26.04.2008 / Stolberg: «Nazis auf die Fresse hauen!»

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Die als «Trauermarsch» angekündigte Veranstaltung von Neonazis im nordrhein-westfälischen Stolberg am 26.04.2008 sollte nach Eigenbekunden der Initiatoren der Startschuss für eine jährlich stattfindende Veranstaltung der Neonazisszene werden. Von den erwarteten Teilnehmer_innen im vierstelligen Bereich erschienen allerdings nicht einmal die Hälfte. Neben dem zweifelhaften Charakter der «Gedenkveranstaltung» offenbarte der Aufmarsch heftige interne Streitigkeiten der beteiligten Gruppierungen. Der schon seit geraumer Zeit schwellende innere Konflikt gipfelte in zum Teil handfesten Auseinandersetzungen.

Hintergrund des Aufmarsches war der Tod eines 19jährigen aus dem nahe gelegenem Eschweiler. Der Jugendliche war in der Nacht von vierten auf den fünften April nach einem eskaliertem Streit in Stolberg niedergestochen worden. Kurze Zeit später erlag er seinen schweren Verletzungen. Das neonazistische Lager versucht nun das Opfer in die Rolle eines Märtyrers zu verklären - der Migrationshintergrund der mutmaßlichen Täter dient der Szene hierbei als Anlass. Nach einer Mahnwache wenige Stunden nach der Tat sowie eines Aufmarsches parteiunabhängiger Neonazis zwei Wochen zuvor, bildete dieser Aufmarsch in der rheinländischen Kleinstadt nun bereits die dritte Veranstaltung der rechtsradikalen Szene in diesem Monat.


Auf nach Stolberg

Bei der Veranstaltung am 26.04.2008 handelte es sich dieses Mal um einen Aufmarsch der neonazistischen NPD. Ingo Haller, Kreisvorsitzender der NPD Düren, trat hierbei als Veranstaltungsleiter in Erscheinung. Unter der Leitung des niedersächischen Neonaziaktivisten Manfred Börm sollte der parteieigene NPD-Bundesordnerdienst für einen reibungslosen Ablauf der Veranstaltung sorgen. Angereiste Ordnerkräfte stammten hierbei fast vollständig aus Strukturen der neofaschistischen Kader- und Jugendorganisation «Heimattreue Deutsche Jugend» (HDJ). Unterstützt wurden sie darüber hinaus von Neonazis aus der örtlichen Region.

Die rund 450 Teilnehmer_innen aus mehreren Bundesländern und europäischen Nachbarstaaten reisten größtenteils mit dem Zug in die Kleinstadt im Kreis Aachen. Neben Mitgliedern des NPD Bundesvorstandes sowie diverser Orts- und Landesverbände der NPD stellten Aktivist_innen militanter Kameradschaftsgruppen den größten Teil der Veranstaltungsteilnehmer_innen. Zu diesem Spektrum gehörten unter anderen Mitglieder der «Kameradschaft Aachener Land» (KAL), die «Kameradschaft Northeim» um den ebenfalls anwesenden Thorsten Heise, die «Kameradschaft Hegenau» am Bodensee sowie eine Kameradschaftsgruppe aus dem Sauerland welche unter der Bezeichnung «Anti-Antifa Sauerland» auftrat.

Desweiteren fanden sich rund 120 Teilnehmer_innen aus dem Spektrum der rechtsradikalen «Autonomen Nationalisten» in Stolberg ein. Den größten Block stellten hierbei im «Aktionsbüro West» organisierte Gruppen. Neben Gruppierungen wie die «NS Mainz-Bingen» oder die «NS Niederrhein» traten, wie bereits am 12.04.2008, vor allem «Autonome Nationalisten» aus dem Großraum Dortmund und Dusiburg in Erscheinung. Auch Neonazis aus der Schweiz, dem angrenzenden belgischen Flandern sowie den Niederlanden reisten in die Kleinstadt im Dreiländereck.


«Wer will noch Kerzen?!»

Der Charakter des «Gedenkmarsches» blieb bis zuletzt fragwürdig - von Trauer keine Spur. Die von dem sichtlich amüsierten NPD Mitglied Ingo Haller wie Blumen auf einem Wochenmarkt angepriesenen Windlichter sorgten vielmehr für allgemeine Heiterkeit unter einigen der angereisten Teilnehmer_innen. Als erste Redner traten dann Wilibert Kunkel, NPD Ratsmitglied in Stolberg, und der Hamburger Neonaziaktivist Christian Worch vor die angereisten Teilnehmer_innen.

Gegen 13:00 Uhr setze sich der Aufmarsch in Richtung des Ortes in Bewegung, an dem der 19jährige Jugendliche vor etwa drei Wochen verstarb. Dort sollten Blumen und besagte Windlicher abgelegt werden. Dass, trotz der Anwesenheit von rund 450 Teilnehmer_innen, lediglich ca. 25 Kerzen am Ort des Geschehens hinterlassen wurden, scheint auch dem Kaufpreis von Ingo Hallers Windlichtern geschuldet gewesen zu sein.

Während einige der eingesetzten NPD Ordnungskräfte trotz eines Rauchverbots von Seiten der Veranstaltungsleitung heimlich zur Zigarette griffen, kontrollierte das NPD-Bundesordnermitglied Christian Fischer die korrekte Haltung sowie den Bodenabstand der gesenkten Fahnen. Nach einer symbolischen Schweigeminute setze sich der Aufmarsch wieder in Bewegung. Spätestens jetzt verschwand die Trauerstimmung der angereisten Teilnehmer_innen gänzlich. Christian Müller, Phillipp John sowie Patrick Wiedorn, ihres Zeichens thüringische Aktivisten der neonazistischen «Volksfront-Medien», beendeten das von der Versammlungsleitung auferlegte Sprechchorverbot.

