24.07.2008 / Homberg: »Nehmt die Waffen in die Hand!«

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Kevin Schnippkoweit, Neonazi aus dem Dunstkreis der NPD sowie der sogenannten »Autonomen Nationalisten« sitzt in Untersuchungshaft. Bei dem 19jährigen handelt es sich um den mutmaßlichen Haupttäter eines gewaltsamen und bewaffneten Überfalls auf ein Zeltlager der »Linksjugend ['solid]« im hessischen Homberg (Schwalm-Eder-Kreis). Verlautbarungen der zuständigen Staatsanwaltschaft Kassel geben Einblick in die Schwere der Tat. »Versuchter Mord gehört zu den Tatbeständen, die in Erwägung gezogen werden«, so die Staatsanwaltschaft. Auch auf weitere Mitglieder der »Freien Kräfte Schwalm-Eder-Kreis« dürften neue Ermittlungsverfahren zukommen. Bei einer Polizeirazzia am 24.07.2008 beschlagnahmten Einsatzkräfte der Polizei umfangreiches Propagandamaterial sowie eine Reihe von Waffen.

Die Angreifer überfielen ihre Opfer im Schlaf. Bei dem Überfall auf das Zeltlager von ['solid] am Neuenhainer See am Sonntag den 20.07.2008 war ein 13jähriges Mädchen lebensgefährlich verletzt worden. Nachdem die Täter in den Morgenstunden einen Zaun zu dem Zeltlager überwanden, drangen sie auf dem Gelände in ein Zelt ein, in welchem ein 13jähriges Mädchen sowie ihr 10 Jahre älterer Bruder schliefen. Der 19jährige Hauptverdächtigen soll anschließend unter anderem mit einem Klappspaten auf die Minderjährige eingeschlagen haben. Mit lebensgefährlichen Kopfverletzungen wurde das 13jährige Opfer später in ein Krankenhaus eingeliefert.

Nachdem die Täter zunächst unerkannt entkommen konnten wurden wenige Stunden später insgesamt vier Personen festgenommen. Zum Zeitpunkt der Attacke auf das minderjährige Opfer auf dem Gelände des Zeltlagers beschädigten weitere Neonazis parkende Fahrzeuge vor dem Gelände des Zeltlagers und zerschlugen die Heckscheiben. Als die Neonazis anschließend flüchteten, konnten sich Teilnehmer_innen die Kennzeichen der Angreifer notieren.

Bei dem mutmaßlichen Haupttäter soll es sich um Kevin Schnippkoweit handeln. Der 19jährige soll seine Tatbeteiligung inzwischen eingeräumt haben und den Angriff auf die Opfer gestanden haben. Mittlerweile befindet sich der Aktivist des hessischen Neonazispektrums in Untersuchungshaft. Bei Schnippkoweit handelt es sich um keinen Unbekannten. Seit geraumer Zeit agiert der 19jährige im Umfeld der hessischen NPD und der militanten Kameradschaftsszene.

Von einer organisatorisch eingebundenen neonazistischen Szene, im Zusammenhang mit dem bewaffneten Überfall auf das Zeltlager, will man hingegen von offizieller Stelle nicht sprechen. Schnippkoweit wurde zuletzt der neonazistischen Gruppierung »Freie Kräfte Schwalm-Eder-Kreis« zugerechnet. Die Polizei wertet die Gruppierung, trotz ihrer Teilnahme an diversen bundesweiten Neonaziaufmärschen und ihrer Größe von rund 30 Personen im Alter zwischen 17 und 32 Jahren, lediglich als »relativ losen Zusammenschluss«.

Auch Schnippkoweit war in der Vergangenheit auf neonazistischen Aufmärschen anzutreffen. So zuletzt unter anderen am 26.04.2008 im nordrhein-westfälischen Stollberg. Zeitweilig soll der 19jährige Neonazi im thüringischen Jena eine Bleibe gefunden haben. Während sein Wohnsitz wechselte, blieb allerdings die politische Gesinnung. Am 17.05.2008, beim diesjährigen »Tag der nationalen Jugend«, einer jährlich stattfindenen Neonaziveranstaltung, war Schnippkoweit ebenfalls anzutreffen. Gemeinsam mit Ralf Wohlleben, dem ehemaligen stellvertretenden thüringischen NPD Landesvorsitzenden präsentierte sich der 19jährige am Rand der Veranstaltung im thüringischen Sondershausen.

