08.04.2008 / Achim: (Neo)Nepper, Schlepper, Bauernfänger?

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Der scheinbare Coup wurde medienwirksam inszeniert. Der Hamburger Neonazifunktionär Jürgen Rieger beabsichtige, einen weiteren Gebäudekomplex in Niedersachsen erwerben zu wollen, was auch die erwünschten Schlagzeilen erzeugte. Diesbezügliche Informationen, wurden bereits im Vorfeld gezielt an bestimmte Pressevertreter_innen weitergeleitet. So kam es, dass sich ein angeblich »konspiratives NPD Treffen« am 06.04.2008 in Achim Embsen zu einer freimütigen Pressekonferenz der NPD/JN Verden entwickelte.

Informationen die Medienvertreter_innen im Vorfeld zugespielt wurden besagten, dass am Sonntag den 06.02.2008 eine ganztägige Veranstaltung der rechtsextremistischen »Nationaldemokratischen Partei Deutschland« (NPD) in der Umgebung der Stadt Achim stattfinden soll. Angeblich organisierten Mitglieder der neonazistischen Partei seit längerem konspirativ ein »ganztägiges Treffen« in der Region. Hintergrund und pikantes Detail sei die Kaufabsicht des Hamburger Neonazis Jürgen Rieger an den Versammlungsräumen der Veranstaltung.

Bei dem Gebäude handelte es sich um die so genannte »Mühlensauna« am Rand des Ortsteils Achim Embsen. Die Räumlichkeiten beherbergen einen Saunabetrieb mit angeschlossenem Erholungs- und Massagebereich. Seit Mitte 2007 sollen sich die Eigner der »Wellnesseinrichtung« in finanziellen Schwierigkeiten befinden. Nach Angaben regionaler Medien wurde in dem Gebäudekomplex nicht nur bei Saunagängen geschwitzt. Tätigkeiten des horizontalen Gewerbes sollen hier als käufliche Leistungen angeboten worden sein. Der zweifelhafte Ruf, die Prostitution zu fördern, blieb nicht ohne Auswirkungen. Nach Bekanntwerden dieser Vorgänge begann der finanzielle Niedergang der »Mühlensauna«. Aufgrund der finanziellen Schieflage versuchte die »Mühlensauna GmbH« daraufhin das Gebäude zu veräußern. Bislang jedoch ohne nennenswerten Erfolg.


Eine konspirative Veranstaltung

Am Tag der angekündigten Veranstaltung waren einige der vorab informierten Pressevertreter_innen vor Ort. Anreisende Neonazis sollen bei der Veranstaltung gefilmt, die Kaufabsichten von Jürgen Rieger an das Tageslicht gezerrt werden. Als einzige Abgesandte erschienen zu der »ganztägigen Veranstaltung« dann lediglich zwei Vertreter der NPD/JN Verden. Der 25jährige Matthias Schulz, stellvertretender Kreisbereichsleiter der NPD Verden, sowie Daniel Fürstenberg, seines Zeichens NPD Ratsmitglied in der Gemeinde Dörverden.

Anstatt die »Veranstaltung« nun abzusagen, gaben die beiden Aktivisten der niedersächsischen Neonaziszene den anwesenden Journalist_innen bereitwillig Auskunft. Entgegen der eigenen Richtlinien der NPD nicht ohne vorherige Absprachen mit Pressevertreter_innen zu kommunizieren, erhielten die, ansonsten in Veröffentlichungen der NPD Verden als Systemmedien bezeichneten Journalist_innen, im folgenden Gespräch tiefe Einblicke in die eigentlichen Hintergründe des Treffens. Ob der Überraschungseffekt eines auftauchenden Fernsehteams die geschulten Neonazikader dazu veranlasste, Pläne bezüglich der »Mühlensauna« gegenüber den Medienvertreter_innen offenzulegen, bleibt abzuwarten. Ein Schelm wer bislang Böses dabei denkt.


Das NPD Büro in einer Sauna

Obwohl Fernsehkameras nicht zur Grundausstattung von »geheimen Neonazitreffen« gehören, führten die beiden Neonaziaktivisten souverän durch die nun stattfindende »spontane« Pressekonferenz. Nach ihren Angaben könne in den Räumlichkeiten ein »NPD Bürgerbüro« des NPD Kreistagsabgeordneten Rigolf Hennig entstehen. Auch das Platzangebot, welches »Zeltmöglichkeiten« beinhalten würde, begeisterte zumindest Daniel Fürstenberg.

