19.04.2008 / Stolberg: Ein Trauerspiel

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Der Aufmarsch in Stolberg bei Aachen wurde von einem großen Block Neonazis aus dem Spektrum der so genannten »Autonomen Nationalisten« angeführt. Die Mitglieder des »schwarzen Blockes«, allesamt stramme Neonazis aus dem ganzen Bundesgebiet und vor allem aus dem Ruhrgebiet, stellen einen neuen Versuch der rechten Szene dar, Jugendliche mit vermeindlich poppigem Auftreten an braune Ideologien zu binden. Die Szene übernimmt dabei den Stil der antifaschistischen Linken und versucht sich an der Kopie von Auftreten und Aktionsformen autonomer Antifaschist_innen. Die Interpretation eines solchen Kopieversuches von rechts ist an diesem Samstag in Aachen bei Stolberg zu beobachten gewesen. Der «schwarze Block» versuchte sich immer wieder an der Auseinandersetzung mit den anwesenden Polizist_innen, die den Aufmarsch aufgrund diverser Auflagenverletzungen immer wieder für Stunden stoppten.

Die Polizei gibt an, bereits bei Vorkontrollen unter anderem eine Axt, ein Messer sowie Quarzhandschuhe und Pfefferspray gefunden zu haben. Außerdem wurde den Neonazis das Tragen von Transparenten untersagt, die zu Gewalt gegen Antifaschist_innen und Migrant_innen auffordern. Eine solche Gewaltbereitschaft der Szene kam für Beobachter_innen keineswegs überraschend. Sie ist vielmehr Resultat einer gezielt forcierten Stimmung unter den Neonazis, die nach dem Vorfall in Stolberg am 04. April zu beobachten war.

In der Nacht des 04. April 2008 wurde der 19-jährige Kevin P. nach einer Auseinandersetzung mit einer Gruppe Personen mit Migrationshintergrund mit einem Messer niedergestochen. Der 19-jährige erlag daraufhin seinen Verletzungen im Krankenhaus. Bereits am nächsten Tag marschierten rund 160 Neonazis in Stolberg auf. Es kam auch hier zu Übergriffen auf Polizist_innen.

Das 19-jährige Opfer war an dem Tatabend zusammen mit einem NPD-Mitglied unterwegs. Sein Begleiter hatte zuvor an einer Veranstaltung der rechtsextremen Partei in Stolberg teilgenommen. Diese Grundlage muss für diverse Strategen der rechten Szene einem Steilpass gleichgekommen sein. Auf den Internetportalen der Szene erschienen in den Folgetagen diverse Berichte über den Totschlag und das Opfer. Dabei wurde vor allem versucht den politische Hintergrund des Opfers zu deuten.

Kevin P. soll in seinem Profil bei der Internetplattform »Studivz« bei seiner politischen Orientierung »rechts« angegeben haben. Für Nutzer_innen des Portals muss klar sein, dass es sich dabei nicht um eine explizit politische Positionierung handelt, kann man doch in diesem Feld unter vorgegebenen Möglichkeiten wie »links«, »Mitte links«, »liberal«, »Mitte rechts« oder eben »rechts« wählen. Die Polizei spricht in diesem Zusammenhang von einer »Affinität zur rechten Szene«, die das Opfer gehabt haben soll. Für die Szene selbst und die veröffentlichten Berichte spielt das offenbar nur eine untergeordnete Rolle. Es geht in erster Linie um die Schaffung eines Märtyrers. Eine Möglichkeit, die sich die Szene nicht entgehen lassen wollte. Für die Neonazis war schnell klar, dass es sich bei dem 19-jährigen, wenn nicht um einen »aktiven Hardliner«, so doch um einen »national gesinnten Deutschen« gehandelt haben muss. Und das, obwohl sich die Eltern von Kevin P. gegen diese Instumentalisierung wehren und von der »Aachener Zeitung« unter anderem mit den Worten »Hört auf, über unseren Sohn zu lügen« zitiert werden.

