16.08.2008 / Hradec Krávolé (CZ): Gentle breeze over Europe

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Im kleinen Bahnhof der tschechischen Stadt Hradec Králové weht die weiße Fahne der tschechischen Neonazi-Partei »Delnická strana«. Die Fahne mit dem roten Zahnrad und dem Namenkürzel bildet den Anziehungspunkt für die rund 280 tschechische, slowakische sowie rund 20 deutsche Neonazis, welche sich in den Mittagsstunden in dem Bahnhofsgebäude aufbauen. Bis zum frühen Nachmittag versammelten sich, die zum Großteil kahl rasierten jungen Männern um das Banner, um an einem von der Stadtverwaltung für illegal erklärten Aufmarsch der derzeitig wichtigsten tschechischen Neonazipartei teilzunehmen.

Ursprünglich sollten bei der Veranstaltung, welche unter dem Motto »den svobody« (»Tag der Freiheit«) stand, mehrere Neonazi-Bands und Redner auftreten. Jedoch wurde die Veranstaltung, nachdem der Mietvertrag für das Gelände durch die Stadtverwaltung aufgekündigt wurde, seitens der lokalen Behörden untersagt. Geplant war eine Veranstaltung in einem Amphitheater nahe der ca. 80 Kilometer von Prag entfernt gelegen Stadt. Beworben wurden die «Feierlichkeiten« bereits seit Wochen- auch von deutschen Neonazis. So waren, im Rahmen der Veranstaltung auch Vertreter_innen der neonazistischen NPD und des militanten »Kameradschaftsspektrums« mit Redebeiträgen angekündigt.

Neben den Redebeiträgen war ebenfalls der Auftritt von vier neonazistischen Musikgruppen vorgesehen. Als Überraschungsgast angekündigt: Ken McLellan, Sänger der »Blood & Honour« Band »Brutal Attack«. Ähnlich wie beim jährlich in der Bundesrepublik Deutschland stattfindenden »Fest der Völker«, wo unter anderem »Blood & Honour« Aktivisten aus dem europäischen Umland zusammenkommen, sollte die Veranstaltung der Vernetzung europäischer Neofaschisten dienen.

Die kurzfristige Untersagung der Veranstaltung durch die tschechischen Behörden hinderte die angereisten Neonazis nicht daran eine Ersatzveranstaltung im Innenstadtbereich von Hradec Králové durchzuführen. Obwohl die Kundgebung nicht genehmigt wurde, zogen gegen 15:00 Uhr rund 280 Neonazis in einem Aufmarsch zum späteren Kundgebungsort. Begleitet wurde sie durch eine Hundertschaft der tschechischen Polizei. Unter den zum Teil vermummten Aufmarschteilnehmer_innen befanden sich auch Mitglieder aus dem Spektrum der sogenannten tschechischen »Autonomen Nationalisten«. Den weitaus größten Teil der angereisten Neonazis stellen allerdings neonazistische Skinheads aus Tschechien und der Slowakei.


Ein Aufmarsch für 204,69 Euro


Als Folge des Aufmarsches erhielt der Anmelder der ursprünglich als »Tag der Freiheit« geplanten Veranstaltung, Thomas Vandas, seines Zeichens Vorsitzender der »Delnická Strana« einen Bußbescheid der Stadverwaltung von Hradec Králové. Sonderlich stören dürfte ihn die Strafe von rund 5000 tschechischen Kronen, umgerechnet 204,69 Euro, nicht. Gemeinsam mit Jiri Stépánek einem weiteren Parteifunktionär der »Delnická Strana« nutze Thomas Vandas hingegen diese Gelegenheit um anwesenden tschechischen Journalist_innen bereitwillig Auskunft über die Ziele seiner Partei zu geben.

Bei der anschließenden Kundgebung auf einem kleinen Vorplatz in Hradec Králové machten Thomas Vandas sowie Jiri Stépánek mit Redebeiträgen ihren Unmut über das Vorgehen der tschechischen Behörden Luft. Neben den Vertretern der »Delnická Strana« traten während der Kundgebung auch deutsche Neonazis in Erscheinung. So hielt der bereits im Vorfeld angekündigte Per Lennart Aae, Mitarbeiter der sächsischen NPD Fraktion ebenfalls einen Redebeitrag. Mit seinen Ausführungen gegen den »EU-Monsterstaat« und dem antisemitisch motivierten Verweis auf »die drohende Weltherrschaft der Hochfinanz« erntete das NPD Mitglied tosenden Beifall der Zuhörer_innen.

Auch Katrin Köhler, Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Chemnitz störte sich nicht am Charakter der Veranstaltung. Angekündigt wurde Köhler im Vorfeld als Vertreterin des »Ring Nationaler Frauen« (RNF), einer Frauenorganisation der neonazistischen NPD in Deutschland. Ebenso wie Per Lennart Aae legte die langjährige Neonaziaktivistin in ihrem Redebeitrag einen Schwerpunkt auf antisemitische Inhalte. Sie forderte »Alle national denkenden und handelnden Menschen in Europa müssen zusammenhalten, um einen starken Gegenpol zum internationalen Hochfinanzkapital zu bilden«.

