„Melde dich jetzt freiwillig zum Vaterländischen Hilfsdienst und beteilige dich an der Reorganisation des Vaterlandes!“ So steht es auf Flugblättern und Postkarten einer neuen bundesweiten Gruppierung aus der Reichsbürgerszene, Interessenten sollen sich bei einer Dresdner bzw. einer Berliner Telefonnummer melden. Der „Vaterländische Hilfsdienst“ (VHD) orientiert sich dabei an einem Gesetz aus dem Ersten Weltkrieg, das Männer im Alter zwischen dem 17. und 60. Lebensjahr, die nicht als Soldaten dienten, zur Arbeit in kriegswichtigen Betrieben verpflichtete.
Weil im Glauben der Reichsbürger der Kriegszustand niemals aufgehoben und Wilhelm II. als Deutscher Kaiser niemals abgesetzt worden sein soll, sollen damalige Gesetze bis heute gelten. Im vergangenen Jahr wurde deshalb der VHD neu aufgebaut. Mit ihm soll das Kaiserreich, im Wording der Reichsbürger der „Ewige Bund“, wieder handlungsfähig gemacht werden.
Inzwischen haben sich im gesamten Bundesgebiet mindestens 13 VHD-Regionalgruppen, sogenannte „Armeekorps-Bezirke“, gegründet. Auf Gruppenfotos dieser „Armeekorps-Bezirke“ sind jeweils zwischen 10 und 30 Erwachsene zu sehen, die trotz Corona-Pandemie weder Maske tragen noch Abstände einhalten.
Welche Aufgaben die VHD-Mitglieder übernehmen sollen, ist auf einer Website beschrieben: Sie können von der Leitung des VHD „in allen Bereichen des staatlichen Lebens und Wirkens eingesetzt werden: In Wirtschaft und Produktion, in Landwirtschaft und Verwaltung, selbst als Polizeivollstreckungsbeamte – überall, wo Bedarf besteht.“
Was passieren kann, wenn Reichsbürger hoheitliche Aufgaben ausüben wollen, zeigte sich 2012 im sächsischen Bärwalde. Damals versuchten uniformierte Reichsbürger des „Deutschen Polizei Hilfswerks“ einen Gerichtsvollzieher zu fesseln und gefangen zu nehmen. 13 Personen wurden daraufhin wegen gemeinschaftlicher Freiheitsberaubung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und dem Missbrauch von Amtszeichen zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt.
Ob VHD-Mitglieder bereits versucht haben, ihre Vorstellung von Staatsgewalt auszuüben, ist nicht bekannt. Veröffentlichte Aktivitäten beschränken sich bisher auf Treffen mit Kaffee und Kuchen, Vorträge über die Illegitimität der Bundesrepublik Deutschland und dem Aufstellen von Grablichtern mit VHD-Emblem zum Volkstrauertag.
Ein bundesweites Treffen Anfang August beschäftigte die Polizei. Am Kaiser-Wilhelm-Denkmal stellten die Beamten etwa 20 Personen mit verschiedenen Flaggen, darunter der Reichsflagge, sowie einem Banner mit der Aufschrift „Deutschland kommt zu sich – komm einfach mit“ fest. Die Polizei löste die nicht angemeldete Versammlung auf. Bei den Teilnehmern, die aus mehreren Bundesländern angereist waren, wurden ein Messer, ein Tierabwehrspray und Betäubungsmittel gefunden.
@Antifa_Info_Bi in Porta Westfalica ist soeben diese Truppe in den Wald Richtung Kaiser Wilhelm Denkmal gestartet. Kennzeichen aus ganz Deutschland. Sieht stark nach reichsbürgern aus. pic.twitter.com/hjLxyVlo59
— Beetz (@Beetz18) August 1, 2020
Ganz oben in der Hierarchie des VHD steht ein „Generaldirektor“, das Pseudoamt bekleidet aktuell ein Mann, der als „Sascha“ Vorträge und Reden hält. In einer seiner Reden, die er bei einer Demonstration am 19. November 2019 in Berlin gehalten hatte, sagte er bewundernd über Otto von Bismarck: „Er war der Mann, der erkannt hat, wo die Gefahr der Demokratie liegt und er war der erste, der sie bekämpft hat.“
„Sascha“ ist, so steht es auf der Website des VHD, Gründer weiterer Strukturen in der Reichsbürgerszene, darunter „Bismarcks Erben“ und das daran angeschlossene „Preußische Institut“. Dieses wird als Struktur von Reichsbürgern und Selbstverwaltern im Bericht des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern für 2019 erwähnt.
Neben den „Armeekorps-Bezirken“ sollen Fachkollegien Gesetze aus dem Kaiserreich recherchieren. Dazu gehören zum Beispiel die Kollegien „Traditionelles Handwerk“ und „Manneszucht“, aber auch „Polizeirecht“, „Militärverwaltung“ und „Staatsanwaltschaft“. Auf der Grundlage der Arbeit dieser Kollegien soll das Kaiserreich „reorganisiert“ - und damit in letzter Konsequenz die Bundesrepublik Deutschland abgeschafft werden.
NBC-Reporter Chuck Todd fand, noch während die Situation auf dem Capitol Hill eskalierte, klare Worte. Er nannte die gewalttätigen Demonstranten „Terroristen“. Die Bilder, die gestern Abend um die Welt gingen, sind eindeutig. Trump-Anhänger die das Kapitolgebäude belagern, überforderte Sicherheitskräfte, Journalisten, die gewaltsam vertrieben und deren Ausrüstung zerstört wird. Berichte von Todesopfern folgten und das ganze Ausmaß der Gewalt trat zutage.
Einigen ist das aber anscheinend zu viel: Statt mit in den digitalen Applaus einzustimmen, suchte Markus Haintz, Mitorganisator und Anwalt von „Querdenken 711“, nach anderen Erklärungen für die Eskalation. Auf der Messenger-Plattform Telegram verbreitet er Bilder, die belegen sollen, dass sich im Inneren des Kapitols linke Aktivisten aufhielten. Die Aktion sei also vom politischen Gegner inszeniert, eine sogenannte „false flag“-Operation. Um das zu belegen, greifen Haintz und andere nach Strohhalmen, führen etwa zu neuwertige MAGA-Basecaps als Beweise an oder wollen wie Ex-Schlagerstar Michael Wendler die vermeintlichen „Antifa-Aktivisten“ an ihren Rucksäcken erkannt haben.
Haintz und seine Wegbegleiter von „Querdenken 711“ dürften die gewalttätigen Szene nur ungern sehen, schließlich versuchen sie seit Anfang der Corona-Proteste im Frühling 2020 ein friedliches und gemäßigtes Bild ihrer Bewegung nach außen zu zeichnen. Trommelnde Hippies und tanzende Blumenkinder dürften in dieses Image besser passen als randalierende Rechtsextremisten.
