10.05.2008 / Bundesweite Kampagne der JN zum 8. Mai?

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Die Jugendorganisation der neofaschistischen NPD rief im Zusammenhang mit dem Jahrestag der Kapitulation des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland zu einer Aktionswoche auf. Eine bundesweite Kampagne wurde eigens für diesen Zweck ins Leben gerufen. Unterstützt von weiteren neonazistischen Organisationen, wollten die Initiatoren der Kampagne im »öffentlichen Raum« in diesem Zusammenhang verdeckte neofaschistische Propaganda verbreiten. Der Versuch der Neonaziszene durch dieses Thema eine größere mediale Außenwirkung zu entfalten scheiterte allerdings bereits im Ansatz.

Die bundesweite Kampagne lief unter der Eigenbezeichnung »Macht euch frei von der Lüge«. Das Ziel der ausgerufenen »Aktionswoche« bildete der Versuch, geschichtsrelativierende Inhalte in die öffentliche Wahrnehmung zu tragen. Schon das Startbild der Internetseite stellt unmissverständlich klar worum es den Urheber_innen im Grunde geht. Ein blondes Mädchen starrt mit offenen Augen in die Mündung eines Gewehrlaufes. Ein Soldat dessen Finger am Abzug der Waffe liegen, trägt ein militärisches Abzeichen der sowjetischen Truppenverbände.

Wer auf diesem Propagandabild das sprichwörtliche Übel verkörpert sticht den Betrachter_innen sofort ins Auge. Das Konzept ist einfach und klar umrissen. Durch diabolische Darstellungen der alliierten Truppen wird Politik betrieben. Der Widerstand gegen das nationalsozialistische Deutschland wird auch in den abgebildeten Texten in den alleinigen Bezug mit Hunger, Mord, Vergewaltigung und wahllosen Erschießungen gesetzt.

Diesen Darstellungen folgend sind die alliieren Truppen die Täter, die deutsche Bevölkerung die alleinigen Opfer. Worte über die Verbrechen der der Nationalsozialisten, insbesondere der deutschen Wehrmacht, werden hier vergebens gesucht. Hintergründe über Ursachen des 2. Weltkrieges, die gezielte Vernichtung der europäischen Juden in Vernichtungslagern oder das Hinterlassen von »verbrannter Erde» werden ebenfalls gezielt ausgeklammert.

Mit Hilfe dieses Geschichtbildes versuchen die Verfasser_innen der Seite jedoch nicht nur zur Relativierung des nationalsozialistischen Regimes beizutragen. Wie die Betreiber_innen in Richtung der »jungen Kameraden« unumwunden zugeben, dient die Seite gerade der Meinungsbildung von Jugendlichen. Ein Abweichen von dieser Geschichtsbetrachtung wird nicht toleriert. Wer sich weigert in jenen revisionistischen Chor einzustimmen, wird einige Sätze später als »Opfer der psychologischen Kriegsführung« der Bundesrepublik bezeichnet.

Als Betreiber der Internetseite fungiert der Neonazi Michael Schäfer, seines Zeichens derzeitiger Bundesvorsitzender der »Jungen Nationaldemokraten« (JN). Gemeinsam mit der NPD und Mitgliedern der militanten »Freien Kameradschaften« wurde die Kampagne seit März öffentlich über die Seite beworben. Durch Aktivitäten wie diese versucht Schäfer, der an der Universität Halle Politikwissenschaften studiert, die Jugendorganisation der NPD aus der relativen Bedeutungslosigkeit hinauszuführen, in welche die Organisation sich in den letzten Jahren manövriert hatte.


Alter Wein in neuen Schläuchen

Dass auch Michael Schäfer aus Sachsen-Anhalt das Rad nicht neu erfunden hat zeigt ein Blick auf die Unterstützer_innen der jetzigen Kampagne. Unter der Bezeichnung »Befreiungslüge« wird eine weitere Vernetzungsseite der Neonaziszene aufgeführt. Als Anmelder tritt hierbei Sascha Wagner aus Nordrhein-Westfalen in Erscheinung. Der langjährige Aktivist des neonazistischen Spektrums hat sich ebenfalls wie Schäfer der »Jugendarbeit« verschrieben. In der Vergangenheit organisierte Wagner dazu vor allem Propagandaveranstaltungen wie Konzerte mit neofaschistischen Musikgruppen. Ursprünglich diente die von Wagner betriebene Internetseite der neonazistischen Koordinierung und Propagandaarbeit anlässlich des 60. Jahrestages zum Ende des zweiten Weltkrieges auf europäischem Boden. Im Gegensatz zu Schäfers Engagement steckten die Betreiber der »Befreiungslüge« allerdings nur wenig Kraft in die neue JN Kampagne. Die letztmalige Aktualisierung der Internetseite fand im Jahr 2005 statt.

