07.05.2008 / Vlotho: «Collegium Humanum» wird verboten

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Das rassistische und neofaschistische «Collegium Humanum» ist am 07.05.2008 durch das Bundesinnenministerium mit sofortiger Wirkung verboten worden. In diesem Zusammenhang wurden rund 30 Objekte im gesamten Bundesgebiet durchsucht. Schwerpunkte waren Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen. Weitere betroffene Immobilien sind in Hamburg, Brandenburg und Baden-Würtemberg zu finden. Alleine in Niedersachsen wurden 10 Objekte von Einsatzkräften der Polizei in Augenschein genommen. In den frühen Morgenstunden läutete es unter anderem an Haustüren in den Landkreisen Oldenburg, Rotenburg (Wümme) und Hannover. Von dem Verbot sind auch die angegliederten Teilorganisationen «Bauernhilfe e.V.» sowie der «Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten» betroffen.

Schon 2007 bezeichnete die Bundestagsfraktion der Linkspartei das «Collegium Humanum» als «Zentrum für offen neonazistische und antisemitische Aktivitäten» und verlangte eine Prüfung der Erkenntnisse über verfassungsfeindliche oder verfassungswidrige Betätigung des Vereins sowie eine Prüfung der Gemeinnützigkeit. Anfang diesen Jahres forderte dann die Bundestagsfraktion von Bündnis90/die Grünen die Bundesregierung auf, ein Verbotsverfahren gegen den Verein zu prüfen.

Das «Collegium Humanum» wurde 1963 von dem ehemaligen NSDAP Mitglied Werner Georg Haverbeck im ostwestfälischen Vlotho gegründet. In der Zeit des Hitlerfaschismus war Haverbeck unter anderem in der Reichsleitung der NSDAP tätig. Seit 1981 entwickelte sich der als gemeinnützig anerkannte Verein zu einem Sammelbecken von Antisemiten und Holocaustleugnern des neofaschistischen Spektrums. Auch Mitglieder der neonazistischen «Freien Kameradschaften» sowie der so genannten «Neuen Rechten» nutzten den Verein gezielt als Anlaufstelle für eigene politische Aktivitäten.

Der 1999 verstorbene Haverbeck beschäftigte sich seit Beginn der 1960er mit «Umwelt- und Lebensschutz» und arbeitete zeitweise als Berater des ehemaligen Bundesministers für wirtschafliche Zusammenarbeit, Egon Bahr (SPD). Haverbeck, früherer SS-Untersturmbannführer, gehörte 1981 zu den Erstunterzeichnern des «Heidelberger Manifests», in dem die „Überfremdung unseres Volkstums“ behauptet und eine ausländerfeindliche Politik gefordert wurde. Besonders durch sein Engagement im Bereich der «Ökologiebewegung» in Verbindung mit einer von ihm vertretenen «Blut und Boden»-Ideologie sorgte Haverbeck bis zu seinem Tod für Schlagzeilen.

Der vereinseigene Gebäudekomplex im Vlothoer Stadteil Valdorf ist mit 50 Betten und Räumlichkeiten für bis zu 150 Personen ausgestattet. Seit Beginn der 1980er fanden dort immer wieder mehrtägige Schulungen, Seminare und Treffen mit eindeutiger nationalsozialistischer, antisemitischer und völkischer Thematik statt. So tagte dort 1984 ein «Komitee zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Adolf Hitlers», zu dem auch die bekannten Neofaschist_innen Chrsitian Malcoci und die inzwischen verstorbene Florentine Rost von Tonningen gehörten.

1994 übernahm kurzzeitig ein Duisburger Zahnmediziner die Leitung des «Collegium Humanum», zog sich aber nach starken Protesten aus der Bevölkerung zurück. Nachfolgerin wurde Ursula Haverbeck-Wetzel. Neben Ursula Haverbeck zählte der in der Vergangenheit wegen Volksverhetzung verurteilte und derzeit inhaftierte Horst Mahler zu den prominentesten Mitgliedern des Vereins.