Das Problem an den vermeintlichen Beweisen: Die Bilder zeigen keine linken Aktivisten, sondern bekannte US-Neonazis. Die Fotos, die Haintz und andere Protagonisten der Szene verbreitet haben, stammen von einer Outing-Seite amerikanischer Antifaschisten. Für die Querdenker anscheinend Anlass genug anzunehmen, dass es sich bei den Abgebildeten um Aktivisten der linken Szene handele. Tatsächlich posieren auf dem Bild allerdings Jason Tankersley von der Skinhead-Gruppierung „Keystone United“ und der vorbestrafte Matthew Heimbach, Gründer der mittlerweile aufgelösten Neonazi-Partei „Traditionalist Worker Party“.
#Trump-Anhänger aber auch rechte, #QAnon-Gruppen in Deutschland verbreiten, dass auf diesem Bild Antifaschisten wären. Zu sehen sind u.a. Jason Tankersley, Matthew Heimbach, bekennende Nationalsozialisten, mehr hier: https://t.co/YDdBCO8yio und Jake Angeli, #QAnon. #WashingtonDC pic.twitter.com/CquxnV6NpH
— (((Katharina König-Preuss))) (@KatharinaKoenig) January 6, 2021
Andere gehen noch weiter und bezeichnen die gewalttätigen Demonstranten als bezahlte Schauspieler, die im Dienst der Regierung stehen. Selbst die Frau, die im Kapitolgebäude angeschossen wurde und später ihren Verletzungen erlag, so mutmaßt eine Userin, könne eine Darstellerin gewesen sein. Das ist kein neues Narrativ: Die Erzählung wurde bereits im Nachgang des Amoklaufs an der Sandy Hook Elementary School im Jahr 2017 popularisiert. Damals warf unter anderem der verschwörungsideologische Medienunternehmer Alex Jones den Angehörigen der 27 Todesopfer vor, sogenannte „Crisis Actors“, also „Krisenschauspieler“ zu sein.
Auch AfD-Personal stellt sich auf die Seite der Verschwörungsideologen und Trump-Fans. Torben Braga, Landtagsabgeordneter aus Thüringen und langjähriger Mitstreiter von Björn Höcke, bezeichnete die gewalttätigen Protestler als „nützliche Idioten“ , die dazu dienen würden „demokratische Protestbewegungen“ zu diskreditieren. Die Frage nach den vermeintlichen Profiteuren der Ausschreitungen lässt er offen. Bezeichnend ist aber: Der legitime Protest, von dem Braga spricht, richtete sich gegen das Ergebnis einer demokratischen Wahl. Und er ist nicht der einzige AfD-Mann, der sich mit dem populistischen Aufstand solidarisiert. Hans-Thomas Tillschneider kritisierte die Sperre, die der Social-Media-Konzern Twitter gegen den abgewählten US-Präsidenten am Mittwochabend verhängte. „Trump verdient mehr Vertrauen als Twitter!“, bekräftigte der Landtagsabgeordnete aus Sachsen-Anhalt ungeachtet der Desinformationskampagne, die Trump spätestens seit seiner Wahlniederlage im November intensivierte.
Martin Sellner, Kopf der Identitären Bewegung in Österreich, verdeutlicht derweil, wie die Neue Rechte mit den gewalttätigen Ausschreitungen umgeht: Mit Framing-Strategien. Er rät seinen Anhängern davon ab, die widerlegten Gerüchte einer Inszenierung durch die „Antifa“ zu verbreiten. „Wir sollten nicht auf dieses lahme Pferd setzen.“, betont der Rechtsextremist. Das Verhältnis der neurechten Aktivisten zur Wahrheit ist anscheinend instrumenteller Natur.
Währenddessen wähnen sich die Anhänger des „Q-Anon“-Verschwörungskultes bereits im Endkampf. Überraschen dürfte das kaum, schließlich ist der amtierende US-Präsident eine Art Heilsbringer für die Verschwörungsgläubigen. In einem der größten Chaträume der Szene im deutschsprachigen Raum wird ein sogenannter „Qdrop“, also eine Sammlung vermeintlicher Geheimdienstinformationen aus dem Juni 2020 geteilt. Demnach sei das Durchgreifen von Twitter gegen Donald Trump der Start für einen „Plan“, der in einer Intervention des Militärs ende. Eine kohärente Erzählung? Fehlanzeige. Mal habe der Noch-Amtsinhaber die Armee unter seiner Kontrolle, anderen Anhängern zufolge wollen Demokraten um Joe Biden den Präsidenten mithilfe des Militärs absetzen und wieder andere prophezeien, dass sich Trump-treue Truppen schon eigenständig in Bewegung gesetzt haben, um die Kontrolle über Washington zu übernehmen. Die Mutmaßungen sind so vielfältig wie krude.
Für die Unterstützer der antisemitischen Verschwörungsideologie spielt das kaum eine Rolle. Unter den Anhängern in den Chaträumen auf Telegram ist die Rede von der „Apokalypse“, einem gottgewollten Plan, der Trump leite. „Niemand kann stoppen, was kommen wird!“ schreibt ein User, das „Kartenhaus des Deepstates“ breche zusammen, antwortet ein Gleichgesinnter. So skurril die Parallelwelt aus Verschwörungswahn und Paranoia erscheinen mag, sie erreicht Hunderttausende. Die Gruppe Qlobal-Change hat über 150.000 Abonnenten, dem deutschen Szene-Protagonisten Oliver Janich folgen 165.000. Deutschland gilt neben den Vereinigten Staaten als zweitgrößter Hotspot der Verschwörungsideologie weltweit.
An der Ramstein Airbase hat die Polizei am Mittwochabend eine Versammlung von mehr als 40 Leuten aufgelöst, die nach diesem Aufruf Unterstützung für Trump zeigen wollten. In unserem Live-Blog: https://t.co/wdwNXaTtdg pic.twitter.com/4nHME5ei6R
— Lars Wienand (@LarsWienand) January 6, 2021
Dass sich vor dem Hintergrund der Ausschreitungen in Washington ranghohe Republikaner von Trump lossagen, erweckt den Zorn seiner eingefleischten Anhänger. Dutzendfach werden in den Chats Nachrichten geteilt, in denen Vizepräsident Mike Pence „Hochverrat“ vorgeworfen wird. Der Grund: Pence stimmte der Verifizierung des Wahlergebnisses letztlich zu. Für die QAnon-Anhänger ist das ein „Putschversuch“. Der Account „Haunsi Appmann“ - knapp 100.000 Abonnenten – fordert seine „sofortige Verhaftung“.
