15.05.2008 / Werder (Havel): Hakenkreuze im Kirchenschiff

recherche-nord

Die Täter_innen hinterließen Hakenkreuze und SS-Runen. In der Nacht zum 14.05.2008 konnten bislang Unbekannte in die Räumlichkeiten des evangelischen Gemeindehaus im brandenburgischen Werder an der Havel eindringen und verwüsteten dort anschließend die Innenräume. Von der politischen Dimension der Tat vollkommen überrascht zeigte sich unter anderem die örtliche Staatsschutzabteilung der Polizei. Eine organisierte Neonaziszene sei dort nicht bekannt. Der Blick auf das angrenzende Umland von Werder (Havel) offenbart hingegen seit Jahren aktive und wachsende neofaschistische Strukturen.

Im Bezug auf neonazistische Hintergründe der jüngsten Vorkommnisse im brandenburgischen Werder (Havel) äußerte sich Torsten Ringel, zuständiger Polizeipressesprecher des »Schutzbereichs Brandenburg» ausweichend: »Eine organisierte rechte Szene ist dort nicht bekannt«. Diese Aussage mag verwundern, fand doch erst vor wenigen Monaten im November 2007 eine Propagandaaktion der neonazistischen NPD in der brandenburgischen Kleinstadt statt. Zu der zwei Stunden dauernden »Mahnwache« des NPD-Kreisverbandes Havel–Nuthe erschienen damals rund ein Dutzend Neonazis. Auch das Postfach des neonazistischen NPD-Kreisverbandes befindet sich in dem Städtchen.

Bei der »Mahnwache« in Werder (Havel) handelte es sich auch keineswegs um eine Anomalie in der Region. Neben durchgeführten »Informationsständen« des NPD-Kreisverband Havel–Nuthe wie am 08.03.2008 im brandenburgischen Rathenow kam es zuletzt auch immer wieder zu Aktivitäten, bei denen neonazistische Propagandamaterialien verteilt wurden. Die »Mahnwache« in Werder (Havel) diente dem NPD-Kreisverband lediglich als Startschuss für politische Aktivitäten anlässlich des anstehenden Kommunalwahlkampfs.

Bei der Kommunalwahl 2008 in Brandenburg werden neonazistischen Organisationen dabei hohe Wahlergebnisse prognostiziert: Ergebnisse, die zu einer weiteren Festigung der organisierten Neonaziszene in dem Bundesland beitragen dürften. Mit der »Deutschen Volksunion« (DVU) verfügten Neonazis bereits seit dem Jahr 1999 über eine dauerhafte Vertretung im Landtag von Brandenburg.

Neben neonazistischen Parteien wie NPD und DVU sind in der Region vor allem die Strukturen der militanten Kameradschaftsszene von Bedeutung. Nicht nur im wenige Kilometer entfernten Potsdam konnte sich beispielsweise in den letzten Jahren eine äußerst aktionistische Neonaziszene entwickeln. Neofaschist_innen aus Potsdam und Umgebung treten dabei insbesondere durch ihre hohe Gewaltbereitschaft in Erscheinung. Die Gruppierungen aus der Region und der Stadt Potsdam sind darüber hinaus in den vergangenen Jahren ein fester Bestandteil bei Aufmärschen des bundesweit organisierten Neonazispektrums geworden.

Das Städtchen am Ufer der Havel ist bislang kein herausragender Schwerpunkt neonazistischer Aktivitäten. Dennoch gehen die Angaben der Staatsschutzabteilung der Polizei in Brandenburg an der politische Wirklichkeit in der Region und dem Bundesland vorbei. Neben bundesweit vernetzten Strukturen rangiert gerade Brandenburg bei Statistiken von Gewaltaten mit neonazistischem Hintergrund seit Jahren in den oberen Regionen.

Über die Motive der Täter_innen in Werder (Havel) wird indessen noch gerätselt. Vermutet wird, dass sich der Angriff gegen das Engagement von Religionsschüler_innen der Gemeinde richtete. Im Zusammenhang mit dem 150. Kirchenjubiläum in Werder (Havel) erarbeiteten die Schüler_innen eine Ausstellung über eine örtliche Gruppe der »Bekennenden Kirche«. Die Gruppierung befand sich zur Zeit der NS-Diktatur im Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime.

Im Gegensatz zum Pressesprecher der Polizei scheinen einige Aktivist_innen der regionalen Neonaziszene über einige der Hintergründe bezüglich der Tat bereits im Bilde zu sein. In einem szeneigenen Nachrichtenportal beklagt sich ein Nutzer, der unter dem Pseudonym «brandenburger nationalist» auftritt, über das Verhalten der »Kameraden« bezüglich der Aktion. »Als jemand, der dieses Kaff kennt, schwant mir auch einiges, was die versoffenen Täter angeht. Ich denke, es ist angebracht, dass sich ein paar von UNSEREN Aktivisten mal mit denen «unterhalten»…»