27.09.2008 / Esens: »Alliierte Mörderbande«

recherche-nord

In den Abendstunden des 27.09.08 führten Aktivisten aus dem Umfeld der neofaschistischen Kameradschaft »AG Wiking« eine Gedenkveranstaltung und einen Fackelumzug im ostfriesischen Esens und im nahe gelegenen Jever durch. Laut örtlicher Polizei bekam diese gegen 22 Uhr einen telefonischen Hinweis, dass sich eine größere Personengruppe mit Fackeln durch Esens bewegen würde.

Angetroffen wurde die rund 20 Personen umfassende Gruppe am Friedhof, mit Fackeln und einem Transparent mit der Aufschrift »Alliierte Mörder«. »Esens wurde, wie viele weitere deutsche Städte, Opfer des bedingungslosen Deutschenhasses der Alliierten.« So zumindest laut Auffassung der »Aktionsgruppe Wiking« (AG Wiking) zum 27.09.1943, als alliierte Bombergeschwader Esens bombardierten. Unklar ist bis heute der genaue Grund für die Bombardierung, bei der 165 Menschen ums Leben kamen.

Diese Art des Geschichtsrevisionismus ist unter deutschen Neonazis nicht neu. Nur zu gern versuchen sie, alliierte Kriegshandlungen als Verbrechen zu brandmarken und die deutsche Zivilgesellschaft als Opfer darzustellen. Dass diese Taktik eben keine neuere Erscheinung der neonazistischen Szene ist, zeigen auch die Vorgänge im sächsischen Dresden. Mit der Ausblendung nationalsozialisischer Verbrechen sowie der Umdeutung von Ursprüngen alliierter Bombenangriffen entstand aus anfänglich rund 200 Nazis innerhalb eines Jahrzehnts ein regelrechter Großevent mit bis zu 5000 Teilnehmerinnen.

Nach dem selben Prinzip verfährt die Neonaziszene auch im niedersächsischen Bad Nenndorf. Wachstum inbegriffen. In den vorangegangenen Jahren reisten lediglich eine Handvoll Neofaschist_innen vor das »Winklerbad«, einem ehemaligen Kriegsgefangenenlager der Briten. Am 02.08.2008 waren es hingegen bereits knapp 400 Neofaschist-innen, die unter dem Vorwand »gegen alliierte Folter« den zukünftigen Nationalsozislismus propagierten.


»Ist man nicht eingeladen, macht man seine eigene Trauerfeier.«


Das dachte sich am Samstag, den 27.09.2008 wohl auch die Mitglieder der »AG Wiking«. Denn eine Gedenkveranstaltung seitens der Stadt, an welcher sich Neonazis der »AG Wiking«, wie bereits in den vergangen Jahren, hätten beteiligen können, gab es in diesem Jahr nicht. Um sich von den Geschichtsrevisionist_innen abzugrenzen, beschloss die Stadt, sich in die nahe liegende Kirche zu einem Friedensgottesdienst zurück zu ziehen und die Nazis außen vor zu lassen. Die lokale DVU meldete daraufhin eine Kranzniederlegung an, welche aber kurzerhand vom Ordnungsamt verboten wurde.

Es hatte wohl niemand mehr damit gerechnet, dass sich die Neofaschist_innen noch in den Abendstunden des 27.09.2008 in Esens einfinden würden. Gegendemonstrant_innen waren größtenteils abgereist und auch die Polizei war bereits abgerückt. Gegen 22:00 Uhr meldete sich dann ein Augenzeuge telefonisch bei der Polizei in Esens. Er gab an, dass sich eine größere Personengruppe mit Fackeln durch die Stadt bewegen würde. Lokale Polizeikräfte, die noch Verstärkung aus den benachbarten Orten anforderten, trafen am Friedhof auf die rund 30 Personen umfassend Guppe von Neonazis, die dort Blumen abgelegt hatten. Nach einer Personalienkontrolle wurde ihnen das Fortführen des Aufmarsches untersagt, woraufhin die Aktivist_innen der »AG Wiking« nach eigenen Angaben zum Kriegsgräberdenkmal in Jever fuhren, an dem nach Eigenangaben ein »Kamerad« einen Redebeitrag hielt. Dabei handelte es sich um Manuel Wojczak, einer Führungsperson der Kameradschaftsgruppe.