Antisemitismus [1] – die ideologische Feindschaft gegenüber Juden – zeigt sich in vielfältigen Erscheinungsformen, und er zeigt sich in Wellen. Mal ist er leise, mal wird er laut, aggressiv und gewalttätig. Er reicht historisch weit zurück und ist tief in die Kultur eingebrannt – ob in Form von Judenfeindschaft, Antijudaismus oder modernem Antisemitismus. Damit ist der Antisemitismus stets in der Lage, vorhandene Ressentiments aufzugreifen und zum Ausbruch zu bringen bzw. sich seiner jeweiligen Zeit anzupassen. Wie schnell sich hier die Normalität verschiebt und in Pogromen, gar Völkermord eskaliert, zeigt die Geschichte. Antisemitische Einstellungen in der Bevölkerung sind Vorboten, Begleiterscheinungen wie Nachzügler einer jeden Welle. Sie werden über die Generationen hinweg durch Stereotype, Vorurteile und zeitaktuell angepasste Mythen über eine jüdische Weltverschwörung weitergegeben, begleitet von einem Nichtwissen oder gar einer Ignoranz gegenüber jüdischen Lebenswirklichkeiten und den Bedrohungen, denen Jüdinnen und Juden ausgesetzt sind.
Seit dem beispiellosen Zivilisationsbruch der Shoah ist Antisemitismus in der öffentlichen Sphäre nach 1945 geächtet und kann kaum mehr explizit geäußert werden. Antisemitismus zeigt sich daher heute in (auch) neuem Gewand, "der erst nach der Shoah und nicht trotz, sondern wegen ihr entstand".[2] Zugleich hat sich die Überzeugung entwickelt, "Antisemitismus gibt es bei uns nicht" – und eben dieser Reflex, "doch nicht antisemitisch zu sein", behindert die (selbst-)reflexive Auseinandersetzung in Bezug auf die Gesellschaft und ihre Institutionen. Es verwundert nicht, wenn heutzutage nur jeder Fünfte glaubt, es hätte auch Täter in der eigenen Familie gegeben (Auskunft über den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und dem Holocaust gibt die MEMO-Studie im Auftrag der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft).[3]
Entsprechend gibt es hinsichtlich der Verbreitung von Antisemitismus eine deutliche Divergenz der Perspektiven: Während einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2013 zufolge 77 Prozent der nicht-jüdischen Befragten glaubten, nur wenige Bürger:innen seien negativ gegenüber Juden eingestellt, [4] hielten umkehrt ebenso viele Jüdinnen und Juden den Antisemitismus in Deutschland durchaus für ein Problem, welches in den vergangenen Jahren zudem zugenommen habe.[5] 75 Jahre nach der Shoah mehren sich in der Tat die Hinweise auf eine neue antisemitische Welle, in jedem Fall tritt Antisemitismus wieder offener in Erscheinung, insbesondere im Internet. Der (erneute) Anstieg von Straf- und Gewalttaten verweist auf ein antisemitisches Klima, in dem sich solche Taten entwickeln, ggf. zugleich aber auch auf eine gestiegene Sensibilisierung und Anzeigebereitschaft, denn auch in der Vergangenheit gab es immer wieder Wellen antisemitischer Straftaten, die aber weniger öffentliche Aufmerksamkeit erhielten.[6]
Einstellungen drücken Bewertungen eines Einstellungsobjekts aus. Sie werden mit anderen Personen geteilt, haben einen graduellen Charakter (man kann eher oder sehr positiv bzw. negativ zu etwas oder jemanden eingestellt sein) und bestehen aus drei Komponenten: einer kognitiven (ausgedrückt z. B. in stereotypen Vorstellungen über Personengruppen), einer emotionalen (z. B. Neid, Hass etc.) und ggf. auch einer verhaltensbezogenen (z.B. dem Wunsch nach physischer Distanz). Sie sind kulturell geprägt, in der Sozialisation erworben und beeinflusst von den (vermuteten) Einstellungen wichtiger Bezugspersonen (z.B. Eltern, Großeltern, Lehrer:innen, Trainer:innen im Sportverein, dem Kollegen- und Bekanntenkreis oder Personen, die man aus den Medien kennt und bewundert).
Eine wichtige Rolle spielen damit auch die Identifikation mit dem jeweiligen sozialen Umfeld (z. B. im Jugendalter von Freundesgruppen) sowie soziale Normen in der Gesellschaft bzw. einem Submilieu. Entsprechend werden antisemitische Einstellungen mal offener, mal subtiler über Umwege kommuniziert (und ggf. in Handlungen übersetzt).[7] Auch wenn gesellschaftspolitische Einstellungen relativ stabil sind, sind sie ebenso offen für Veränderungen etwa durch Intervention oder Propaganda. Das kann sich zunächst auf die Meinungen Einzelner auswirken, sich aber dann ggf. verzögert auch in ihrer gesellschaftlichen Verbreitung abbilden. Das gilt auch für antisemitische Einstellungen.
Antisemitische Einstellungen bilden sich in mindestens drei Facetten ab:[8]
Empirisch hängen diese Facetten von Antisemitismus so eng zusammen – wer einer Facette zustimmt, stimmt mit signifikanter Wahrscheinlichkeit auch einer anderen zu –,[10] dass sie als Ausdruck ein und derselben Grundeinstellung, die von Antisemitismus zeugt, verstanden werden können.
Auskunft über die Verbreitung antisemitischer Einstellungen geben repräsentative Meinungsumfragen. Diese erheben das Ausmaß antisemitischer Einstellungen gewöhnlich über Aussagesätze, zu denen Befragte um Zustimmung bzw. Ablehnung auf einer abgestuften Antwortskala gebeten werden. Zur Erhöhung der Zuverlässigkeit werden jeweils mehrere Aussagen nach statistischer Überprüfung zusammengefasst. Es kommt also weniger auf die Antwort auf eine einzige Aussage an, die im Einzelfall vielleicht anders verstanden wurde, als vielmehr auf das gesamte Muster der Antworten. Als "antisemitisch eingestellt" gelten dabei Befragte, die bei mehreren Aussagen, die feindliche Einstellungen gegenüber Jüdinnen und Juden bzw. dem Judentum in den oben skizzierten Facetten ausdrücken, "eher" oder "voll" zustimmen. Aufschlussreich ist auch der Blick auf diejenigen, die mit teils-teils antworten, sich also nicht klar positionieren; vertiefte Analysen sprechen dafür, dass diese häufig eine zögerliche Zustimmung ausdrücken. Dabei geht es nicht um Einzelfalldiagnosen, sondern um Auskunft über die Verbreitung von antisemitischen Einstellungen in der Bevölkerung. Welchen Grad der Neigung zum Antisemitismus und welches Ausmaß man als 'problematisch' wertet, ist weniger eine wissenschaftliche als eine gesellschaftspolitische Frage.
Die Äußerung antisemitischer Einstellungen dürfte in einem besonderen Maß der sozialen Erwünschtheit und dem Motiv, nicht antisemitisch zu erscheinen, unterliegen. Die Befragten neigen also gerade bei den klar als antisemitisch erkennbaren Aussagen zum klassischen Antisemitismus eher dazu, zurückhaltend zu antworten.[11] Hierbei ist auch die Interviewmethode von Bedeutung. In Befragungen mit unmittelbarem Gesprächskontakt zum/zur Interviewer:in, wie dies bei telefonischen oder face-to-face Befragungen der Fall ist, ist die Zustimmung zu als heikel empfundenen Fragen in der Regel geringer als bei der Befragung mittels anonymer Fragebögen, ausgeteilt in Papierform oder online.
