16.06.2008 / Pinneberg: »Ihr habt jetzt keine Ruhe mehr. Sieg Heil!«

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In der Nacht auf den 16.06.2007 wurde auf das jüdische Gemeindehaus in Pinneberg ein Anschlag verübt. Bislang unbekannte Täter_innen griffen Räumlichkeiten der Jüdischen Gemeinde im Süden von Schleswig-Holstein an. Ein Pflasterstein wurde dabei durch die Scheiben des Gebetsraumes geschleudert. Wenige Stunden später erhielten Verantwortliche des Gemeindehauses dann einen anonymen Telefonanruf. Die Botschaft des Anrufers war unmissverständlich: »Das kann öfters passieren. Ihr habt jetzt keine Ruhe mehr. Sieg Heil!«

Bereits vor einigen Jahren machte die Stadt als vermeintliche Hochburg militanter Neonazis unbequeme Schlagzeilen. Damals im April 2005 wurden Mitglieder der Gruppe »Combat 18 -- Pinneberg« durch das Flensburger Landgericht wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Ein Teil der angeklagten Neonazis wurden im folgenden Prozess zu Bewährungs- und Haftstrafen verurteilt.

Der Name der Gruppe bezog sich auf die englische Terrorgruppe »Combat 18« (C-18), die vor über einem Jahrzehnt in London gegründet wurde. »Combat« steht dabei als Bezeichnung für Kampfeinheit. Das Zahlenkürzel »18« bezieht sich auf Buchstaben im Alphabet und begründet sich in den Initialen Adolf Hitlers. »Combat 18« versteht sich als bewaffneter Arm des Neonazinetzwerkes »Blood & Honour«, dessen deutscher Ableger im September 2001 verboten wurde. In der Vergangenheit verübte die terroristische Gruppe in ihrem Ursprungsland eine Reihe von Bombenanschlägen und politischen Morden. Unter dem Namen »Redwatch« veröffentlichte die englische Gruppe »Feindlisten« ; - Briefbomben wurden verschickt.

Das Potential der Gewaltanwendung deutscher »Kampfeinheiten« wie der mittlerweile aufgelösten Gruppierung »Combat 18 -- Pinneberg« bewegte sich rückblickend auf einem weitaus geringerem Niveau. Eine Unbedenklichkeitserklärung konnte der Gruppe allerdings dennoch nicht ausgesprochen werden. Bei Hausdurchsuchungen im Jahr 2004 beschlagnahmten Einsatzkräfte der Polizei Handfeuerwaffen und eine Pumpgun. Die Beamt_innen stellten damals ebenfalls Anleitungen zum Bau von Bomben und Sprengkörpern sowie eine »Liste« von politischen Gegnern sicher. Im Visier der Gruppe standen neben regionalen Persönlichkeiten und Aktivist_innen auch Politiker-innen und Polizeibeamt_innen.

Im Mai 2003 schändeten Mitglieder der Pinneberger Gruppe den Friedhof der jüdischen Gemeinde in Neustadt/Holstein. Mehrere Grabsteine wurden beschmiert; mit roter Farbe hinterließen die Täter den Schriftzug ihrer Organisation. Als weiterer Warnhinweis wurde ein aufgeschlitztes Ferkel von den beiden später gefassten Mitgliedern von »C-18 Pinneberg« auf dem Gelände des Friedhofes hinterlassen. Die neuerliche Attacke gegen Einrichtungen der jüdischen Gemeinden in Schleswig-Holstein kommt nicht überraschend. Zwar ist nicht davon auszugehen, dass die 2005 verurteilten Strukturen der Neonazis in die Vorgänge direkt involviert sind; von Entwarnung kann aber angesichts der neuerlichen Vorgänge keineswegs gesprochen werden. Der Attacke auf das Jüdische Gemeindehaus in Pinneberg gingen bereits andere Vorfälle voraus.

Unter anderem warfen bislang unbekannte Täter_innen während eines Gottesdienst der jüdischen Gemeinde Holzklötze gegen die Fensterscheiben des Gotteshauses. Als Anwesende daraufhin die Räumlichkeiten verließen, hatten die Täter_innen bereits das Weite gesucht. An Laternen rund um das nun angegriffene jüdische Gemeindehaus fanden Anwohner in den vergangenen Wochen Aufkleber von NPD und Kameradschaftsszene. In direkter Nähe zum Gemeindehaus befinden sich pikanterweise die Räumlichkeiten von Neonazis aus dem Umfeld der Kameradschaftsszene und der »Deutschen Volksunion (DVU)«.

Antisemitische Gesinnung wird von der regionalen Neonaziszene aber nicht nur verdeckt geäußert. Im Mai letzten Jahres feierte die jüdischen Gemeinde eine Hochzeit im Stadtgebiet - eine Veranstaltung, die traditionell im Freien durchgeführt wird. Eine Störaktion von Neonazis aus Pinneberg war die Folge. Aus ihrem Weltbild und ihrer menschenfeindlicher Gesinnung machten die pöbelnden Neonazis kein Hehl. »Türken und Juden sollte man verbrennen« lautete eine der verwendeten Parolen.

Dass die jüdische Gemeinde in Pinneberg nicht zufällig zum Angriffsziel geworden ist, offenbart auch ein Blick auf einen Vorfall vom 1.Mai in Hamburg. Neonazis aus Norddeutschland führten in der Hansestadt einen Großaufmarsch durch; Ausschreitungen und Angriffe der Neonazis gegen Gegendemonstrant_innen und Journalist_innen waren die Folge. Vertreter_innen der jüdischen Gemeinde aus Pinneberg waren ebenfalls vor Ort und beteiligten sich an den Gegenprotesten. Neonazis erblickten die Gruppe und konfrontierten sie umgehend. Dass die Neonaziszene in Pinneberg weiterhin vermeintliche politische Feinde gezielt ausspäht und sich Kenntnis über sie verschafft, zeigt auch der dabei gefallene Satz: »Die Juden aus Pinneberg sind auch da«. Dass es in Pinneberg nicht bei »Feindaufklärung« und Drohungen von Neonazis bleibt, zeigen die jüngsten Vorfälle zum wiederholten Male.