13.09.2008 / Zeven: »Beim nächsten Mal sind Politiker dran«

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Das Amtsgericht Zeven verurteilte am 09.09.2008 einen 19 Jährigen Neonazi aus dem niedersächsischen Sittensen zu drei Jahren Haft. Das damalige Mitglied des »NPD Unterbezirkes Stade«, hatte gemeinsam mit zwei weiteren Angeklagten, nach Gesprächen anlässlich der Gründung eines lokalen NPD Stützpunktes in Sittensen zwei Brandbomben in die Räumlichkeiten eines muslimischen Gebetshauses in Sittensen geworfen. In der Urteilsbegründung verwies das zuständige Amtsgericht Zeven einen politischen Hintergrund der Tat allerdings ausdrücklich in das Reich der Fabeln.

In der Nacht zum diesjährigen Ostersamstag schlugen die Täter zu. Nachdem einer der Angreifer die Fensterscheiben des Gebetsraumes zerschlagen hatte, wurden zwei zuvor präparierte Brandsätze, sogenannte »Molotowcocktails« in das Innere des Gebäudes geworfen. Unvorbereitet waren die Angreifer nicht. Der Angriff stand nach Angaben des Pressesprechers der Polizeiinspektion in Rotenburg Wümme im Zusammenhang mit der Gründung eines »NPD Stützpunktes Sittensen«.

Im Zuge der Gespräche zur Vorbereitung der Gründung jenes NPD Stützpunktes wurde auch der Brandanschlag auf das muslimische Gebetshaus besprochen und geplant. Zu Testzwecken hatten die an dem Anschlag beteiligten Neonazis einen weiteren Brandsatz bereits auf dem Balkon des nun zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilten Christian S. gezündet. Am Tatort selbst hinterließen die Täter dann Klebezettel mit Bezug zur norddeutschen Neonaziszene.

Es ist einem Zufall zu verdanken, dass durch den Anschlag keine Menschen verletzt wurden. In einem, an den Gebetsraum angegliederten, Wohnhaus schliefen zum Tatzeitpunkt fünf Personen. Entgegen der ursprünglichen Anschlagsplanung zersprangen die Brandflaschen nicht beim Aufprall in den Räumlichkeiten. Der verwendete Brandbeschleuniger verteilte sich daraufhin nur punktuell, setzte sich im Teppichboden fest und zerstörte das Mobiliar. Nur durch Glück erlosch das Feuer wenig später ohne Fremdeinwirkung. Die Polizei bezifferte den dabei entstandenen Sachschaden auf insgesamt 10 000 Euro.


Richterin: »Kein politischer Hintergrund«


Vor der Kammer des Amtsgerichtes Zeven gaben sich der Hauptangeklagte Christian S. sowie zwei weitere Angeklagte nun politisch geläutert. Dem Schöffengericht gegenüber bedauerten die Angeklagten ausdrücklich die Anschlagsplanungen und die daraufhin durchgeführte Tat. Der Hauptbeschuldigte Christian S. distanzierte sich in seiner Erklärung darüberhinaus ausdrücklich von der neonazistischen NPD, zu deren Mitgliedern er zum Tatzeitpunkt gehörte.

Mit dem am 09.09.2008 verkündeten Urteil gegen den,, in Fußfesseln vorgeführten, Rädelsführer Christian S. folgte die Richterin im Amtsgericht Zeven dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung des Angeklagten hatte hingegen auf eine zweijährige Haftstrafe plädiert. In einem Sachverständigengutachten wurden zuvor erhebliche Einschränkungen in der Persönlichkeitsentwicklung von Christian S. festgestellt. Einschränkungen die in Zusammenspiel mit Alkohol zu einer verminderten Schuldfähigkeit führe, wie das im Prozessverlauf verlesene Gutachten hervorhob.

Einen politischen Hintergrund der Tat schloss die Richterin in der Urteilsbegründung ausdrücklich aus. »In eine Statistik über rechtsextreme Straftaten würde die Tat nicht einfließen«. Die Angeklagten hätten sich ihren Worten folgend »glaubhaft von der rechtsextremen Szene distanziert«, so die Richterin. Das nicht unerhebliche Vorstrafenregister des Hauptbeschuldigten wirkte sich allerdings zu seinem Nachteil aus. Die dreijährige Haftstrafe wolle das Gericht dennoch als Chance verstanden wissen. Der Haupttäter »brauche einen gesicherten Rahmen um seine Persönlichkeit zu entwickeln und später am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können«, so die Richterin weiter.