Bislang gibt es in Deutschland kein umfassendes, regelmäßiges Monitoring antisemitischer Einstellungen. Einige repräsentative Meinungsumfragen erfassen jedoch antisemitische Einstellungen als einen Aspekt neben anderen mit einer entsprechend kleinen Zahl an Aussagen. Dazu gehören insbesondere die Langzeitstudien „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ (2002-2011),[12] die "Mitte-Studie" der Friedrich-Ebert-Stiftung (seit 2006),[13] und die parallel dazu durchgeführte Leipziger Autoritarismus-Studie (seit 2002).[14] Befragt werden hier Personen ab 16 bzw. 18 Jahren. Darüber hinaus beobachtet die weltweite Studie ADL Global 100 der "Anti-Defamation League" antisemitische Einstellungen in über 100 Ländern, darunter auch Deutschland; allerdings ist hier die Anzahl der Befragten pro Land recht gering.[15] Auskunft über die Sicht und Erfahrungen von Jüdinnen und Juden in Deutschland und Europa in Bezug auf Antisemitismus gibt eine Studie der EU Fundamental Rights Agency.[16]
Die Antwort auf die Frage nach der Verbreitung von antisemitischen Einstellungen hängt – wie schon angesprochen – von der Befragungsmethode ab, welche Facette von Antisemitismus man betrachtet, und welchen Grad an Zustimmung man als "antisemitisch" wertet.
Das Judentum wird in Deutschland von rund zwei Dritteln der Befragten als Bereicherung erlebt, ebenso schenkt rund die Hälfte (54 %) der Befragten Juden uneingeschränkt Vertrauen.[17] Doch während nur sehr wenige Befragte Juden nicht gern als Nachbarn hätten, wäre es jedem Fünften unangenehm, wenn eine Jüdin oder ein Jude in die eigene Familie einheiraten würde. Insgesamt sind die Einstellungen gegenüber Juden negativer als gegenüber Christen, aber deutlich positiver als gegenüber Muslimen.
Grob gesagt teilt rund ein Fünftel der Bevölkerung deutlich antisemitische Einstellungen, zählt man alle die zusammen, die "eher" oder "voll und ganz" zustimmen. Der Anteil ist größer, rechnet man jene Befragten hinzu, die einzelnen Aussagen zumindest "teils-teils" zustimmen. Klassischem Antisemitismus stimmen in der offenen Abfrage vergleichsweise wenige Befragten zu. In der jüngsten Erhebung der telefonisch durchgeführten "Mitte-Studie" 2018/19 waren beispielsweise vier Prozent der Befragten voll und ganz bzw. eher der Überzeugung: "Juden haben in Deutschland zu viel Einfluss"; rechnet man die Befragten hinzu, die mit teils-teils antworteten, waren es insgesamt 15 Prozent. Ebenso viele stimmten teils-teils, eher oder voll und ganz der Aussage zu: "Die Juden arbeiten mehr als andere Menschen mit üblen Tricks, um das zu erreichen, was sie wollen". In der Leipziger Autoritarismus-Studie 2020, die antisemitische Einstellungen über anonyme Fragebögen erhebt, liegt die Zustimmungsrate zu diesen Aussagen sogar bei rund einem Fünftel der Befragten, eingerechnet jener, die mit teils-teils antworteten.
Sekundärer Antisemitismus ist weiter verbreitet. So teilen beispielsweise vier Prozent der Befragten der "Mitte-Studie2 2018/19 voll oder eher, eingerechnet der teils-teils Antworten zwölf Prozent, die Ansicht: "Durch ihr Verhalten sind Juden an ihren Verfolgungen mitschuldig". Rund ein Viertel der Befragten unterstellt: "Viele Juden versuchen, aus der Vergangenheit des Dritten Reiches heute ihren Vorteil zu ziehen". Und 55 Prozent der Befragten gaben in der 2014 durchgeführten "Mitte-Studie" an: "Ich ärgere mich darüber, dass den Deutschen auch heute noch die Verbrechen an den Juden vorgehalten werden". In einer weiteren, 2019 durchgeführten Studie forderte ein Viertel der Befragten: "Es ist Zeit für einen Schlussstrich unter die deutsche Vergangenheit".[18]
Israelbezogener Antisemitismus wird besonders weit geteilt. 16 Prozent der Befragten der Mitte-Studie 2018/19 gaben an: "Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat" (weitere 24 Prozent stimmten teils-teils zu) und 27 Prozent (bis zu 55 Prozent eingerechnet der teils-teils Antworten) waren der Ansicht: "Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip auch nichts Anderes als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben".
Bisher belegen diese Studien keinen Anstieg antisemitischer Einstellungen in der Gesamtbevölkerung, im Gegenteil, im langjährigen Vergleich sind antisemitische Einstellungen sogar eher rückläufig. Auch die ADL Global 100 Studie beobachtet für Deutschland einen Rückgang antisemitischer Einstellungen von 27 Prozent in 2014 auf 15 Prozent in 2019; die Studie fasst hier elf Aussagen zum klassischen und sekundären Antisemitismus zu einem Index zusammen. Im europäischen Vergleich liegt das in dieser Studie festgestellte Ausmaß antisemitischer Einstellungen in Deutschland auf mittlerem Niveau – mit höheren Zustimmungswerten in Süd- und Osteuropa und geringeren in Nordeuropa.
Ein gestiegenes öffentliches Bewusstsein, Anstrengungen der politischen Bildung, der Intervention und Prävention und das Ableben der noch unmittelbar im Nationalsozialismus Sozialisierten könnten Gründe für den rückläufigen Trend sein. Einige Beobachtungen lassen aber befürchten, dass sich dieser nicht so einfach fortsetzen wird. So ist in der Mitte-Studie vor allem der klassische Antisemitismus rückläufig, weniger aber der über Umwege kommunizierte sekundäre und israelbezogene Antisemitismus. Zudem scheint sich der positive Trend nicht über die Generationen fortzusetzen. Seit Kurzem verzeichnen die Umfragen sogar wieder einen Anstieg antisemitischer Einstellungen bei jüngeren Leuten, die lange Zeit weniger antisemitisch waren als die älteren. Die Mitte-Studien belegen zudem signifikante Zusammenhänge zwischen antisemitischen Einstellungen und der Neigung, an Verschwörungsmythen zu glauben; letztere finden derzeit vor allem über das Internet große Verbreitung und sind häufig antisemitisch unterfüttert.[19]
Der Blick auf die Gesamtbevölkerung verdeckt mögliche Unterschiede und Entwicklungen in Subgruppen der Bevölkerung. Empirisch gesicherte Informationen über das Ausmaß antisemitischer Einstellungen liegen allerdings nur für größere Bevölkerungsgruppen vor, unterschieden nach den üblichen soziodemographischen Merkmalen. Über antisemitische Einstellungen in spezifischen Subgruppen können die vorliegenden Studien keine gesicherte Auskunft geben, weil sie schlicht zu klein sind, um sich in einer repräsentativen Umfrage abzubilden (das gilt z. B. für politisch extremistische Gruppierungen, religiöse Minderheiten, demographisch differenziertere Untergruppen wie jungen Männern in Ost- bzw. Westdeutschland).