Als weiterer Unterstützer wurde auch das so genannte »Ehrenkommitee 8. Mai« genannt. Der organisatiorische Zusammenschluss wird inhaltlich geprägt durch den militanten Neofaschisten sowie NPD Bundesvorstandmitglied Thomas Wulff aus dem mecklenburgischen Amholz. Im Bezug auf den 8. Mai ereifert sich das »Ehrenkommitee« auf seiner Internetseite über »ehrlose, korrupte Politiker und ihre Speichellecker in den Medien«, welche die »Besatzung und Fremdherrschaft» bis heute sichern würden. Namentlich unterzeichnet ist der Text von einem gewissen »Steiner«. Der Name bezieht sich auf den ehemaligen General der »Waffen SS» und »SS-Obergruppenführer» Felix Steiner. Darüber hinaus dient er Thomas Wulff als Spitznamensgeber.

Ob das Ziel der Initiator_innen der »Aktionswoche« erreicht wurde, eine verstärkte öffentliche Wahrnehmung im bundesweiten Kontext auf sich zu ziehen, bleibt zu bezweifeln. Ein Schwerpunkt der Aktivitäten konnte allerdings im Norden der Republik verzeichnet werden. Das »Ehrenkomitee« um Thomas Wulff rief wie bereits in den Vorjahren dazu auf, Grab- und Gedenksteine von Wehrmachtssoldaten zu reinigen. Aktivitäten dieser Art sind innerhalb der Szene weniger der Erinnerung und Mahnung geschuldet. Die Verherrlichung der kriegerischen Taten dient der neofaschistischen Szene vielmehr als Identifikationshilfe.

Dokumentierte Aktionen fanden unter anderem, wie bereits in den Vorjahren in Hamburg und Lübeck und im Kreis Pinneberg/Elbmarsch statt. Die dortigen Aktivitäten der Neonazis fallen dabei in den Aktionsradius des »Ehrenkomitee 8.Mai«. Auch im niedersächischen Nordhorn fand eine diesbezügliche Veranstaltung statt. Veranstalter_innen waren hier Mitglieder der NPD Emsland/Grafschaft Bentheim sowie der so genannten »Autonomen Nationalisten Grafschaft Bentheim«.

Bereits am 7. Mai wurden in Dresden Kleinstaktionen der Neonaziszene durchgeführt. Die Ablehnung der Bevölkerung erklärten die Veranstalter_innen anschließend mit den Auswirkungen einer seit 60 Jahren tätigen »Umerziehungsmaschinerie«. In diesem Jahr griffen Aktivist_innen der Szene auch zu eher ungewöhnlichen Darstellungsformen. In Hoyerswerda wurden beispielsweise nach Angaben der Neonazis »Leichenberge« aus Stoffpuppen errichtet. Ähnliche Aktionsformen wurden auch in Ludwigsfelde und Leipzig gewählt. Ein Schwerpunkt der Aktivitäten fand hierbei vor allem im Einzugsbereich der JN Sachsen-Anhalt statt. Neben einer Reihe von kleineren Propagandaaktivitäten versammelten sich am Vortag des 8. Mai im sachsen-anhaltinischen Werningerode etwa zwei Dutzend Neonazis zu einer Kundgebung. Die Inhalte waren dabei vor allem von anti-amerikanischen Propagandaelementen geprägt.

Bei einer neonazistischen Kundgebung im nordrhein-westfälischen Pulheim mit ungefähr 50 Teilnehmer_innen kam es nach Polizeiangaben noch zu einer Festnahme gegen einen der beteiligten Neonazis. Eine weitere Kundgebung fand im bayrischen Fürth statt. Im thüringischen Erfurt beschränkten sich Neonazis um den dortigen NPD Kreisvorsitzenden Kai Uwe Trinkaus auf Störaktionen bei einer öffentlichen Veranstaltung der »Deutsch-Israelischen Gesellschaft« im Innenstadtbereich von Erfurt. In diesem Zusammenhang kam es anschließend zu Platzverweisen sowie der vorläufigen Ingewahrsamnahme eines Neonazis.

Abschluss der »bundesweiten Kampagne« war ein Neonazi-Aufmarsch am vergangenen Samstag (10.05.2008) im sachsen-anhaltinischen Tangermünde. Als Organisatoren der NPD traten Heiko Krause, Kai Belau sowie Andreas Biere in Erscheinung. Der langjährige Führungskader der »Kameradschaft Festungsstadt» Andreas Biere aus Magdeburg agiert mittlerweile verstärkt im Zusammenhang der NPD/JN im sachsen-anhaltischen Bundesland. Er gehört zum festen Kreis der Veranstalter_innen des jährlich im Frühjahr stattfindenden Neonaziaufmarsches anläßlich der Bombardierung Magdeburgs im Verlauf des zweiten Weltkrieges. Ähnlich wie der derzeitige JN Bundesvorsitzende Michael Schäfer nutzt das »ehemalige» Kameradschaftsmitglied Andreas Biere nun die Strukturen der NPD als legalen Deckmantel der Neonaziszene für Mobilisierungs- und Propagandazwecke.