Die zwei jugendlichen Mitangeklagten wurden durch das Amtsgericht zu je zwei Wochen Dauerarrest sowie der Ableistung von insgesamt 80 Arbeitsstunden als »tätige Reue« verurteilt. Die Aussagen eines Mitangeklagten, der im Verlauf des Prozesses eine direkte Tatbeteiligung bei der Durchführung des Anschlages abstritt, wertete das Schöffengericht in der Urteilsbegründung als Schutzbehauptung und verwies auf die gemeinsame Planung des Brandanschlages.


»Ich habe bei Adolf Dammann gelernt«


Inwieweit Aussagen des Hauptangeklagten Christian S. zu werten sind, zeigen auch Auslassungen des Neonazis im Verlauf von Verhandlungspausen des Prozesses. Dort war von Reue keine Rede mehr. Anwesenden Journalist_innen gegenüber äußerte Christian S. zwar sein Bedauern im Bezug auf den Brandanschlag auf das muslimische Gebetshaus in Sittensen, aus seiner heutigen Sicht wären Polizisten und Politiker die sinnvolleren Ziele gewesen.

Auf Fragen der Beeinflussung und Verstrickung von Mitglieder des NPD Unterbezirks Stade in den Brandanschlag erwiderte Christian S.: »Ich habe bei Adolf Dammann gelernt«. Der 68 Jährige Adolf Dammann ist Vorsitzender des NPD Unterbezirks Stade und gilt als politischer Ziehvater von Christian S. Als ehemaliger politischer Organisationsleiter der niedersächsischen NPD scharrt Dammann bereits seit mehreren Jahren Jugendliche um sich mit der Absicht, diese politisch zu schulen. Christian S. soll erst auf direkte Veranlassung von Dammann in die NPD aufgenommen worden sein. Dort erhielt der militante Neonazi dann die Mitgliedsnummer »88312«.

Dennoch distanziere sich Christian S. nun von der NPD. »Der demokratische Weg von dem Großteil der Mitglieder der NPD läuft ins Nirgendwo«. In den Verhandlungspausen bedauerte Christian S. vor allem die in seinen Augen propagierte Gewaltfreiheit der Partei: »Früher hat man Probleme noch mit der Waffe geregelt«. Nach seiner Haftentlassung werde er politisch »weitermachen« kündigte S. an, aber dann nicht mehr für die »verweichlichte« NPD aktiv werden, sondern in der militanten Kameradschaftsszene. Er sei nun bei »Blood & Honour« und dem »Kampfverband Nord« aktiv.

Wenige Wochen vor dem Brandanschlag in Sittensen hatte Christian S. unter der Bezeichnung »Combat 18« bereits massive Drohungen an Journalist_innen verschickt. Hinter der Bezeichnung »Combat 18« verbirgt sich eine terroristische Neonaziorganisation aus Großbritannien, die als »bewaffneter Arm« von »Blood & Honour« gilt. Auch in einem Internetforum des unter anderem in Deutschland und Ungarn verbotenen »Blood & Honour« Netzwerkes findet sich Christian S. Auf Fotografien posiert der jugendliche Neonazi dort mit einem Gewehr im Anschlag.

Während seiner Untersuchungshaft in der JVA Hameln habe er bereits weitere entsprechende Kontakte knüpfen können. In der Haftzeit plane er sich betreuen zu lassen. Nicht von Sozialpädagogen, sondern vielmehr von der neonazistischen »Hilfsgemeinschaft Nationaler Gefangener« (HNG). Desweiteren verwies Christian S. auf einen weiteren in der JVA Hameln einsitzenden Neonazi mit Vorbildcharakter. Nach seiner Haftentlassung plane dieser, aus Rache den Bruder seiner ehemaligen Freundin »hinzurichten«. Ankündigungen, die bei dem 19 Jährigen Neonazi Christian S. nach Eigenbekunden eine gewisse Bewunderung auslösen.

