05.07.2008 / Oldenburg: »Wer hat uns verraten? - Nationaldemokraten«

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Die Ankündigungen warfen große Schatten voraus. Nach offiziellen Angaben der Anmelder_innen sollte es bezüglich der letzten Jahre einer der größten Aufmärsche von Neonazis in Niedersachsen werden. Die Veranstalter um den Hamburger Neonazifunktionär Christian Worch rechneten im Vorfeld mit ca. 200 Teilnehmer_innen. Der angekündigte Großaufmarsch lockte am vergangenen Samstag dann allerdings lediglich 56 Neonazis in den Oldenburger Stadtbereich.

Begleitet durch ein massives Polizeiaufgebot setzte sich der Aufmarsch gegen 14:15 Uhr in Bewegung. Angereist waren Neonazis aus Niedersachen, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. Vor Beginn der Veranstaltung wurden die anwesenden Neonazis intensiven Auflagenkontrollen durch die eingesetzten Polizeikräfte unterzogen. Die öffentliche Zurschaustellung von verbotenen Insignien der Neonaziszene sollte dadurch verhindert werden. Dies hinderte Aufmarschsteilnehmer_innen der »Freien Kräfte Oldenburg« allerdings nicht daran, während der Veranstaltung Erkennungszeichen verbotenen Organisationen wie der als »kriminelle Vereinigung« verbotenen Rechtsrockband »Landser« zu tragen.

An antifaschistischen Gegenprotesten im Oldenburger Stadtgebiet beteiligten sich nach Angaben der Veranstalter_innen mehrere tausend Menschen. Die weitgehend friedlichen Proteste wurden überschattet durch Auseinandersetzungen zwischen Gegendemonstrant_innen und eingesetzten Polizeikräften. Es kam zu Reizgas- und Schlagstockeinsatz. Mehrere Gegendemonstrant_innen wurden zum Teil erheblich verletzt: Ereignisse, die in der späteren Berichterstattung der überregionalen Medien und auch im anschließend erschienenen Polizeibericht bislang weitgehend ausgeklammert wurden.

Im Verlauf des neonazistischen Aufmarsches gelang es Gegendemonstrant_innen hingegen an die Aufmarschstrecke der Neonazis vorzudringen und den Aufmarsch kurzfristig zu behindern. Steine und eine Rauchbombe wurden geworfen. Es kam zu Ingewahrsamnahmen. Neonazis, die in diesem Zusammenhang wiederum Wurfgeschosse und Steine in die Reihen der Gegendemonstrant_innen warfen, wurden von solchen Maßnahmen der Polizei hingegen bis zuletzt ausgelassen. Die Personengruppe konnten weiterhin am Aufmarsch teilnehmen und nach Auflösung der Veranstaltung ungehindert das Stadtgebiet verlassen.

Die neonazistische Veranstaltung, die unter dem Motto »Soziale Gerechtigkeit für Alle - Gegen Politisierung der Polizei« stand, wurde dann nach etwas mehr als einer Stunde gegen 15:30 Uhr vom Veranstaltungsleiter Christian Worch für beendet erklärt. Zwar konnte die vorgesehene Wegstrecke der Veranstaltung ohne größere Komplikationen bewältigt werden; der Versuch von Neonazis,in Oldenburg an vorangegangene Aufmärsche anzuknüpfen, scheiterte dagegen bereits im Ansatz.


Interne Auseinandersetzungen


Interne Streitigkeiten beeinträchtigten bereits im Vorfeld die Mobilisierungsfähigkeit der Szene. Der Streit entzündete sich vor allem an den Aktivitäten der Gruppierungen »Freie Kräfte Oldenburg« (FK-O) sowie dem »Widerstand Ostfriesland«, die sich an den Vorbereitungen des Aufmarsches beteiligten. Aktivist_innen der beiden Organisationen werden szeneintern dem Spektrum der sogenannten »Autonomen Nationalisten« in Norddeutschland zugerechnet.

An politischen Positionen von »Autonomen Nationalisten« entzünden sich seit nunmehr zwei Jahren verstärkte Konflikte innerhalb der bundesweiten Neonaziszene. Das größte Konfliktpotential dieser Auseinandersetzungen birgt vor allem die vermeintliche Übernahme links-autonomer Inhalte durch Teile der »Autonomen Nationalisten«. Diese Übernahme beschränkte sich allerdings in der Vergangenheit vordergründig auf das Kopieren von äußeren Erscheinungsbildern.

Erscheinungsbilder, die innerhalb der neonazistischen NPD und der militanten Kameradschaftsszene nicht nur auf Gegenliebe stoßen. Der seit längeren schwelende Konflikt zwischen »Autonomen Nationalisten« auf der einen und NPD sowie Kameradschaftsszene auf der anderen Seite trägt mittlerweile erste Blüten. Stimmen, die den Ausschluss »Autonomer Nationalisten« von neonazistischen Aufmärschen fordern, werden von der Szene nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand erhoben. Dass besagte interne Konflikten beileibe nicht ohne nennenswerte Konsequenzen verlaufen, zeigen auch die jüngsten Entwicklungen in Niedersachsen.


