20.05.2008 / Berlin/Greifswald/Vechta: Razzia gegen Mitglieder der völkisch-neofaschistischen HDJ

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Unsanft wurde er aus dem Schlaf gerissen. Die ersten Stunden des Tages hatte sich der Neonazifunktionär Ragnar Dam sicherlich anders vorgestellt. Polizeieinsatzkräfte des Landeskriminalamtes Berlin, verschafften sich in den Morgenstunden Zutritt zu den Räumlichkeiten des Studenten der Universität Greifswald. Hintergrund der polizeilichen Durchsuchungen ist ein Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der neofaschistischen »Heimattreuen Deutschen Jugend e.V.« (HDJ). Den HDJ-Aktivisten wird vorgeworfen »Rasseschulungen» im Namen der neofaschistischen Organisation geplant und durchgeführt zu haben.

Polizeibehörden aus Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Berlin führten in den Morgenstunden des heutigen Tages umfangreiche Hausdurchsuchungen bei zwei Mitgliedern der »Heimattreuen Deutschen Jugend e.V.« (HDJ) durch. Vorgeworfen wird den beiden verdächtigen Neonazis laut Staatsanwaltschaft Berlin der Verdacht »der strafbaren Verbreitung rechtsgerichtete Ideologien«. Einsatzkräfte der Polizei durchsuchten zu diesem Zwecke in den drei Bundesländern Wohnräume der Beschuldigten HDJ-Mitglieder und stellten dabei Beweismaterialien sicher.

Bei einem der beschuldigten Neonazis handelt es sich um den 24jährigen Ragnar Dam. Als »Einheitsführer« der »HDJ Einheit Mecklenburg und Pommern« gilt er als wichtiger Drahtzieher der neonazistischen Jugendorganisation. Die »HDJ Einheit Mecklenburg und Pommern« gilt als eine der jüngeren Organisationsstrukturen des bundesweit agierenden Vereins. Gegründet wurde die »Einheit« im Jahr 2006 und entwickelte sich seitdem zu einer der politisch aktivsten der HDJ. Als Leitspruch während der Gründungsveranstaltung der »HDJ-Einheit« wurde die Losung »Flamme empor« verwendet. Eine Losung, die in der Vergangenheit auch die 1994 verbotene »Wiking-Jugend e.V.« verwendete.

Mitglieder der HDJ-Gruppe sitzen auch im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Der NPD-Abgeordnete Tino Müller ist dabei einer der prominentesten Vertreter_innen der »Heimattreuen Deutschen Jugend e.V.« in den Reihen der neonazistischen Partei. Inzwischen ist Müller auch für die Internetpräsenz des völkisch-neofaschistischen Vereins zuständig. Rund ein Dutzend Wahlkreis- und Fraktionsmitarbeiter der NPD-Fraktion im Schweriner Landtag sind in die Aktivitäten der HDJ involviert.

Darüberhinaus ist Ragnar Dam auch »Führer der Leitstelle Nord der HDJ». Besagte Leitstellen fungieren als übergeordneter Zusammenschluß und Koordnierungsstelle einzelner »HDJ Einheiten«. Unter der »Leitstelle Nord«, deren derzeitiger Sitz sich in Greifswald befindet, organisieren sich die »HDJ Einheit Niedersachsen«, die »HDJ Einheit Nordland« aus Schleswig Holstein sowie die »Einheit Mecklenburg und Pommern«.


»Rassenschulungen« mit NS-Propagandamaterial


Laut Staatsanwaltschaft Berlin, die die Ermttlungen leitete, hatte Ragnar Dam in seiner Funktion als »Leitstellenführer« sogenannte »Rassenschulungen« durchgeführt. Zu den Inhalten der »Schulungsveranstaltungen« gehörte dabei auch das Vorführen des antisemitischen Propagandaflimes »Der ewige Jude«. In dem nationalsozialistischen Machwerk, das auf direkte Anweisung des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels erstellt wurde, werden Menschen jüdischen Glaubens mit Ratten und Ungeziefer verglichen. Der Film diente laut Angaben des Bundesfilmarchives der »ideologischen Vorbereitung der Bevölkerung auf die geplante Vernichtung der europäischen Juden« durch das nationalsozialistische Regime.