Von diesem Neonazi stammten auch die frisch gestochenen Tätowierungen auf dem Arm von Christian S. Tätowierungen, die während der Untersuchungshaft entstanden und die der jugendliche Neonazi im Gerichtsaal vor den Augen der Richterin sorgsam verdeckt hielt. Neben einem mit Runenzeichen versehenen Schriftzug »Wotan« und einer Triskele auf dem Unterarm, findet sich dabei auf dem Oberarm auch das Kürzel »SA«. Nicht ohne Stolz berichtet Christian S. in den Verhandlungspausen auf die Tätowierungen angesprochen, von der Brutalität der »Sturmabteilungen« des NS Regimes. »Damals wurde noch kurzer Prozess gemacht« beginnt der 19 -Jährige zu schwärmen.


»Ihr werdet noch von mir hören«


Inwieweit die Relativierungen der politischen Dimension des Brandanschlages in Sittensen durch das Amtsgericht Zeven der zukünftigen »Persönlichkeitsentwicklung« von Christian S. zuträglich sind, erscheint zweifelhaft. Christian S., der das Urteil äußerlich unbeeindruckt vernahm, äußerte nach Beendigung des Prozesses Journalist_innen gegenüber, das er ursprünglich mit einer weitaus härteren Strafe gerechnet hatte. Die nun folgende Dauer der Haftstrafe werde er damit verbringen sich auf die Zeit nach seiner Haftentlassung vorzubereiten.

Die Ausblendung der politischen Hintergründe lässt vor allem Fragen im Bezug auf die Schulungsarbeit des NPD Unterbezirks Stade unbeantwortet. Mehrfach sorgten militante Aktivitäten von Neonazis aus dem Zusammenhang des NPD Unterbezirks und dessen Schulungsarbeit in der Vergangenheit für Schlagzeilen, wie beispielsweise im Jahr 1999 als eine Gruppe Neonazis eine Flüchtlingsunterkunft in Kutenholz-Aspe überfielen. Die Angreifer waren wenige Stunden vor der Tat auf einer internen Schulungsveranstaltung der NPD Stade gewesen.

Auch Malte B. aus den Reihen der NPD/JN Verden gehört zu dem Kreis von Neonazis, die mit Hilfe von Schulungsveranstaltungen im NPD Unterbezirk Stade zu neonazistischen Überzeugungstätern erzogen wurden. Inzwischen gilt Malte B. nicht nur im Zusammenhang mit Körperverletzungsdelikten als einschlägig vorbestraft. Weniger bekannt dürften allerdings andere Aktivitäten des Verdener Neonazis sein.

Malte B. gehörte in der Vergangenheit zu den neonazistischen Bewohnern des Heisenhofes in Dörverden. In den Garagen des geplanten »Schulungszentrums« des Hamburger Neonazis Jürgen Rieger soll das Mitglied der NPD/JN Verden Rohrbomben entwickelt und gefertigt haben. Im Zeitraum zwischen 2005 und 2006 sollen auf dem Gelände in Dörverden Sprengversuche durchgeführt worden sein. Es blieb nicht nur bei den Versuchen. Auf ein in unmittelbarer Nähe des Heisenhofes liegendes Mahnmal, errichtet zum Gedenken an Zwangsarbeiter_innen während des zweiten Weltkrieges, wurde kurze Zeit nach den Sprengversuchen ein Bombenanschlag verübt. Durch die Detonation wurde ein Betonpfeiler des Mahnmals auseinander gerissen. Bei dem mutmaßlichen Täter soll es sich, szeneinternen Angaben zufolge, um Malte B. handeln.

Auch Christian S. berichtete in den Verhandlungspausen immer wieder von beabsichtigten Sprengstoffanschlägen. Im Anschluss an den Prozess und seiner Überführung in die JVA Hameln fand Christian S. vor den Türen des Amtsgerichtes Zeven dann noch Zeit für eine Zigarette. »Ihr werdet noch von mir hören« gibt Christian S. vor seiner Abfahrt in die JVA Hameln einigen Prozessbeobachter_innen mit auf den Weg. »Schneller als euch lieb ist, und es wird euch nicht gefallen«, so sein abschließender Kommentar. Eine Aussage die wohl der Wahrheit entspricht. Angesichts der »einsichtigen Äußerungen« des Angeklagten gegenüber dem Schöffengericht wurde Christian S. eine vorzeitige Haftentlassung in Aussicht gestellt.