Der NPD Aktivist, der in einem später zu den Vorgängen veröffentlichten Fernsehbericht fälschlicherweise als »Daniel Freudenberg« vorgestellt wurde, berichtete in der späteren Ausstrahlung von insgesamt zwei möglichen Investoren für die als »Freudenhaus« in Verruf gekommene »Mühlensauna«. Nach Auskunft von Fürstenberg würden es von finanzieller Seite keine Probleme beim Erwerb der Räumlichkeiten kommen.

Angesichts kaum vorhandener Geldmittel der NPD Niedersachsen scheidet der Landesverband der NPD allerdings als möglicher Investor bereits im Vorfeld aus. Da auch Jürgen Rieger, der von Medienseite als möglicher Käufer der Immobilie gehandelt wird, nach Einlassungen als Angeklagter in einem Gerichtsprozess derzeit nur über einen eingeschränkten finanziellen Spielraum verfügt, erscheint sein Engagement in Achim Embsen mehr als fraglich. Auch der niedersächsische Landesverband der Jungen Nationaldemokraten (JN), wird bei einem möglichen Erwerb der »Mühlensaune« keine Rolle spielen. Nachdem die Leitung der JN-Niedersachsen 2006 durch Daniel Fürstenberg übernommen wurde, steht der Landesverband nach Angaben von Szenebeobachter_innen vor dem finanziellen Kollaps.


Wichtigste Waffe: Öffentlichkeit schaffen

Die Aktivitäten der NPD Verden im Zusammenhang mit der »Mühlensauna« in Achim Embsen entpuppt sich bei näherer Begutachtung als inszenierte Werbeaktion. Der Name des Hamburger Rechtsanwaltes und bekennenden Rassisten Jürgen Rieger im Zusammenhang mit dem Erwerb von Immobilien gilt szeneintern als Garant für mediale Aufmerksamkeit und Berichterstattung.

Im Jahr 2004 streuten Neonazis aus dem Umfeld der NPD Verden Gerüchte, dass der Hamburger Rechtsanwalt am Erwerb der Stadthalle in Verden interessiert sei. Eine darauf einsetzende Lawine der Berichterstattung spülte einem damals gegründeten Bündnis, welches sich gegen die Kaufabsichten Riegers engagierte, einen ungeahnten Geldsegen in die Spendenkassen. Allein in der ersten Woche kamen dabei Spenden in einem Volumen von über 40.000,- Euro zusammen. Insgesamt wurden im Verlauf der Kampagne 230.000,- Euro gesammelt. Ein offizielles Angebot von Jürgen Rieger für die Stadthalle in Verden gab es hingegen nie. In einem Interview mit dem Hamburger Magazin »Spiegel« gab Rieger sogar offen zu, dass es sich bei den Kaufabsichten um einen Trick gehandelt hat. Rieger dazu: »Natürlich wollte ich die Halle nie haben, das Bauamt hat uns geärgert, deshalb wollten wir die Stadt Verden ärgern!«

Die künstliche Drohkulisse einer möglichen Immobilienerwerbung durch Neonazis entpuppte sich als wahre Werbemaschinerie für Neonazis und in finanzielle Nöte geratene Hauseigentümer_innen. Der Name Jürgen Rieger entwickelte sich in diesem Zusammenhang dabei zum bislang medienwirksamsten Zugpferd der extremen Rechten. Kurzfristig existierte sogar eine Internetseite auf der angeboten wurde, mit einem fingierten Angebot durch neonazistische Organisationen eine Drohkulisse aufzubauen, die den Verkaufswert von Immobilien für die Eigentümer_innen steigern soll.

Das bislang größte Aufsehen erregte 2006 eine angebliche Absicht von Jürgen Rieger, einen Hotelkomplex im niedersächsischen Delmenhorst zu erwerben. Nach Angaben von Szenebeobachter_innen und Informant_innen innerhalb des neonazistischen Spektrums müssen diese konkreten Absichten allerdings im Reich der Fabeln angesiedelt werden. Monatelang hielt die Berichterstattung der regionalen und überregionalen Medien über die angeblichen Kaufabsichten die Bevölkerung von Delmenhorst in Atem.