Ein Eindruck der gewollten Inszenierung lässt sich bei genauerer Betrachtung der Ereignisse nicht von der Hand weisen. Der mit einem Megaphon ausgerüstete Phillip John wartete mit dem Einsetzen der Anfeuerungsrufe auf das Zeichen seiner beiden mit Videokameras ausgestatteten Kameraden. Nach wenigen Minuten schlossen sich dann, gegen den Willen der NPD Ordnungskräfte, der Großteil der restlichen Aufmarschsteilnehmer_innen den Sprechchören an.


«Nazis auf die Fresse hauen!»

Um nicht den Eindruck der beabsichtigten Vermummung entstehen zu lassen, forderte der Leiter des NPD Ordnungsdienstes, Manfred Börm, Mitglieder der «Autonomen Nationalisten» dazu auf, ihre Gesichter nicht hinter den mitgeführten Transparenten zu verdecken. Daraufhin attackierte der in Duisburg wohnhafte Steffen Pohl das NPD Bundesvorstandsmitglied und stieß Börm einige Schritte zurück. Die nun von Börm herbeigerufenen NPD-Ordner lieferten sich daraufhin ein kurzes Handgemenge mit Teilen der «Autonomen Nationalisten», die ihrerseits Steffen Pohl Unterstützung leisteten.

In der durch die Auseinandersetzung aufgeheitzen Stimmung forderte Christian Müller aus Thüringen drastische Schritte. Die Parole «Nazis auf die Fresse hauen» sollte mit Hilfe des mitgeführten Megaphones angestimmt werden. Er forderte Phillipp John mehrfach, doch schlußendlich vergebens dazu auf. Nach kurzer Zeit beruhigte sich die Situation wieder und der Aufmarsch wurde fortgesetzt.

Bei der folgenden Abschlußkundgebung setzten sich die Widersprüche zwischen «Autonomen Nationalisten» sowie NPD und Kameradschaftzsszene fort. Während die NPD, allen voran Udo Voigt und Wilibert Kunkel in ihren jeweiligen Redebeiträgen in erster Linie Wahlkampf betrieben, beschritt der Redner Sven Skoda als Vertreter der «Freien Kräfte» einen anderen Weg. «Trauer, Wut, Widerstand!» Sei das Motto des Tages, gab Skoda in Richtung der Zuhöhrer_innen bekannt. «Dem ist mindestens noch ein viertes hinzuzufügen: Angriff!» so Skoda weiter.

Redner an diesem Tag waren Wilibert Kunkel, Christian Worch, der NPD Bundesvorsitzende Udo Voigt, Claus Cremer als NPD Landesvorsitzender von Nordrhein Westfalen, der JN Bundesvorsitzende Michael Schäfer aus Werningerode, Peter Marx sowie das Mitglied im «Kampfbund Deutscher Sozialisten», Axel Reitz. Die beiden letztgenannten erregten mit ihrem Auftritt bei einigen der anwesenden Teilnehmer_innen weiteren Unmut. Sowohl Marx als auch Reitz waren ursprünglich nicht als Redner vorgesehen. Der NPD Generalsekretär Peter Marx sorgte mit Äußerungen wie, dass die «Autonomen Nationalisten durch den Staat gefördert werden» in der Vergangenheit für interne Streitigkeiten.

Dass Peter Marx und Axel Reitz auf die spontane Aufforderung von Ingo Haller «Möchte denn noch jemand einen Beitrag am Mikrophon geben?» ausgearbeite Redebeiträge hielten, verwunderte nicht nur außenstehende Beobachter_innen. Im Gegensatz zu Marx, der wiederum Wahlkampfthemen propagierte, sah der am 14. April aus der Haft entlassene Axel Reitz einen in Deutschland stattfindenen «Rassenkampf, den wir dabei sind zu verlieren». Dies dürfe man nicht zulassen.

Nachdem am Vorabend rund 1200 Menschen an einer Protestveranstaltung gegen den Neoanziaufmarsch teilgenommen hatten, demonstrierten am Tag des Aufmarsches etwa 850 Gegendemonstrat_innen gegen die angereisten Neonazis. Laut Angaben der Polizeiführung waren am 26.08.2008 rund 1500 Polizeibeamt_innen im Einsatz. Im Verlauf der Veranstaltung kam es zu insgesamt 20 Ingewahrsamnahmen. Fünf davon aus dem rechtsradikalen Lager. Im Nachhinein beklagten sich Neonazis auf einschägigen Internetseiten darüber, dass Wilibert Kunkel den Einsatzkräften der Polizei bei der Festnahme rechter Aufmarschsteilnehmer_innen zum Teil behilflich gewesen sein soll.

Im Nachhinein dürften die angereisten Neonazis auch mit folgender Bewandnis nicht zufrieden sein. Zu Beginn des Aufmarsches war ein vierköpfiges russisches Kamerateam von Ingo Haller auf der Rednerbühne den Veranstaltungsteilnehmer_innen als befreundete Journalist_innen vorgestellt worden. Während andere Journalisten_innen bei ihrer Arbeit behindert wurden, konnten diese ungehindert in den Reihen der Neonazis Dokumentationsarbeit leisten sowie Interviews führen. Manfred Börm bezeichnete sie im Verlauf der Veranstaltung sogar als «faschistische Gesinnungskameraden aus Russland». Einer der Journalist trug dabei auf seinem Pullover, klar sichtbar den Schriftzug einer linksradikalen Ska-Punkband aus Moskau. Dass die Neonazis das Kamerateam trotz dessen für «Verbündete» hielten, kommentierte einer der Journalisten von dritten russischen Kanal nach Beendigung des Aufmarsches mit den abschließenden Worten «Nazis sind halt dumm».