Befragte in Ost- und Westdeutschland unterscheiden sich in den Umfragen heute kaum mehr in ihrer Zustimmung zu antisemitischen Einstellungen. Während in den vergangenen fast 20 Jahren der kontinuierlichen Erfassung offen antisemitische Einstellungen im Westen rückläufig sind, stagnieren sie mit einigen Wellenbewegungen im Osten, so dass die Zustimmungswerte im Osten inzwischen geringfügig höher liegen als im Westen. Männer äußern etwas häufiger antisemitische Einstellungen als Frauen. Personen mit höherer formaler Bildung neigen weniger zu antisemitischen Einstellungen bzw. äußern sie in Befragungen zurückhaltender.
Im Vergleich etwa zu rassistischen Einstellungen ist der Einfluss von Bildung allerdings deutlich geringer und offenbart sich vor allem beim klassischen Antisemitismus; dem israelbezogenen Antisemitismus wiederum stimmen besser Gebildete fast ebenso häufig zu wie Personen mit niedrigerem Schulabschluss. Das Einkommen spielt hingegen nur eine marginale Rolle. Anders als vielleicht erwartet, spielen auch die Religiosität und Religionszugehörigkeit für das Ausmaß antisemitischer Einstellungen nur eine untergeordnete Rolle. Antisemitismus ist unter nicht-religiösen bzw. konfessionell ungebundenen Personen ähnlich weit verbreitet wie unter Gläubigen. Auch die Angehörigen der großen Konfessionen unterscheiden sich kaum, allerdings neigen Fundamentalisten gleich welcher Religion generell eher zu abwertenden, feindseligen Einstellungen gegenüber diversen Minderheiten und auch antisemitische Einstellungen werden häufiger vertreten.[20]
Der oft geäußerte Verdacht, Muslime seien grundsätzlich antisemitischer als Christen, lässt sich für Westeuropa einschließlich Deutschland (bedingt) bestätigen.[21] Wichtiger aber als die Religion scheint die Region zu sein, aus der Personen stammen, und die damit einhergehende Art und Weise ihrer Sozialisation im jeweiligen Herkunftskontext bzw. in Communities. So ist vor allem in den arabischen Ländern des Nahen Ostens Antisemitismus (sowohl bei Muslimen wie bei Christen) verbreitet, in etwas geringerem Ausmaß aber auch in (überwiegend christlichen Ländern) Süd- und Osteuropas, wie die ADL Gobal 100 Studie belegt. Entsprechendes kann dann auch für migrierte Personen aus diesen Ländern gelten, sofern sie noch stark von ihrem Herkunftskontext geprägt sind; hier dürfte u. a. auch der Konsum von Medien des Herkunftslandes eine Rolle spielen, über die ggf. antisemitische Botschaften transportiert werden.
Antisemitische Einstellungen sind verbunden mit Phänomenen wie ethnischem Rassismus, Antiziganismus, Feindlichkeit gegenüber Eingewanderten, Asylsuchenden, Muslimen, aber auch mit Sexismus und Homophobie. Das Zusammenspiel dieser Phänomene lässt sich als Syndrom der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) bezeichnen,[22] in dem die einzelnen Elemente der Abwertung empirisch bestätigt eng zusammenhängen, und in dessen Zentrum eine Ideologie der Ungleichwertigkeit steht. Kontrovers diskutiert wird, ob die Einordnung des Antisemitismus in ein GMF-Syndrom seinem Charakter und seiner besonderen Bedeutung gerecht wird. Entgegnen lässt sich hier, dass jede Form Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ihre Besonderheiten hat, aber auch Gemeinsamkeiten in Prozessen und Mustern der Ungleichwertigkeit teilt; der Antisemitismus sticht durch seine lange Tradition und Einbettung in eine generalisierte Weltsicht hervor.
Antisemitische Einstellungen sind darüber hinaus zentrale Elemente des Rechtsextremismus. Auch der Rechtspopulismus ist dafür anschlussfähig, indem er z.B. antisemitisch konnotierte Verschwörungsmythen bedient. Darüber hinaus vertreten Personen, die sich politisch selbst eher oder ganz rechts von der Mitte verorten, besonders häufig klassisch antisemitische Einstellungen. Im politischen Spektrum "ganz links" können die dort üblichen Themen wie Kapitalismuskritik oder Antiimperialismus zuweilen antisemitisch gefärbt sein. So wird israelbezogener Antisemitismus sowohl von Personen häufiger vertreten, die sich entweder rechts von der Mitte oder ganz links positionieren. Vergleichsweise seltener verbreitet sind antisemitische Einstellungen bei Personen, die sich "eher links" einstufen. Bei jenen, die sich politisch "genau in der Mitte" verorten, liegt das Ausmaß antisemitischer Einstellungen auf mittlerem Niveau.
Die empirische Einstellungsforschung zum Antisemitismus bewegt sich in einem Spannungsfeld historischer und aktueller Erfahrungen sowie gesellschaftlicher Diskurse. Die Erfassung antisemitischer Einstellungen ist und wird damit immer auch zu einem Politikum, bei dem auch die Wissenschaft selbst Teil des Geschehens ist. Denn nicht zuletzt die Definition, was Antisemitismus überhaupt ist, wie er sich offenbart, wie er gemessen und interpretiert werden kann, bestimmt die Befunde. In jedem Falle aber unterstreicht die Feststellung des Vorhandenseins antisemitischer Einstellungen die Notwendigkeit von Interventionsmaßnahmen und politischer Bildung, wozu auch die ernsthafte Auseinandersetzung mit der jüdischen Perspektive darauf gehört.
Wie korrespondieren antisemitische Einstellungen und Hasstaten mit dem im Alltag erlebten Antisemitismus, und was machen die Beobachtungen antisemitischer Einstellungen in der Allgemeinbevölkerung mit den unmittelbar Adressierten? Zugleich unterliegt die Feststellung antisemitischer Einstellungen der Gefahr der Instrumentalisierung. Leicht geht der Fingerzeig auf die jeweils anderen und werden Beobachtungen eher als Makel, denn als Anlass zur Reflexion genommen. Vorsicht ist auch vor dem gegeneinander Ausspielen von Rassismus und Antisemitismus geboten. Bisweilen hat es den Anschein, der Antisemitismus solle lieber wegdiskutiert werden, statt sich mit ihm (selbst-)kritisch auseinanderzusetzen. Umso wichtiger ist die kontinuierliche Dokumentation antisemitischer Einstellungen jenseits ihrer Leugnung.
Autoren/-innen: Beate Küpper, Andreas Zick für bpb.de, Lizenz: CC BY-NC-ND 3.0 DE, alle Fußnoten sind unter dem Artikel auf der Seite der BPB zu finden.