Die Internetseite des »Ehrenkomitte 8. Mai« diente den Neonazis auch hier als Plattform für die vorangegangene Mobilisierung. In einem von Andreas Biere unterzeichneten Aufruf anläßlich des Aufmarsches am 10.05.2008 wird in pathosreichen Worten von »soldatischer Pflicht« fabulisiert. Biere, der in der Vergangenheit im Zusammenhang mit CD Verteilungen der als kriminelle Vereinigung verbotenen Rechtsrockband »Landser« festgenommen wurde, gilt szeneintern als politischer Hardliner mit einem extremen Faible für Inhalte, welche im Bezug zur Armee des »Dritten Reiches» stehen.

Zum Veranstalterkreis des neonazistischen Aufmarsches in Tangermünde gehörte neben der NPD Altmark, auch das »Ehrenkomitee 8. Mai», die als gewaltbereit geltene neonazistische Kameradschaftsgruppe »Freie Nationalisten Altmark West« sowie die »Initiative gegen das Vergessen« aus Magdeburg. Zu den neofaschistischen Aktivisten der besagten »Initiative« gehört auch Andy Knape. Der jugendlich wirkende Neonazi stammt aus dem Umfeld der ehemaligen »Kameradschaft Festungsstadt« und dem daraus entstandenen Neonazizusammenschluß »Nationale Sozialisten Magdeburg«.

In der Folgezeit engagierte sich Knape, ähnlich wie Biere, verstärkt in den Strukturen der NPD Sachsen-Anhalt. Auch im Zusammenhang mit der zuletzt in »Selbstschutz Deutschland« umbenannten Neonaziorganisation »Selbstschutz Sachsen-Anhalt« (SS-SA) trat Knape in Erscheinung. Bei der ehemaligen »SS-SA« aus Sachsen-Anhalt handelt es sich um einen selbsternannten Ordner- und Sicherheitsdienst der Neonaziszene. Gemeinsam mit Mirco Appelt, einem Führungskader des «Selbstschutzes», reiste Andy Knape vor einigen Wochen in die Hansestadt Hamburg. Mit rund 900 weiteren Veranstaltungsteilnehmer_innen beteiligte er sich am Aufmarsch der norddeutschen Neonazisszene anläßlich des 1. Mai, in derem Verlauf Neonazis eingesetzte Polizeikräfte mit Wurfgeschossen angriffen sowie Medienenvertreter_innen und Gegendemonstrat_innen gezielt angriffen und verletzten.

Die Mitorganisatoren des jetzigen Aufmarsches in Tangermünde, Heiko Krause, Mitglied der NPD Altmark und Beisitzer des NPD Landesvorstandes Sachsen-Anhalt und Kai Belau, Vorsitzender vom NPD Kreisverband Stendal und Ansprechpartner des NPD Ortsverbandes in Tangermünde, waren bereits zuvor Initiatoren eines Aufmarsches in Stendal am 29.12.2007. Im Vergleich der Telnehmer_innenzahlen muss der jetzige »Trauermarsch« allerdings als Misserfolg für die Neofaschisten gewertet werden. Während in Stendal rund 470 Neonazis auf die Straße gingen, waren es in Tagermünde am 10. Mai - gleichzeitig der 75. Jahrestag der Bücherverbrennung in Berlin durch die Nationalsozialisten - lediglich ca. 150 Teilnehmer_innen.

Ob die flächendeckende Kampagne von der NPD und ihrer Jugendorganisation intern trotz mangelnder Mobilisierungsfähigkeit als Erfolg gewertet werden kann, bleibt abzuwarten. Zumindest im Bezug auf Öffentlichkeitswirksame Relevanz wurden gesteckte Ziele nur temporär erreicht. Aus welcher Richtung der politische Wind bezüglich der neonazistischen Aktivitäten zum 8. Mai weht, wurde auch bei einer Verteilung von antisemitischen Propaganda-CDs im mecklenburgischen Grevesmühlen unmissverständlich klargestellt. Auch in anderen Teilen von Mecklenburg-Vorpommern verzichtete die Neonaziszene auf eine Tarnung ihres Anliegens. Dazu hinterließen bislang unbekannte Täter_innen in der Nacht zum 8.Mai auf einem Gedenkstein im ehemaligen Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme SS-Runen und ein obligatorisches Hakenkreuz.