, heißt es lapidar aus Parteikreisen. Als konservativer Vertreter der älteren Generation hege Friedrich Preuß keine großen Sympathien für die derzeitigen Umbrüche im Bundesvorstand. Dies gilt in besonderer Weise für die damit verbundenen Versuche der NPD ein moderates, ein modernes Erscheinungsbild zu verpassen.

Dass ein solcher Widerstand von der derzeitigen Landesführung nicht toleriert werden würde, offenbart sich auch trefflich durch eine der jüngsten Verlautbarungen des Landesvorstandes. "Personaldebatten bezüglich des Landesvorstandes wird es auf dem Mai-Parteitag nicht geben", ließ der Landesvorstand die Mitgliedern über die Internetseite des niedersächsischen Landesverbandes wissen. "Darauf verständigte sich der Vorstand einvernehmlich", so der Landesvorsitzende weiter. Zumindest aus Sicht des militanten NS-Flügels und radikaler Hardliner eine durchaus nachzu vollziehende Entscheidung.

NPD Niedersachsen
< >