Zusammen mit dem «Weltbund zum Schutze des Lebens» (WSL) gab das Collegium die zweimonatlich mit einer Auflage von 3.000 Exemplaren erscheinende «Stimme des Gewissens» heraus. Im Jahr 2003 wurden zwei Ausgaben auf Grund des Vorwurfs der Holocaustleugnung beschlagnahmt. Die sich selbst als «Ostvertriebene» bezeichnende Ursula Haverbeck-Wetzel und Witwe von Werner Georg Haverbeck wurde 2004 im Zusammenhang mit der Beschlagnahmungen der «Stimme des Gewissens» (2003) vom Amtsgericht Bad Oyenhausen wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe in Höhe von 5400 € verurteilt

Die 80jährige Haverbeck war nicht nur Vorsitzende des «Collegium Humanums», sondern auch stellvertretende Vorsitzende des «Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten». Bei der Razzia in den Räumlichkeiten des Vereingebäudes in Vlotho soll die 1928 geborene «Alte Dame» der neofaschistischen Szene allerdings nicht anwesend gewesen sein.

Die als langjährige Überzeugungstäterin geltene Haverbeck, war in der Vergangenheit auf einer Vielzahl neofaschistischer Veranstaltungen anzutreffen. So nahm sie im Jahr 2004 am sogenannten «Rudolf-Hess-Gedenkmarsch» im bayrischen Wunsiedel teil. In einem Redebeitrag, den sie im Verlauf des Aufmarsches vor den rund 4000 versammelten Neonazis hielt, zeigte sie sich erfreut über die große Anzahl derer, die gekommen waren um gemeinsam mit ihr den Stellvertreter Adolf Hitlers in Wunsiedel zu verherrlichen.

Am 30.05.05 nahm sie unter anderem zusammen mit dem ehemaligen Rechtsanwalt Horst Mahler und Mitgliedern der militanten Kameradschaftsszene sowie der NPD Verden an einer Gerichtsverhandlung gegen den NPD-Kreistagsabgeordneten Rigolf Henning teil. Auch auf dem Pressefest der NPD Publikation «Deutsche Stimme» im Jahr 2006 gehörte Haverbeck zu den Veranstaltungsteilnehmer_innen.

Bereits 1992 gründete Ursula Haverbeck-Wetzel zudem den Verein «Gedächtnisstätte für die Opfer des Zweiten Weltkrieges durch Bomben, Verschleppung, Vertreibung und in Gefangenenlagern». Der Verein hat das Ziel im sächsischen Borna im Innenhof eines Gebäudekomplexes ein rund 12 Meter hohes Gedenkkreuz zu errichten. Nachdem Hintergründe über die politischen Tätigkeiten des Verein bekannt wurden, formierte sich breiter Widerstand gegen die Pläne der Organisation, eine neonazistische «Tagungs- und Gedenkstätte» mit überregionaler Bedeutung zu errichten.

Die Aktivitäten des im Zusammenhang mit dem «Collegium Humanum» ebenfalls verbotenen «Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten» (VRBHV) sind eng mit dem «Collegium» verknüpft. Am 09 November 2003 gründeten unter anderem Bernhard Schaub und der Verteidiger der NPD im NPD-Verbotsverfahren Horst Mahler den «Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten» (VRBHV) in Vlotho.

Beide sind der «Neuen Rechten» zuzuordnen - deren Mitglieder gehören ebenfalls zu den regelmäßigen Teilnehmern des «Collegium Humanum». Ziel des VRBHV ist es, «durch organisierte Anstrengungen die bisher vorherrschende Vereinzelung der Verfolgten aufzuheben, ihrem Kampf um Gerechtigkeit die notwendige Wahrnehmung in der Öffentlichkeit zu gewährleisten und die finanziellen Mittel für einen erfolgreichen Rechtskampf bereitzustellen». Anliegen war die «Wiederaufnahme von Strafprozessen, die zur Verurteilung wegen Leugnung bzw. Verharmlosung des Holocausts gemäß § 130 StGB Abs. 3 und 4 StGB geführt haben.» Aufgrund der Tätigkeiten in diesem Zusammenhang kam es in den letzten Jahren diesbezüglichen zu einer Vielzahl von Gerichtsverhandlungen gegen diverse Mitglieder des Vereins.

Einer der weiteren Schwerpunkt der Aktivitäten des «Collegium Humanums» ist die Beeinflussung von Jugendlichen mit revisionistischer und holocaustleugnender Propaganda. So wurden in der Vergangenheit regelmäßig Seminare veranstaltet in denen gerade jüngere Personen gezielt geschult werden sollten. So fand am 25. Februar im Landkreis Verden ein Seminar zum Thema «Adolf Hitler» statt, zu welchen Mitglieder der NPD Verden die Räumlichkeiten organisierten. Zeitzeugin an diesem Abend war Ursula Haverbeck-Wetzel. In einer Mitteilung von Aktivisten der JN Niedersachsen hieß es anschließend «dass jeder der Anwesenden noch etwas über Hitlers Leben lernen konnte!»