Carola Holz, die derzeitige Vorsitzende des NPD Landesverband von Sachsen-Anhalt und Aktive im »Ring Nationaler Frauen« (RNF) überbrachte für ihren NPD-Landesverband »die besten Kampfesgrüße« und forderte ein »Europa der Vaterländer«, welches der Globalisierung und »Pan-Amerikanisierung Europas« die »Stirn bieten« müsse. Neben Carola Holz trat ein Vertreter der deutschen Kameradschaftsszene an das Megaphon der sich als Kamerad aus Dortmund vorstellte. Auch dieser schlug in die gleiche antisemitische Kerbe wie bereits seine Vorreder_innen und hetzte gegen die »Fremdherrschaft der USA, die wiederum nur dem Lebensinteresse Israels dienen durch ihre unglaubliche Macht, die sie unter anderem durch ihr Weltfinanzsystem aufgebaut haben«. Danach rief er die Anwesenden zu einer Schweigeminute für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß auf und zitierte dabei aus dessen Schlußwort im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess: »Ich bereue nichts«.

Im weiteren Verlauf des Tages kam es zu einem Treffen von Vertretern der tschechischen »Delnická strana« und der deutschen NPD, die in Zukunft ihre Zusammenarbeit intensivieren wollen. Ab Anfang September diesen Jahres planen beide Parteien in mehreren Zusammentreffen »die Erfahrungen und Strategien der politischen Arbeit« auszutauschen und zu vertiefen. Der an den Gesprächen beteiligte Mitarbeiter des »Deutsche Stimme<«-Verlags Sven Schwerdtfeger soll hierbei gemeinsam mit Dr. Olaf Rose und Karl Richter ein Seminar zu »politischen Fragen« leiten. Dr. Olaf Rose gehört seit 2008 dem Bundesvorstand des NPD an, ist seit den 90er Jahren im Vorstand der »Gesellschaft für freie Publizistik« aktiv und tritt auch im Zusammenhang mit der neofaschistischen Kontinent-Europa-Stiftung auf. Der aus München stammende Karl Richter sitzt dort für die »Bürgerinitiative Ausländerstopp<«im Stadtrat, ist für diverse neofaschistische Publikationen als Autor aktiv und Mitglied des Beratergremiums der Sächsischen Landtagsfraktion der NPD. Richter hatte 2004 für Schlagzeilen gesorgt, als er als Statist in Bernd Eichingers Film »Der Untergang« mitwirkte und sich im Nachhinein über die »a>uthentische Atmosphäre« gefreut hatte.


Offizieles »Heß Gedenken« in Deutschland ausgefallen


Im Vorfeld der Veranstaltung im tschechischen Hradec Krávolé wurde vermutet, das deutsche Neonazis die Veranstaltung in Tschechien als Ersatzveranstaltung für einen in Deutschland verbotenen »Rudolf Heß Marsch« nutzen würden. Seit 2005 sind diesbezügliche Aufmärsche in der Bundesrepublik verboten. An dem Verbot änderte sich im Jahr 2008 nur wenig. Auch eine von Jürgen Rieger als Privatveranstaltung angemeldete Gedenkfeier in einem Landgasthof im bayrischen Warmensteinach, für welchen er als möglicher Käufer gilt, wurde untersagt. Ein daraufhin von Udo Sieghart, Vorsitzender der NPD Hof/Wunsiedel, in Sonneberg bei Coburg angemeldeter Aufmarsch wurde vom zuständigen Landratsamt ebenfalls verboten.

Die bundesdeutsche Neonaziszene führte nach Bestätigung des Verbotes in etlichen Städten Spontanaktionen durch. Im niedersächsischen Braunschweig marschierten rund 50 Neonazis von NPD und des militanten Kameradschaftsspektrums durch die dortige Innenstadt. Im rheinland-pfälzischen Frankenthal kam es ebenfalls zu einem spontanen Aufmarsch von regionalen Neonaziaktivist_innen, zuvor hatte Neonazis bereits versucht in Mannheim einen ähnlichen Aufmarsch durchzuführen. Im mecklenburg-vorpommerischen Uckermünde kam es zu einem Fackelmarsch. Begleitet von Trommelschlägen marschierten dutzende Neonazis durch das nächtliche Uckermünde und skandierten Parolen.

Im bayerischen Städtchen Forchheim versuchten ebenfalls 50 Neonazis, unter ihnen auch der Hamburger Rechtsanwalt und bekennende Rassist Jürgen Rieger eine Protestkundgebung anlässlich der verbotenen »Gedenkveranstaltung« in Waremensteinach durchzuführen. Polizeikräfte lösten die Veranstaltung auf, Platzverweise wurden erteilt. Ähnliche Szenen spielten sich in den bayrischen Gemeinden Erlangen und Kitzingen ab, in welchen Mitglieder der bayrischen NPD versuchten Eilversammlungen abzuhalten. Auch diese wurden von den zuständigen Kommunen als »Ersatzveranstaltungen« für den verbotenen »Rudolf Heß Marsch« untersagt.

Die Aktivitäten der bundesdeutschen Neonaziszene im Zusammenhang mit dem nunmehr 21. Todestages des Hitler-Stellvertreters offenbaren neben der diesjährigen mangelnde Mobilisierungsfähigkeit auch erhebliche Probleme innerhalb der Organisationsstruktur für den »Rudolf Heß Marsch«. Insbesondere die Rolle des Anmelders Jürgen Rieger sowie des sogenannten »Wunsiedel Komitees« um Thomas »Steinar« Wulff, welches in den vergangenen Jahren für die Ausrichtung des »Rudolf Heß Marsches« verantwortlich zeichnete, steht szeneintern in der Kritik. Daran ändert auch die Gedenkminute in Tschechien nichts.