Das Interesse der bundesdeutschen Neonaziszene an dem Vorfall in Stolberg erklärt sich aus bestimmten, in der Szene vorhandenen ideologischen Vorstellungen. Die vermeintliche Gewissheit als Deutscher eine Minderheitenrolle gegenüber Migrant_innen einzunehmen zählt unter anderem dazu. Der Tod von Kevin P. gab solchen Vorstellungen neue Nahrung und wird von den führenden Kader auch in diesem Sinne eingesetzt um eine rassistische und fremdenfeindliche Kampagne zu initiieren. Außerdem bietet sich die Chance mit dem Aufbau eines Märtyrers einen Ersatz für die zunehmend floppenden »Rudolf-Hess-Aufmärsche« zu schaffen. Als Vorbild wurde von einem Neonazi in den letzten Tagen der jährlich stattfindende »Trauermarsch« im schwedischen Salem genannt.

Seit 2000 findet in dem kleinen Vorort von Stockholm einer der größten NS-Aufmärsche in Europa statt. Die Teilnehmer_innen kommen unter anderem auch aus Deutschland und den USA. Als Anlass wird der Tod des 17-jährigen Daniel Wretström instrumentalisiert, der in der Nacht des 8. Dezembers 2000 bei einem Streit mit einer Gruppe Migrant_innen zu Tode kam. Der Aufmarsch wird von der »Blood & Honour Sektion Stockholm« um Thomas Ölund organisiert. Einer der prominentesten Teilnehmer des Aufmarsches im schwedischen Salem ist Christian Worch. Worch ist langjähriger Kader der norddeutschen Kameradschaftsszene und Anmelder des Aufmarsches in Stolberg.

Das schwedische Vorbild hat vermutlich eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Planung gespielt. Auf den Internetplattformen der rechten Szene entbrannte im Vorfeld eine Diskussion über das Datum des Aufmarsches. Wobei die militanten Kameradschaften um den Hamburger Christian Worch, der im ganzen Bundesgebiet als Anmelder diverser Neonazi-Veranstaltungen fungiert, die Position bezogen, bereits am 12.04 und nicht wie aus NPD-Kreisen geplant am 26.04 auf zu marschieren. In folge dessen organisierten unter anderem Neonazis aus dem Umfeld der Kameradschaftsszene in Chemnitz, Delitzsch und Altenburg Busse. Nach Eigenangaben reisten allein aus diesen Kameradschaftsstrukturen 150 Personen an.

Der Aufmarsch selbst machte allerdings nicht den Anschein, als ob es sich um einen Trauermarsch handeln würde. Christian Worch beklagte sich bereits am Anfang per Lautsprecherwagen über die Vorkontrollen und bezeichnete diese als »Systemwillkür«. Nach dem Eintreffen der kontrollierten Neonazis vom Hauptbahnhof, eröffneten Christan Worch und Willibert Kunkel von der NPD den Aufmarsch, der hermetisch von der Polizei abgerigelt wurde.

Der Aufmarsch wurde bereits nach 50 Metern von der Polizei wegen vermummter Teilnehmer_innen gestoppt. Sekunden nach dem Herausgreifen der betreffenden Person durch die Polizei wurde aus der Demonstration ein Feuerwerkskörper gezielt auf eine anwesende Journalistin geworfen. Wenig später entfernte sich ein offensichtlich leicht verletzter Neonazi der als Ordner eingesetzt war, aus dem stillstehenden Demonstrationszug und griff einen anwesenden Fotojournalisten tätlich an. Aufgrund der aufgeheizten Stimmung schien ein Abbruch des Aufmarsches von Seiten der Polizei zeitweise äußerst wahrscheinlich.

Trauer gegenüber dem Verstorbenen oder Mitgefühl gegenüber den Angehörigen kam nicht zum Ausdruck. In allen gehaltenen Reden war ausschließlich von Hass und Rache die Rede. Damit fand eine Anknüpfung an die zuvor im Internet zu lesenden Reaktionen der Rechtsextremist_innen statt. Hier schrieb eine_r: »Ins Gas mit dem ganzen Auslaender Ungeziefer -- radikal und gnadenlos«.