„Zwangstestungen und Zwangsimpfungen an Kindern sind Körperverletzungen - kann dein Gewissen damit leben?“ - der dramatische Appell unterlegt mit Bildern von lächelnden Kindern ist nicht ungewöhnlich für Broschüren von Gegnern der Corona-Maßnahmen. Solche Flyer mit radikalen Botschaften und Falschinformationen über die Ausbreitung der COVID-19-Pandemie tauchen seit dem Frühling zu Tausenden in ganz Deutschland auf. Interessant ist allerdings: Hinter den dubiosen Pamphleten stehen Polizeibeamte.
Mit den „Polizisten für Aufklärung“ hat sich nun ein Verein gegründet, der die Interessen von verschwörungsgläubigen Polizisten vertreten soll. Man wolle „Polizisten, Soldaten und vergleichbare andere Beschäftige über die aktuellen Herausforderungen und Missstände in unserer Gesellschaft aufzuklären“. Auch Beamte, die sich weigern Befehle auszuführen - also remonstrieren - will der Verein unterstützen. Aber wer sind „Querdenker“ in Uniform?
Einer von ihnen ist Karl Hilz. Ende November steht Hilz auf der Bühne einer Demonstration von Corona-Gegnern im bayrischen Regensburg. Hinter ihm hängt das Banner der „Querdenken“-Initiative. Der pensionierte Polizist spricht vom „Ermächtigungsgesetz“. Gemeint ist die aktualisierte Fassung des Infektionsschutzgesetzes, die wenige Tage darauf in Berlin verabschiedet wurde. Hilz greift den Vergleich mit dem Nationalsozialismus nicht zum ersten Mal auf: Bei einer Großdemonstration in Berlin im August posierte er mit einer weißen Rose – dem Erkennungszeichen der Widerstandsgruppe um die Geschwister Scholl.
Hilz war über 40 Jahre lang Polizeibeamter in München. Mittlerweile ist er ein gern gesehener Gast bei Demonstrationen der „Querdenker“. In Interviews mit einschlägigen Youtube-Aktivisten greift der Vorsitzende der „Polizisten für Aufklärung“ Verschwörungsmythen auf, nennt COVID-19 eine „Plandemie“ oder spricht von einer Versklavung durch die Maskenpflicht.
Zwar ist Hilz im Ruhestand, seine Aktivitäten und Äußerungen sind aber mittlerweile auch bei seinem Dienstherren aufgelaufen: Nachdem der Auftritt des bayrischen Ex-Beamten in Berlin publik wurde, kündigte Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU) an, „alle Hebel für harte Sanktionen in Bewegung [zu] setzen“.
Bernd Bayerlein hat davon einen ersten Vorgeschmack bekommen. Gegen den Polizisten aus dem mittelfränkischen Weißenburg läuft seit einem Redebeitrag auf einer Demonstration gegen die Pandemie-Maßnahmen ein Disziplinarverfahren. Bayerlein ist seitdem im Innendienst. Der Grund: Bei der als „Friedensfest“ bezeichneten Kundgebung in Augsburg, bezeichnete der Polizeibeamte Deutschland als „Denunziantenstaat“ und sprach von einer „Lückenpresse“, die wesentliche Informationen unterdrücke. Mit Sprechchören forderte er seine Kollegen dazu auf, sich den Pandemie-Leugnern anzuschließen. Anmoderiert wurde er damals von „Querdenker“-Anwalt Markus Haintz.
Die Polizeidirektion Mittelfranken teilte laut WELT mit, dass man das weitere Verhalten von Bayerlein beobachte. Für den Polizeihauptkommissar ist das anscheinend kein Grund, seine politischen Aktivitäten zu überdenken: Mehrere Auftritte vor „Querdenkern“ folgten. Zuletzt verbreitete er in Konstanz die gängige Falschmeldungen von Kindern, die durch das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung verstorben seien.
Zwischenzeitlich beschäftigte sich auch der Verfassungsschutz mit dem Fall Bayerlein. Wie aus einer Anfrage des bayerischen Landtagsabgeordneten Florian Ritter hervorgeht, konnte die Behörde allerdings keine verfassungsfeindlichen Inhalte feststellen.
Einen weiteren Mitstreiter haben die beiden bayerischen „Querdenker“-Aktivisten in Michael Fritsch. Der Polizeibeamte wird als Schatzmeister des Vereins ausgewiesen. Und auch gegen Fritsch läuft ein Disziplinarverfahren, denn auch der Kriminalhauptkommissar trat bei mehreren verschwörungsideologischen Versammlungen auf. Der Norddeutsche Rundfunk zitiert ihn etwa mit Aussagen, die auf eine Nähe zur Ideologie der Reichsbürger-Bewegung schließen lassen: „Die DDR (…) hat uns etwas voraus gehabt. Denn die hatte eine Verfassung und wir, wir haben ein Grundgesetz, das immer noch vorläufig ist. Und das kann so nicht bleiben. Wir müssen uns eine Verfassung geben", so Fritsch in Hannover. Unter seinen Kollegen seien zudem „gekaufte Söldner“.
Besonders brisant: Fritsch war bei der Polizeidirektion Hannover mitunter für die sicherheitstechnische Prüfung von jüdischen Einrichtungen betraut. Vertreter des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinde zeigten sich vor diesem Hintergrund besorgt.
Auf dem Internetauftritt der „Polizisten für Aufklärung“ wird zudem Vicky Richter vorgestellt. Die junge Frau ist nicht nur Pressesprecherin der Gruppe, sondern auch Mitarbeiterin des bayerischen AfD-Landtagsabgeordneten Markus Bayerbach. Das dürfte kein Zufall sein: Nachdem die Alternative für Deutschland anfangs noch um eine Positionierung in der Pandemie gerungen hat, versucht die Partei sich mittlerweile zum parlamentarischen Arm der Corona-Skeptiker und Verschwörungsideologen zu machen.
Dass Bayerbach und Richter sich mit Aktivisten aus den Reihen der Corona-Gegner vernetzen, ist kein neues Phänomen. Ein Video zeigt die beiden im Gespräch mit den prominenten Szene-Gesichtern Samuel Eckert und Bodo Schiffmann. Auch sie verbreiten die Falschmeldungen über ein Grundschulkind aus Schweinfurt, dass aufgrund des Tragens eines Mundschutzes verstorben sei. Die Behauptungen sind weder von zuständigen Behörden noch von örtlichen Krankenhäusern bestätigt worden.
Und auch der Sitz des in Gründung befindlichen Vereins lässt auf gute Verbindungen zu anderen Akteuren der Szene schließen: Die Adresse der verschwörungsgläubigen Polizisten in Tangstedt am Rand von Hamburg ist identisch mit der der Kanzlei von Ivan Künnemann. Der Rechtsanwalt ist Teil der „Anwälte für Aufklärung“ - einer Gruppe von Advokaten, die mitunter massive Profite aus Klagen gegen die Corona-Maßnahmen schlagen.