Informant_innen der Neonaziszene berichteten, dass durch diese groteske Drohkulisse der eigentliche Wert des Hotelkomplexes in eine unverhältnismäßige Höhe getrieben werden sollte. Dieses Schauspiel mit zeitweilig abstrusen Formen, erbrachte dem Eigentümer des Hotels schlussendlich eine enorme Kaufsumme von 3 Millionen Euro. Skurriler weise kündigte Rieger bereits im September 2006 an, ein endgültiges Kaufangebot für den Hotelkomplex in Delmenhorst vorzulegen. Nachdem der Termin für dieses »endgültige Angebot« verstrichen war, vergingen weitere Monate, bis am 20. Dezember der Spuk durch den Verkauf der Immobilie an die Stadt Delmenhorst beendet wurde. Nach Angaben von Aussteiger_innen soll Rieger für seine Schützenhilfe insgesamt 10 Prozent des letztendlich erzielten Betrages erhalten haben.


Preissteigerung mit brauner Soße

Derartige Scheinabsichten, die wie beim beabsichtigten Kauf der Stadthalle in Verden an Betrug grenzen, häufen sich in der jüngsten Zeit zu einer vielerorts gezogenen Karte. Mit diesem Trumpf verdingen sich Neonazis als Helfershelfer um Preise nahezu unverkäuflicher Immobilien in die Höhe zu treiben. So zum Beispiel 2007 im nordrhein-westfälischen Menden. Ein angebliches Kaufinteresse von Jürgen Rieger, nötigte die ohnehin verschuldete Gemeinde zum Kauf eines Anwesens. Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz spricht seitdem offen von «Scheinkäufen» durch die rechtsextreme Szene und warnt vor einem vorschnellen Einlenken durch die betroffenen Gemeinden.

Im Oktober 2007 geschah ein ähnlich gelagerter Fall im ostfriesischen Wittmund. Der Besitzer eines Bahnhofhotels drohte damit, seine Räumlichkeiten auch an die rechtsextreme Szene zu veräußern. Auch der Name Jürgen Rieger wurde daraufhin von Medienvertreter_innen als möglicher Interessent ins Spiel gebracht. Im Gegensatz zu Delmenhorst ruderte der Besitzer der Immobilie nach Intervention des Wittmunder Stadtrates allerdings bereits nach wenigen Tagen zurück. Die sich bereits in den Startlöchern befindliche Medienmaschinerie stellte die Berichterstattung ein.

Dass die Scheinkäufe durch die rechtsextremistische Szene mitunter auch absurde Formen annehmen, zeigt der Fall eines angeblich beabsichtigen Kaufes im niedersächsischen Melle. Jürgen Rieger kündigte an, das dortige Bahnhofsgebäude zu erwerben. Mit einem Angebot von rund 700.000,- Euro, welches um ein vielfaches über dem eigentlichen Wert der Immobilie lag, sollte Szenebeobachter_innen zufolge, der Preis nach dem Vorbild der Geschehnisse in Delmenhorst nach oben getrieben werden. Zur Unterstreichung der »ernstgemeinten« Kaufabsichten wurde prompt eine NPD-Fahne auf dem Dach des Gebäudes befestigt und der Briefkasten mit NPD-Klebezetteln verziert. Der Plan ging auf. Nach zwei Monaten trat Rieger abermals von seinen Kaufabsichten zurück. Die Stadt Melle verkündete zuvor, dass es nun ihrerseits Überlegungen gibt, den Bahnhof zu erwerben.

Auch die NPD Niedersachsen versuchte durch beabsichtigte Immobilienkäufe ein solch enormes Medienecho zum eigenen Vorteil hervorzurufen. Pünktlich zu Beginn des niedersächsischen Landtagswahlkampf 2008 wurde bekannt das Andreas Molau, Spitzenkandidat der NPD Niedersachsen, ein Anwesen in Brandenburg erworben habe. Der Versuch durch Aktivitäten dieser Art ein anhaltendes Medieninteresse für den Spitzenkandidaten Andreas Molau zu erzeugen, scheiterte allerdings. Die angebliche Verwirklichung einer »nationalen Waldorfschule« wurde nur kurze Zeit später auf Eis gelegt.