Und ewig grüßt der Wojczak


Die »AG Wiking«, nun seit circa drei bis vier Jahren in der Region aktiv, entstand parallel zu den Strukturen der »NPD Wilhelmshaven/Ostfriesland«. Der überschaubare Kern der »Aktionsgruppe Wiking« ist ebenso wie weitere Aktivist_innen der Kameradschaftsgruppe gleichzeitig in der neonazistischen NPD tätig. So war der mutmaßliche Kopf der »AG Wiking«, Manuel Wojczak, Kandidat der NPD bei den niedersächsischen Landtagswahlen im Jahr 2008.

Wojczak, über dessen Privatleben in der Vergangenheit schon mehrfach für ihn unangenehme Details bekannt wurden, wie zum Beispiel eine Mitgliedschaft bei Kontaktbörsen für Seitensprünge, scheint sich mit seiner zunehmenden Bekanntheit innerhalb der Szene abgefunden zu haben. So verzichtet er in seiner Funktion als ehemaliger Verantwortlicher für die Internetseite der »AG Wiking« mittlerweile darauf, sich selber auf Fotos der »AG Wiking« unkenntlich zu machen.

Neben dem Neonazi Jens Wagenlöhner gilt Manuel Wojczak als einer der potenziertesten Aktivisten aus der Region wenn es darum geht, auf regionalen und überregionalen Veranstaltungen der neonazistischen Szene aufzutauchen. So standen die beiden Führungspersonen der »AG Wiking« am 16.02.08 in Dresden in der ersten Reihen und trugen zeitweilig das Fronttransparent. Anzutreffen waren sie auch während des Aufmarsches von Neonazis am 02.08.08 in Bad Nenndorf, um nur die Aufmärsche mit inhaltlicher Nähe zu nennen.

Um so interessanter ist es, dass die »AG Wiking« es bislang nicht geschafft hat, eine formale Demonstration anzumelden und diese in der Folgezeit auch durchzuführen. Entweder beteiligten sie sich an Gedenkveranstaltungen, wie in Esens, bei der sie keine Ordner und Anmelder stellen mussten, oder führten so genannte »Spontandemonstration« durch, für die »spontan« Transparente, Fackeln oder Fahnen mitgeführt wurden. Der bislang einzige Aufmarsch, mit der sich die »AG Wiking« ins bundesweite Gespräch brachte war ein Aufmarsch im Jahr 2007.

Silvio Reinhold Kruk vom damaligen so genannten »National-sozialistischen Bund Deutschlands« (NSBD) versuchte mit Unterstützung der »AG Wiking« in Wilhelmshaven einen Aufmarsch durchzuführen. Dabei griff er auch auf die Unterstützung von Mitgliedern der »AG Wiking« zurück. Antifaschist_innen nahmen daraufhin unter falschen Angaben Kontakt zu Reinhold Kruk und der imaginären »NSDB« auf. Kruk übergab im Verlauf der nun einsetzenden Gespräche einen Teil der Organisationsleitung auf seine neugewonnen Unterstützer_innen mit dem Ergebnis das die Veranstaltung nie stattfand.

Selbst die Internetpräsenz der Kameradschaft »AG Wiking« brachte für die Betreiber mehrfach Probleme mit sich. So gab es in der Vergangenheit Beschlagnahmungen bezüglich der Inhalte auf der Seite der »Aktionsgruppe«. Ende vergangenen Jahres wurde die Internetseite zusätzlich von sogenannten »Datenantifas« gehackt. Pivaten Fotos und Daten zu Wojczak wurden daraufhin auf der Seite der Kameradschaftsgruppe zur freien Verfügung gestellt.

Aktuell läuft ein Ermittlungsverfahren gegen den derzeitigen Verantwortlichen der Seite Sascha Major, gegen den derzeit aufgrund der Leugnung des Holocaust wegen Volksverhetzung ermittelt wierden soll Auch der bislang letzte Auftritt der »AG Wiking« am 27.09.2008 im ostfrisischen Esens dürfte von wenig positiver Resonanz gepriesen sein. Ausserhalb der neonazistischen Szene hinterlässt es sicherlich keinen guten Eindruck, wenn 20 schwarz gekleidete und zum Teil vermummte Personen am Jahrestag von 165 getöteten Menschen mit Fackeln durch die Stadt ziehen.