Die „Querdenker“-Bewegung umfasst ein breites Spektrum von veschwörungsgläubigen Corona-Leugnern und bürgerlich anmutenden Kritikern der Lockdown-Politik, bis zu Reichsbürgern, rechten Esoterikern und organisierten Neonazis. Experten warnen vor einer fortschreitenden Radikalisierung der Protestmilieus.
Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg verkündete Anfang Dezember die Beobachtung der „Querdenken“-Szene. Niedersachsens Verfassungsschutz beobachtet mangels Organisationsstrukturen einzelne Akteure der Protestbewegung. Sollte sich die behördliche Beobachtung ausweiten, könnte das zum Problem für Beamte werden, die die Corona-Gegner unterstützen.
Die Flyer, die Anwohner der Chemnitzer Margaretenstraße am Freitagmorgen aus ihren Briefkästen fischten, dürften sich von der üblichen Reklame absetzen: Gegner der rechtsextremen Szene haben in der Nacht Flugblätter verteilt, die auf zwei neonazistische Nachbarn hinweisen. Ziel des „Outings“: Michael Brück und Marvin E. Im beschaulichen Wohnviertel im Chemnitzer Nordosten haben sich zwei militante Neonazi-Kader niedergelassen.
Michael Brück gilt als einer der führenden Köpfe der deutschen Neonazi-Szene. Brück stammt aus Bergisch Gladbach und ist seit Jahren in diversen rechtsextremen Strukturen aktiv: Schon während seiner Jugend schloss sich Brück der NPD-Jugend an und bewegte sich später mit der „Aktionsgruppe Rheinland“ im Umfeld der sogenannten Autonomen Nationalisten. 2008 schloss der junge Neonazi sich nach seinem Umzug dem „Nationalen Widerstand Dortmund“ (NWDO) an.
Brück steigt innerhalb der Dortmunder Szene auf und als 2012 das Vereinsverbot gegen die Kameradschaft erlassen wird, gründet er mit anderen Gleichgesinnten die Splitterpartei „Die Rechte“. Mit medial inszenierten Aktionen machen die nordrhein-westfälischen Rechtsextremisten immer wieder Schlagzeilen, etwa als sie 2015 als Bürgerwehr Homosexuelle bedrohten. Begleitet wird der Hass mit der Kamera und verbreitet über die sozialen Medien. Als stellvertretender Parteivorsitzender und zwischenzeitlich auch im Dortmunder Stadtrat suchte Brück auch die Bühne der Lokalpolitik. Der Neonazi gilt als umtriebiger Akteur der Szene. Über Jahre verantwortete Brück einen rechtsextremen Online-Shop, erreichbar unter „antisem.it“ - eine Adresse, die wenig Interpretationsspielraum lässt. Heute vermarktet er in einem ähnlichen Versandhandel.
Marvin E. steht weniger in der Öffentlichkeit. Der Dortmunder ist eng vernetzt im extrem rechten Kampfsport-Milieu: Fotos zeigen ihn im April 2019 als Kämpfer beim „Pro Patria Fest“, einem neonazistischen Martial-Arts-Turnier in Athen. Damals begleitete ihn unter anderem Alexander Deptolla. Der Neonazi ist einer der führenden Köpfe hinter dem „Kampf der Nibelungen“, dem bundesweit führenden Kampfsportevent der rechtsextremen Szene. Im April 2020 besuchte E. zusammen mit Tim K. eine Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen in Chemnitz. K. wiederum tritt als Organisator des rechtsextremen Kampfsportevents „Tiwaz“ auf. Die Wege im rechten Kampfsport sind kurz.
Dass sich die beiden Neonazis aus dem Ruhrpott gerade im Westen Sachsens ansiedeln, ist kein Zufall. Rechtsextremisten aus Dortmund und Chemnitz pflegen seit einigen Jahren enge Kontakte. Dortmunder Kameradschafter und Mitglieder der „Nationalen Sozialisten Chemnitz“ statteten sich regelmäßige Besuche ab. Auch Hooligans wie die der Dortmunder „Borussenfront“ und der Chemnitzer „NS-Boys“ hielten feste Verbindungen. Christoph Drewer, ein langjähriger Weggefährte Brücks, ist nicht nur Mitglied von „Die Rechte“, sondern gilt auch als Teil von „Kaotic Chemnitz“ - der Hooligantruppe, die federführend war bei den Ausschreitungen in Chemnitz im Spätsommer 2018.
Eine finanzielle Absicherung hat Brück derweil bereits gefunden: Der Neonazi ist als Angestellter für den Chemnitzer Rechtsanwalt Martin Kohlmann tätig, berichtet Tag24. Kohlmann freut sich über den Neuzugang: „Er bringt viel Erfahrung mit“, wolle aber politisch nicht mit Brück aktiv werden. Über eine Rufschädigung mache er sich keine Sorgen.
Mit Brücks Ideologie scheint Kohlmann kein Problem zu haben: Der Jurist ist Chef der rechtsextremistischen Lokalpartei „Pro Chemnitz“. Der sächsische Verfassungsschutz führt ihn als „Neonationalsozialisten“. Bei den rassistischen Demonstrationen, mit denen Chemnitz zum Synonym für den enthemmten Rechtsextremismus im Osten Deutschlands wurde, trat er als treibende Kraft auf. Erst Anfang Oktober wurde Kohlmann erstinstanzlich wegen der Leugnung des Holocausts zu einer Geldstrafe verurteilt.
Brücks Zuzug weckten in der Zivilgesellschaft Befürchtungen, dass die Ex-Dortmunder in Chemnitz einen sogenannten „Nazi-Kiez“ etablieren könnten. Grund dafür dürfte das Treiben von Brück und seinen Mitstreitern in Dortmund-Dorstfeld sein. Das Viertel gilt Antifaschisten, jüdischen Menschen und Journalisten seit Jahren als Angstraum. An den Hauswänden prangen Graffiti in Reichsfarben, immer wieder kommt es zu gewalttätigen Angriffen durch Neonazis aus dem Umfeld von „Die Rechte“. Mit der Nipster-Gruppierung „Rechtes Plenum“ gab es zudem schon einen Versuch, das „Dorstfelder Modell“ nach Chemnitz zu exportieren.
In einem Interview mit dem völkischen Siedlungsnetzwerk „Zusammenrücken in Mitteldeutschland“ spricht Brück allerdings von einer anderen Strategie: Statt sich auf ein Viertel zu konzentrieren, rät er Gleichgesinnten, „in der Fläche anzugreifen und die Stadtteile zu durchsetzen“. Schließlich seien die Bürger in Ostdeutschland empfänglich für „rechte Positionen“, so Brück. Ein aggressives Auftreten wie in Dortmund sei da kontraproduktiv. Der Neonazi setzt seine Hoffnung in die rechtsextremen Tendenzen in den neuen Bundesländern. Und Michael Brück dürfte nicht der letzte Neuzugang aus der Dortmunder Szene bleiben: Eigenen Aussagen zufolge erwägen bereits einige seiner Weggefährten einen Umzug in Richtung „Mitteldeutschland“.