AN-NW contra NASO-NDS


Mitglieder des »Widerstand Ostfriesland« traten in der Vergangenheit ebenfalls unter der Bezeichnung »Autonome Nationalisten Ostfriesland« (AN-O) in Erscheinung. Gemeinsam mit weiteren niedersächsischen Gruppierungen war die »AN-O« in das Netzwerk der »Autonomen Nationalisten Nord-West« (AN-NW) eingebunden. Das Netzwerk verstand sich als organisatorischer Zusammenschluss und Aktionsbündnis von »Autonomen Nationalisten« in Niedersachsen. Innerhalb der AN-NW organisierten sich bis April 2008 neben der »AN-O« unter anderem die »Autonomen Nationalisten Soltau« (AN-S), »Autonome Nationalisten Hannover« (AN-H), die »Freien Kräfte Osterholz« (FK-OHZ) sowie Einzelpersonen aus dem Großraum Delmenhorst.

Im April 2008 löste sich die »AN-NW« allerdings auf. Nicht antifaschistisches Engagement oder gar polizeilicher Verfolgungsdruck waren für diese Entwicklungen maßgeblich verantwortlich. Die «AN-NW« musste sich vielmehr dem Druck der niedersächsischen Kameradschaftsszene und wiederum deren Zusammenschluss »Nationale Sozialisten Niedersachsen« (NASO-NDS) beugen.

Hintergrund dieser Auseinandersetzungen in Niedersachsen bildeten gezielte Falschinformationen, die seit Beginn des Jahres in neonazistische Netzwerke geleitet wurden und entsprechende Wirkungen entfalteten. Die »Nationalen Sozialisten Niedersachsen« schlussfolgerten aus den zugänglichen Informationen, wie spätere Veröffentlichungen in einschlägigen Internetforen dokumentierten, dass die »AN-NW« mit politischen Gegnern zusammenarbeiten würden. Gegenseitig angekündigte »Hausbesuche« einhergehend mit einer Reihe massiver Drohungen waren die Folge und führten schlussendlich zur Selbstauflösung der »AN-NW».


Der Oldenburger Boykott


Verflechtungen des »Widerstand Ostfriesland« mit den Zusammenhängen der nunmehr aufgelösten »AN-NW« sorgten im Vorfeld des Aufmarsches für Unmut innerhalb des niedersächsischen Kameradschaftsspektrums. Auch die Beteiligung der Kameradschaftsgruppe »Freien Kräfte Oldenburg« an den Vorbereitungen änderten nichts an der Boykotthaltung des Aufmarsches durch Aktivist_innen im niedersächsischen Umland. Im Gegensatz zu anderen Veranstaltungen dieser Art wurde im Hintergrund an einer konsequenten Ausblendung des Aufmarschtermins gearbeitet.

Vertreter_innen der niedersächsischen NPD schlossen sich ebenfalls dem Boykott der Veranstaltung an. Im vorangegangenen Wahlkampf anlässlich der niedersächsischen Landtagswahl im Januar 2008 schmiedeten Mitglieder der NPD, »Freien Kameradschaften« und der »Autonomen Nationalisten« noch an gemeinsamen Aktionsbündnissen. Zum Wahlkampfauftakt im September 2007 in Hannover reisten Mitglieder der NPD Oldenburg und der Kameradschaftsgruppe «Freie Kräfte Oldenburg« dementsprechend gemeinsam in die Landeshauptstadt. Das Zweckbündnis zerfiel allerdings bereits wenige Wochen nach der Landtagswahl.

Auch die Beteiligung des Hamburger Neonaziaktivisten Christian Worch als Anmelder des Aufmarsches änderte nichts an der Boykotthaltung. Im September 2007 präsentierten sich der niedersächsische NPD Landesvorsitzende Ulrich Eigenfeld und Christian Worch noch in trauter Zweisamkeit. Die gegenseitige Unterstützung von Aktivitäten endete nach dem Wahlkampf dann aber so abrupt wie sie zustande gekommen war.

Worch, der im niedersächsischen Wahlkampf noch für die NPD Niedersachsen Honorarverträge für Wahlkampfhilfen der Kameradschaftsszene erstellte, blieb nun am vergangenen Samstag die Unterstützung der NPD verwehrt.


»Wer hat uns verraten? - Nationaldemokraten!«


Die Boykotthaltung der niedersächsischen NPD um ihren in Oldenburg wohnhaften Landesvorsitzenden Ulrich Eigenfeld führte vor allem bei den Vertreter_innen der »Autonomen Nationalisten« im Verlauf des Aufmarsches am 05.07.2008 zu lautstark geäußerten Unmutsäußerungen. In Sprechchören machten die anwesenden Teilnehmer_Innen ihrer Verärgerung Luft. Parolen wie »Wer hat uns verraten? - Nationaldemokraten« und »NPD – Was ist das schon? -Jeder zweite ein Spion« bestimmten das Repertoire der angereisten Neonazis.