Ein weiterer Verein, der im Zusammenhang mit dem «Collegium Humanum» verboten wurde, nennt sich «Bauernhilfe e.V.». Zum Aufgabenbereich des als gemeinnützig eingetragenen Vereines gehörte die Verwaltung von Vermögen und Finanzen verstorbener Nazis und Neonazis der ersten und zweiten Generation. Als Schatzmeisterin des im Jahr 2004 gegründeten Vereines trat unter anderem Imke Barnstedt in Erscheinung. Später wurde die finanziellen Tätigkeiten durch den Rentner Arnold Höfs aus dem niedersächischen Springe betreut. Vorzitzende hier - ebenfalls Ursula Haverbeck.

Neben jährlich stattfindenen «Sonnenwendfeiern» auf dem Gelände des Collegium Humanum in Vlotho, wurde unter anderem im November 2006 eine «Geschichtswerkstatt» zur Holocaustleugnung angeboten. Eine ähnliche Schulung, speziell für 16- 25 jährige wurde vom 23. bis 25. März 2007 organisiert. Als Referenten wurden Bernhard Schaub und Olaf Rose genannt. Damit wollte der Verein auf die internationale «Holocaustkonferenz» im Dezember 2006 im Iran reagieren, bei der unter anderem gefordert wurde, verstärkt Kampagnen gegen die gültige Rechtsprechung, die die Holocaustleugnung in vielen europäischen Staaten unter Strafe stellt, zu organisieren. Olaf Rose, der an der Konferenz teilnahm, zählt zum Vorstand der revisionistischen «Gesellschaft für Freie Publizistik» und ist parlamentarischer Berater der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag. Die Verbindungen des Vereinsgeflechts zu anderen Organisationen sind offensichtlich. Neben der mitunter engen Zusammenarbeit mit der revanchistischen «Reichsbürger-Bewegung» um den den Verdener NPD Abgeordneten Rigolf Hennig ist gerade der Zusammenarbeit mit der neonazistischen Partei besonderes Augenmerk zu schenken.

Während das Bundesinnenminesterium ein Verbot der Partei weiterhin ausschließt, beteiligen sich deren Funktionäre weiterhin eifrig an Aktivitäten von Organisationen die von Verbotsbeschlüssen betroffen sind. Während somit einzelne Segmente der Struktur der neonazistischen Szene andere Organisationsmodelle aufbauen können, bleiben Knotenpunkte der Reorganisierung wie die NPD unangetastet. Beobachter_innen der Szene geben dabei zu bedenken, dass ebenfalls bei einem anstehenden Verbot der «Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ)» von staatlicher Seite das gleiche Schema angewendet werden wird. Obwohl die Verbindung einzelner Aktivisten der HDJ in Organisationsstrukturen der NPD und dem «NPD Bundesordnerdienst» offensichtlich sind, werden vom Bundesinnenminesterium die Vernetzungen der gesamtdeutschen Neonaziszene weiterhin nur temporär thematisiert bis hin zur vollständigen Ausblendung der eigentlichen Zusammenhänge. Ob dies gewollter Natur ist oder auf tatsächlicher Unkenntnis der Vernetzungsstrukturen beruht, bleibt bislang Geheimnis des Innenministeriums unter Minister Schäuble.

Wenn der Internetpräsenz des «Reichsbürgers» und Aktivisten im Umfeld der niedersächsischen NPD, Carsten Linau aus Rotenburg (Wümme), Glauben zu schenkt ist, schien das «Collegium Humanum» ebenfalls eine «Reorganisation der NSDAP» zu unterstützen. Dort heißt es: «Aufgrund jener geschäftsführenden Reichsregierung ist es praktisch möglich, die NSDAP zu reorganisieren und zwar unbehelligt von der BRD-Polizei. Bitte helft alle mit an der Erreichung dieses Zieles!» Als Postanschrift für Unterstützer beim Erreichen dieses hochgesteckten Ziels wurde die Anschrift des Collegium Humanums angegeben.