In erster Instanz am Amtsgericht Dachau war Nerling im Dezember vergangenen Jahren wegen Volksverhetzung und Hausfriedensbruchs zu 180 Tagessätzen à 60 Euro verurteilt worden, der Kameramann Stefan Z., der ihn begleitet hatte, wegen Beihilfe zur Volksverhetzung und Hausfriedensbruchs zu 100 Tagessätzen à 30 Euro.
In der Berufungsverhandlung am Landgericht München II wichen die Aussagen der Zeug*innen nicht wesentlich von denen ab, die sie in erster Instanz am Amtsgericht Dachau gemacht hatten. Auch wenn ein paar Details nach der langen Zeit nicht mehr genau in Erinnerung waren, bemühte sich das Gericht, durch viele Fragen, den zeitlichen Ablauf und die Auseinandersetzungen in der Gedenkstätte möglichst exakt zu rekonstruieren.
Am Ende sahen es der Richter und die Schöffen als erwiesen an, dass Nerling, der mit seinem Kameramann nach Dachau gereist war, um in der Gedenkstätte ein Video gegen den von ihm sogenannten Schuldkult zu drehen, einer Schulklasse den Rat gab, sie sollten nicht alles glauben, was ihnen dort erzählt würde. Diese Aussage wertete die Kammer als Leugnung des Holocaust.
Auch wenn Nerling Worte wie „Holocaust“, „Shoah“ oder „Massenvernichtung“ nicht benutzt habe, ergebe sich aus dem Kontext, dem Ort, an dem über 200.000 Menschen inhaftiert waren und über 41.500 unter grausamsten Umständen den Tod fanden, klar, dass der Rechtsextreme die dort begangenen Verbrechen verharmlost und geleugnet habe. Sein Verhalten gegenüber den Schüler*innen sei einschüchternd gewesen.
Da sich Nerling und sein Begleiter zunächst geweigert hatten, die Gedenkstätte zu verlassen, nachdem sie von Mitarbeitenden dazu aufgefordert worden waren, lautete die Anklage gegen die beiden auch auf Hausfriedensbruch.
Die Staatsanwaltschaft forderte für Nerling sechs Monate Haft ohne Bewährung für Volksverhetzung und Hausfriedensbruch. Das Gericht verurteilte ihn letztendlich zu einer Strafe von 150 Tagessätzen à 40 Euro wegen Volksverhetzung. Die niedrigere Höhe der Tagessätze wurde mit seiner wirtschaftlichen Situation begründet, die sich im letzten Jahr verschlechtert habe. Vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs wurde der Videoblogger jedoch freigesprochen, da der entsprechende Strafantrag in den Akten nicht auffindbar war. Der Grund dafür konnte in der Verhandlung nicht geklärt werden.
Für Stefan Z. hatte die Staatsanwaltschaft 120 Tagessätze à 30 Euro für Beihilfe zur Volksverhetzung und Hausfriedensbruch veranschlagt. Das Gericht sprach ihn vom Vorwurf der Beihilfe zur Volksverhetzung frei und befand ihn des Hausfriedensbruchs für schuldig. Er muss 50 Tagessätze à 30 Euro bezahlen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Nerling, der zuletzt mehrfach an Protesten gegen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie teilgenommen hat und am 29. August unter den rund 300 Personen war, die die Treppe zum Reichstag hinauf gestürmt waren, kündigte an, gegen das Urteil Revision einzulegen.
Die AfD im Bundestag will 2021 zum „Jahr der deutschen Sprache“ erklären lassen. Mit einer gereimten Rede hält der SPD-Abgeordnete Helge Lindh den Rechtspopulisten den Spiegel vor. Im Interview erlärt er, wie es dazu kam.
Der Verschwörungsmythiker Jan van Helsing verbreitet auf der Webseite seines Amadeus Verlags ein Interview mit dem "Reichsbürger" Matthes Haug.
Ein halbes Jahr nach einem brutalen Angriff auf eine etwa 20-köpfige Personengruppe in Erfurt hat die Polizei ihre Ermittlungen abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft Erfurt schließt nach eigenen Angaben einen rechtsmotivierten Hintergrund der Tat aus.
Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat das 2018 vom Düsseldorfer Landgericht gefällte Urteil zum Rohrbombenanschlag am Zugang zur S-Bahn-Station Düsseldorf-Wehrhahn 2000 bestätigt. Damit bleibt ein Verbrechen, das zehn Sprachschüler, darunter vier jüdischen Glaubens, teils schwer verletzte und einer im fünften Monat schwangeren Frau ihr Kind nahm, weiter ungeklärt.
Eine Studie zur „Politischen Soziologie der Corona-Proteste“ benannte insbesondere Grünen- und Linken-Wähler als deren Protagonisten. Bei der Medienberichterstattung wurde indessen ignoriert, dass die Untersuchung nicht repräsentativ ist. Das haben die Forscher auch gar nicht behauptet, es wurde nur nicht zur Kenntnis genommen.
Die Erstürmung des Kapitols kam nicht aus dem Nichts. Immer wieder hatte Donald Trump seine Anhänger*innen in den vergangenen Monaten angestachelt. Am Ende steht er da wie Goethes Zauberlehrling.
In Magdeburg haben Neonazis das Gedenken an die Opfer der Bombardierung missbraucht. Davon wollte auch die AfD profitieren.
Der Beitrag Naziparolen von der AfD erschien zuerst auf Störungsmelder.
Neonazis in Baden-Württemberg haben ein rassistisches Banner gehisst. Hinter ihrer Parole steckt mehr als eine Botschaft - nämlich die Strategie der Identitären.
Der Beitrag Propaganda auf dem Parkdeck erschien zuerst auf Störungsmelder.
In Chemnitz steht ein Haus, da gehen Rechte ein und aus.
Der Beitrag Die rechten Hausfreunde erschien zuerst auf Störungsmelder.
Die Corona-Pandemie hat das Jahr 2020 bestimmt. Für die rechtsextreme Szene gilt das genauso: Neonazis haben gelernt, die Krise für ihre Zwecke zu nutzen.
Der Beitrag So rechtsextrem war 2020 erschien zuerst auf Störungsmelder.
Wer behauptet, sich im Ausland befunden zu haben, als er den Holocaust im Internet leugnete, kam bislang straflos davon. Das ändert sich ab dem 1. Januar 2021. Von Dennis Pesch Der Holocaustleugner Henry Hafenmayer saß im September 2020 wieder einmal vor Gericht. Er war in einem Berufungsverfahren vor dem Duisburger Landgericht angeklagt worden, weil er […]
Der Beitrag Das Ende des Nazipropagandatourismus erschien zuerst auf Störungsmelder.
Für Reporter sind Corona-Demos vermintes Gebiet. Trotzdem gehen Journalisten immer wieder dorthin - und müssen sich Gewaltdrohungen und Beschimpfungen gefallen lassen. Zwei von ihnen erzählen im Interview, warum sie sich den Wahnsinn geben.
Der Beitrag „Jemand sagte zu mir: ‚Ihr seid keine Menschen.'“ erschien zuerst auf Störungsmelder.