Neben Räumlichkeiten von Ragnar Dam in Berlin und Greifswald wurden auch die Wohnräume eines niedersächsischen HDJ Aktivisten von den Ermittlungsbehörden in Vechta durchsucht. Der 26jährige Neonazi Christian Fischer ist Mitglied der »HDJ Einheit Hermannsland«, die wiederum der »HDJ Leitstelle West« mit Sitz in Detmold untergeordnet ist. Der Kandidat der NPD anlässlich der vorangegangenen niedersächsischen Landtagswahl im Januar 2008 gilt szeneintern als politischer Überzeugungstäter. Im Juni 2006 gehörte Fischer ebenfalls zu den Mitveranstaltern eines sogenannten »Sommerlagers« in Wilsum. Im Verlauf des Lagers, das unter dem Motto »Leben ist Kampf« stand, wurde unter anderem auch das Enthaupten potentieller Gefangener trainiert. Bei anschliessenden polizeilichen Hausdurchsuchungen im Zusammenhang mit dem »Sommerlager« wurden neben Neonazidevotionalien auch ein umfangreiches Waffenarsenal sichergestellt.

Laut Angaben der Staatsanwaltschaft Berlin soll der Propagandafilm »Der ewige Jude« während der »Schulungsveranstaltung« auch Jugendlichen vorgeführt worden sein. Diesbezüglich ermittelt die zuständige Staatsanwaltschaft zudem wegen des Verdachtes des »Verstoß gegen das Jugendschutzgesetz«. Gegen die beiden HDJ Mitglieder wird weiterhin wegen des Vorwurfes »des Verbreitens verfassungswidriger Propagandamittel« sowie »Volksverhetzung« ermittelt.


Wo die HDJ auftaucht, ist die NPD nicht weit entfernt


Christian Fischer, der ebenfalls in der Vergangenheit mehrfach im Zusammenhang mit der hauseigenen Schutztruppe der NPD, dem »NPD Bundesordnerdienst«, in Erscheinung getreten ist, gehört zum Kreis der NPD-Aktivisten aus dem Raum Osnabrück. Der dortige NPD-Kreisverband verfügt in Georgsmarienhütte–Harderberg über Räumlichkeiten, die der Partei in der Vergangenheit von einem Sympathisanten zur Verfügung gestellt wurden.

In den Räumlichkeiten des so genannten »NPD Heimes« veranstaltete die NPD neben regelmäßig stattfindenden Mitgliederversammlungen auch sogenannte Schulungsveranstaltungen, so auch die besagte «Rasseschulung« der »Heimattreuen Deutschen Jugend e.V«. Christian Fischer gilt in diesem Zusammenhang als Mitorganisator der Veranstaltung. Der 26jährige Neonazi und ehemalige Führungsaktivist der inzwischen aufgelösten Neonazigruppierung »Freie Nationale Vechta« soll außerdem auf Einladungsschreiben zu der Veranstaltung namentlich in Erscheinung getreten sein.

Bei den Durchsuchungen gegen die beiden Mitglieder der »Heimattreuen Deutschen Jugend e.V.« wurden nach Polizeiangaben neben Unterlagen über die gehaltenen Vorträge auch Datenträger sichergestellt. Wie die Staatsanwaltschaft Berlin verlauten ließ, dauern die Ermittlungen weiterhin an. Szenebeobachter_innen werten die polizeilichen Maßnahmen als empfindlichen Schlag gegen die neonazistische Vereinsorganisation.

Erst im November des vergangenen Jahres wurde durch das Bundesinnenministerium ein Uniformierungsverbot gegen die Organisation bestätigt. Auch ein weiteres Führungsmitglied der HDJ muss sich darüber hinaus in den nächsten Monaten vor Gericht verantworten. Im Verlauf einer unter anderem von der HDJ im November 2006 organisierten Veranstaltung kam es zu Angriffen gegen anwesende Journalist_innen. Bei einem der Angreifer handelte es sich um Sebastian Räbiger, seines Zeichens Bundesvorsitzender der HDJ.