Die zaghafte Wiederholung des Schauspiels durch die Ankündigung, eine Immobilie in Südniedersachsen zu erwerben, brachte der NPD Niedersachsen ebenfalls nicht die erhoffte Medienresonanz. Nach Beendigung des niedersächsischen Wahlkampfes sind die Pläne der NPD Niedersachsen bezüglich Immobilienkäufen ebenso schnell verschwunden wie sie im Verlauf des Wahlkampfes aus der Schublade gezaubert wurden.


Die Karawane zieht durchs Land

Bislang praktizierte Taktiken, durch ein öffentlich geäußertes Kaufinteresse für Schlagzeilen zu sorgen, scheinen nun auch in Achim Embsen fortgeführt zu werden. Die laienhafte Schauspielkunst der beiden NPD Aktivisten Matthias Schulz und Daniel Fürstenberg erscheint dabei nur allzu offensichtlich. Das Fernsehteam, welches zur »Mühlensauna« in Achim Embsen durch die Ankündigung einer »konspirativen Veranstaltung« gelockt wurde, lieferte daraufhin die erhofften Schlagzeilen.

Um die Pläne noch bedrohlicher erscheinen zu lassen brachten die nur wenig überraschten NPD Funktionäre folglich wage den Namen von Jürgen Rieger ins Spiel. Weithin sichtbar wurde zu dem »geheimen NPD Treffen« außerdem die obligatorische NPD-Fahne medienwirksam am oberen Fenster des Mühlenturms in Achim Embsen befestigt. Der Vergleich mit dem Ablauf in der Stadt Melle drängt sich förmlich auf. Zur Abrundung des Spektakels äußert sich der eigentliche Besitzer der »Mühlensauna« im anschließenden Interview dahingehend, dass er einem Verkauf an rechtsextremistische Investoren nicht abgeneigt sei. Der Eindruck »einer wahren Bilderbuchgeschichte« lässt sich nicht abstreiten, geben Szenebeobachter_innen im Hinblick auf die angeblichen Kaufabsichten zu bedenken.

Nichtsdestotrotz sei Wachsamkeit geboten. Die Neonaziszene ist trotz aktueller finanzieller Schwierigkeiten dahin bestrebt das bereits vorhandene Immobiliennetz auszubauen. Insbesondere die neonazistische NPD ist weiterhin auf Räumlichkeiten für Schulungsveranstaltungen und Versammlungen angewiesen. Laut einer Pressemitteilung auf ihrer Internetseite ist auch die NPD darum bemüht kleinere Räumlichkeiten für ein »Bürgerbüro&Laquo; im Landkreis Verden zu erwerben. Im aktuelle Fall in Achim Embsen verdichten sich allerdings die Eindrücke, dass es sich um eine propagandistische Inszenierung handelt.

Der Eigentümer Andreas Lange ließ inzwischen verlauten, dass er neben der neonazistischen NPD bereits mit »zwei« weiteren Kaufinteressenten für den Gebäudekomplex in Verhandlung steht. Diese wollen seinen Angaben zufolge in den Räumlichkeiten eine »sauna-ähnliche Nutzung in Richtung Club mit gehobenen Niveau« verwirklichen. Zu Beginn des Jahres habe er diesbezügliche Pläne bereits vor Vertretern der Stadt Achim kundgetan. In Bezug auf die Vorstellungen der Investoren habe er allerdings eine Abfuhr von Seiten des Rathauses erhalten.

»Anscheinend nimmt man mich dort nicht erst«, so Andreas Lange weiter. Ironischer weise tritt an diesem Punkt nun die NPD Verden in Erscheinung. Auch Daniel Fürstenberg bringt sogleich »zwei« Investoren ins Spiel, die Interesse an dem Gebäudekomplex zeigen würden. Der Eindruck entsteht, dass die NPD Verden als Druckmittel dazu beitragen soll, um die Stadt Achim die bisherigen Pläne von Andreas Lange als geringeres Übel sehen zu lassen. Im Bezug auf die Entstehung eines »neonazistischen Schulungs- und Wellnesszentrums mit europaweiter Bedeutung« in Achim Embsen sieht die Stadt inzwischen Handlungsbedarf. Man werde mit baurechtlichen Mitteln gegen die Verwirklichung der Pläne vorgehen, ließen Vertreter_innen der Stadt verlauten.