19.05.2008 / Wismar: Neonazistischer Normalzustand in Mecklenburg-Vorpommern?

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In den letzten Tagen kam es in Mecklenburg-Vorpommern zu einer Reihe von neonazistisch motivierten Vorfällen. Die Polizei bezeichnete einige der Vorgänge in diesem Zusammenhang als »Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung«. Die Palette der neonazistischen Aktivitäten reicht dabei vom Hitlergruß über rassistischeBeleidigungen und Bedrohungen zu geschmierten Hakenkreuzen und Verteilaktionen antisemitischer Propagandainhalte.

Bereits am 08.05.2008 versuchten Mitglieder der neonazistischen Gruppierung »Mecklenburger Aktionsfront« eine öffentliche Gedenkveranstaltung in Neustrelitz zu stören. Zu diesem Zweck entrollten sie am Rand der Veranstaltung ein Transparent mit der Aufschrift »Die Mörder von gestern sind die Lügner von morgen - Mecklenburgische Aktionsfront«. Ebenfalls anwesende Einsatzkräfte der Polizei sprachen daraufhin Platzverweise gegen zwei beteiligte Neonazis aus. Nachdem die beiden Männer der polizeilichen Aufforderung nicht nachkamen, wurden sie in kurzfristigen Polizeigewahrsam genommen.

Am Vortag wurden an diversen öffentlichen Plätzen Aufkleber der »Mecklenburger Aktionsfront« unter anderem in Neubrandenburg und Röbel hinterlassen. Die propagierten Inhalte bezogen sich gleichfalls auf den 8.Mai und das öffentliche Gedenken im Bezug auf das Ende des zweiten Weltkrieges. Die Verklärung der Vergangenheit steht dabei im Mittelpunkt diesbezüglicher Aktivitäten der Neonaziszene. Die nationalsozialistische Diktatur von 1933 bis 1945 wird in eine Opferrolle umgedeutet und der Widerstand der Alliierten gegen »Hitler-Deutschland« mit Hilfe absurder Behauptungen dabei zum Angriffsskrieg verzerrt.

Im CDs mit antisemitischen Inhalten wurden dazu in zahlreichen Briefkästen hinterlassen. Ebenfalls in der Nacht auf den 8.Mai schändeten bislang unbekannte Täter_innen einen Gedenkstein in Boitzenburg. Auf dem Mahnmal im ehemaligen Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme wurden SS-Runen und ein Hakenkreuz hinterlassen.

Neonazistische Aktivitäten in der Region bilden dabei keine Seltenheit. In Boitzenburg und umzu existiert seit Jahren eine feste Neonazi-Szene. Das nahe gelegenen Amholz ist einer ihrer dortigen Stützpunkte. Funktionäre wie das NPD-Bundesvorstandsmitglied Thomas Wulff oder Michael Grewe, Mitglied im Landesvorstand der NPD Mecklenburg-Vorpommern, haben dort bereits Ende der 90er Jahre Quartier bezogen. Auch die militante Gruppierung »Kameradschaft Elbsturm« aus Boitzenburg sorgte in der Vergangenheit ebenso wie Konzertveranstaltungen der Neonaziszene in der Region für Schlagzeilen.

Am vergangenen Pfingstwochenende kam es in Mecklenburg-Vorpommern zu einem weiteren rassistisch motivierten Zwischenfall. Besagter Vorfall ereignete sich am Bahnhof der Hansestadt Wismar. Dabei bedrängten Neonazis eine Reisegruppe, die sich auf dem Bahnsteig befand. Nachdem die vier Personen umfassende Reisegruppe von einem der Neonazis mehrfach mit rassistischen Beschimpfungen beleidigt wurde, soll der Neonazi einen Schlagstock gezogen und die Gruppe daraufhin bedroht haben.

Zuvor hatte der ca. 20jährige Mann bereits den Arm zum Hitlergruß erhoben. Erst als ein Personenzug am Bahnsteig zum Stehen kam, ließ der Neonazi, der in Begleitung einer weiteren männlichen Person war, von seinen Opfern ab. Hintergrund der Tat schien die arabische Herkunft der Reisegruppe zu sein. Die Täter konnten sich unerkannt vom Ort des Geschehens entfernen.


Neonazistische Aktivitäten auch in Neubrandenburg und Neustrelitz


Am 16.05.2008 verbreiteten dann wiederum in Neubrandenburg und Neustrelitz bislang Unbekannte Symbole mit nationalsozialistischem Bezug im öffentlichen Raum. Ein gesprühtes Hakenkreuz prangte an einem Wahlplakat zur Oberbürgermeisterwahl in der Stadt, und in Neustrelitz wurden in den Lack eines Fahrzeugs mehrere Hakenkreuze geritzt. An einem Treppenaufgang eines Neubrandenburger Mehrfamilienhauses wurde zwei Tage später ebenfalls ein Hakenkreuz in gesprühter Form hinterlassen.

Das gleiche Symbol wurde einige Wochen zuvor bei Schmierereien am Gebäude des Arbeitsamtes in Greifswald verwendet. Zudem hinterließen die dortigen Täter_innen an den Wänden Schriftzüge wie »Arbeit macht frei« und »Nationaler Sozialismus schafft Arbeit«. Eine Woche zuvor wurde bereits das Greifswalder Rathaus mit ähnlicher Propaganda versehen. Auch hier wurde neben der Losung »Verräter, König köpfen« ein Hakenkreuz an der Wand des Rathauses gesprüht.

Am Montag, dem 19.05.2008, wurde dann ein Zwischenfall im mecklenburgischen Pasewalk bekannt. Einsatzkräfte der Polizei kontrollierten einen als neonazistisch bekannten Treffpunkt, aus dem laute Musik drang. Bei den anwesenden Neonazis im Alter zwischen 20 und 30 Jahren, die der Polizei zuerst den Zugang zum Treffpunkt verwehrten, sollen daraufhin verfassungswidrige Symbole festgestellt worden sein. Dabei sei eine Fahne mit dem »Triskele«-Symbol sichergestellt worden.

Die Triskele wurde in der Vergangenheit unter anderem von dem in der Bundesrepublik verbotenen neofaschistischen »Blood & Honour«-Netzwerk genutzt. Eine ebenfalls sichergestellte »Reichskriegsfahne« fiel dabei nicht weiter ins Gewicht. Gegen die Neonazis wird nun wegen Verwendens verfassungswidriger Symbole und Widerstand gegen die Staatsgewalt ermittelt: fast schon Normalzustand an der Ostsee.