Selbst der Versammlungsleiter Christian Worch schien dieser politischen Losung nicht abgeneigt. Nachdem anwesende Journalist_innen ihn darum baten, ermunterte Worch die Mitglieder der »Freien Kräfte Oldenburg« im Verlauf des Aufmarsches sogar noch dazu die Parole ein weiteres Mal anzustimmen.

In die skandierten Sprechchöre stimmten auch Mitglieder der neonazistischen Gruppierung »AG Wiking - Wilhelmshaven« mit ein. Der Führungsaktivist dieser Kameradschaftsgruppe, Manuel Wojczak aus Ostfriesland, kandidierte im Januar 2008 noch für die »Nationaldemokratische Partei Deutschland« (NPD). Bei dem vormaligen Engagement für die neonazistische NPD hatte Wojczak noch 1,4% der Stimmen im Wahlkreis Wittmund/Inseln erhalten.


Aus Nah und Fern


Begleitet wurden die Mitglieder der »AG Wiking - Wilhelmshaven« von Aktivist_innen der »AG Wiking - Mecklenburg« aus Schwerin. Mitglieder der mecklenburgischen und niedersächsischen »AG Wiking« traten bereits im Zusammenhang mit Propagandatätigkeiten im Verlauf der niedersächsischen Landtagswahl gemeinsam in Erscheinung. Aus ihrer politischen Orientierung machen die Aktivist_innen der niedersächsischen »AG Wiking – Wilhelmshaven« dabei kein Hehl. Auf der Internetpräsenz der Kameradschaftsgruppe werden Besucher_innen mit einem Ortsschild der Stadt Wilhelmshaven begrüßt. Um keine Zweifel aufkommen zu lassen, wurde das Ortsschild mit dem Zusatz »Nazi – Hochburg« versehen.

Neben einigen zumeist jüngeren Neonazis aus dem Oldenburger Umland begleitete eine weitere Kleingruppe aus Bremen und Bremerhaven den Aufmarsch. Die Reisegruppe aus der Hansestadt bestand aus ehemaligen Mitgliedern der »Backstreet Skinheads Bremen« sowie Neonazis aus dem Umfeld der »NPD Jugendgruppe Bremen«, die sich zum Teil nun seit kurzem unter dem Label »Freien Nationalisten Bremen« organisieren.

Insgesamt erreichten am 05.07.2008 lediglich 56 Teilnehmer_innen den Auftaktort der Veranstaltung. Der als Redner angekündigte Neofaschist Axel Reitz aus Nordrhein-Westfalen sagte auf Grund gesundheitlicher Probleme seine Teilnahme bereits im Vorfeld ab. Als Ersatz hielt der Oldenburger Neonazi und Aktivist der »Freien Kräfte Oldenburg« Dennis Neumann im Verlauf einer Zwischenkundgebung einen wenige Sätze umfassenden Redebeitrag.

Ob der Aufmarsch von den beteiligten Neonazis als Erfolg gewertet werden kann, bleibt zweifelhaft. Streitigkeiten, die bereits die Vorbereitungsphase prägten, sorgten auch im Nachhinein für Diskussionsbedarf.

Auch die Wahl von Christian Worch als Anmelder von politischen Aufmärschen in der Metropolregion Oldenburg – Bremen steht in zunehmender Kritik. Im Vergleich zum vorangegangenen Aufmarsch in Oldenburg im Oktober 2005 halbierte sich die Zahl der angereisten Teilnehmer_innen nahezu. Auch damals boykottierte der niedersächsische NPD Landesvorstand um Ulrich Eigenfeld den Aufmarsch.

Die Rolle als politisches Zugpferd scheint Christian Worch insbesondere im norddeutschen Raum nicht mehr ausfüllen zu können. Bei einer von ihm angemeldeten Kundgebung im Bremer Stadtgebiet im Januar 2007 konnten die Veranstalter mit Unterstützung des Hamburger Aktivisten Christian Worch lediglich 25 Neonazis mobilisieren. Im Gegensatz zur Kundgebung in Bremen am 20.01.2007 konnte sich die Anzahl der Teilnehmer_innen zwar verdoppeln, im Vergleich zu neonazistischen Veranstaltungen der letzten Jahre in Norddeutschland sind die geringen Teilnehmerzahlen im Zusammenhang mit Christian Worch allerdings mehr als auffällig.

Im September 2007 kam es für die beteiligten neonazistischen Aktivist_innen zu ähnlich problematischen Mobilisierungsschwierigkeiten im Zusammenhang mit einem Aufmarsch in der Stadt Weyhe. Auch hier agierte Christian Worch als Anmelder, um die regionalen Strukturen zu unterstützen.

Bevor sich der Aufzug am 22.09.2007 in Weyhe jedoch in Bewegung setzten konnte, musste das eigens mitgeführte Lautsprecherfahrzeug wieder abgebaut werden. Die erforderliche Anzahl von 50 Personen wurde nicht erreicht. Mit insgesamt 41 angereisten Teilnehmer_innen blieb auch dieser Aufmarsch, ähnlich wie nun in Oldenburg, weit hinter den angekündigten Größenordnungen zurück.