Involviert war Schnippkoweit auch in die propagandistischen Tätigkeiten der neonazistischen »Volksfront-Medien«. Die Mitglieder der sogenannten »Volksfront-Medien« erstellten in den vergangenen Monaten eine Reihe von Propagandavideos welche über das Internet verbreitet wurden. In einem dieser Propagandavideos gab Kevin Schnippoweit bereits Auskunft darüber, wie seiner Vorstellung nach, mit politischen Gegner_innen umgegangen werden muss. »Wenn sie euch stören, packt das Übel an der Wurzel«. Schnippkoweit führte auch aus mit welchen Mitteln dies geschehen solle - »Nehmt die Waffen in die Hand« so sein diesbezüglicher Kommentar in einem der erstellten Propagandavideos.

Zum organisatorischen Kreis der »Volksfront-Medien« gehört neben Schnippkoweit auch Patrick Wiedorn. Der Neonazi aus Arnstadt wurde in der Vergangenheit den Strukturen des im September 2000 verbotenen Neonazinetzwerks »Blood & Honour« zugerechnet. Im Rahmen einer bundesweiten Razzia im März 2006, wegen des Verdachtes auf Fortführung von »Blood & honour« im Untergrund, wurden die Einsatzkräfte der Polizei auch bei Patrick Wiedorn vorstellig. Bei den Hausdurchsuchungen in insgesamt 119 Wohnobjekten wurden auch eine funktionstüchtige Handgranete und eine Pistole sichergestellt.

Zum Kreis der »Volksfront-Medien gehören neben Wiedorn und Schnippkoweit auch die Neonazis Philipp John und Christian Müller. Während des Neonaziaufmarsches am 26.04.2008 in Stollberg waren alle vier gemeinsam zugegen. Während Philipp John und der Aktivist der »neonazistischen »Heimattreuen Deutschen jugend e.V.« Christian Müller in die organistorischen Abläufe in Stollberg involviert waren, bewegte sich Schnippkoweit, gemeinsam mit thüringischen Neonazis im Block der sogenannten »Autonomen Nationalisten«.

In den Morgenstunden des 24.07.2008 durchsuchten nun Ermittler_innen und Einsatzkräfte der Polizei zeitgleich mehrere Wohnungen von Mitgliedern und Sympathisanten der »Freien Kräfte Schwalm-Eder-Kreis«. Nach Angaben der Polizei wurde gegen die Gruppierung bereits seit Wochen verstärkte Ermittlungen angestrengt. Hintergrund dazu bildeten eine Reihe von Straftaten derer die einzelnen Mitlieder der Gruppierung verdächtigt werden. Neben Ermittlungen aufgrund von Sachbeschädigungen wird in diesem Zusammenhang auch wegen eines Raubüberfalls in Frielendorf-Todenhausen am 08.06.2008 ermittelt. Die Hausdurchsuchungen fanden zeitgleich in insgesamt 13 Wohnungen und nach Angaben der zuständigen Staatsanwaltschaft Marburg in zwei Bundesländern statt. Eine der durchsuchten Räumlichkeiten befand sich außerhalb des hessischen Bundeslandes.

Bei der Razzia gegen die Neonazigruppierung wurde umfangreiches Propagandamaterial beschlagnahmt. Darunter mehrere Hakenkreuzfahnen. Im Verlauf der Hausdurchsuchungen seien nach Polizeiangaben sieben Neonazis zwischenzeitlich festgenommen worden. Forderungen wie »Nehmt die Waffen in die Hand«, welche auch Kevin Schnippkoweit in einem Propagandavideo der »Volksfront-Medien« aussprach entpuppen sich bei Betrachtung der Hausdurchsuchungen nicht nur als leere Worthülsen. Neben Mobiltelefonen und Computern stellten die eingesetzten Polizeikräfte auch mehrere Waffen sowie waffenähnliche Gegenstände sicher.