29.09.2008 / Westerstede: Jüdischer Friedhof in Westerstede geschändet

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In der Nacht zum Freitag, den 26.09.2008 schlugen die Täter zu. Auf dem jüdischen Friedhof in Westerstede (Kreis Ammerland) hinterließen sie eine Spur der Verwüstung. Grabsteine wurden umgestoßen und mit Hakenkreuzen beschmiert. Auch auf den Außenwänden einer Schule, einer jüdischen Gedenktafel der Bibliothek Westerstede sowie auf zwei abgestellten Fahrzeugen hinterließen die Täter »Unfassbare Kritzeleien«, wie es in einer späteren Pressemitteilung der Polizeiinspektion Oldenburg hieß.

Die mutmaßlichen Täter wurden bereits in den Mittagsstunden des darauffolgenden Tages von der Polizei festgenommen. Dabei handelte es sich um drei junge Männer im Alter zwischen 16 und 20 Jahren. Zwei der nun ermittelten Jugendlichen waren zuvor aus der Hansestadt Hamburg nach Westerstede gereist und hatten sich dort mit dem später festgenommen 20jährigen getroffen. Die jungen Männer hatten sich, Polizeiangaben zufolge, über das Internet kennengelernt und waren daraufhin im benachbarten Apen (Kreis Ammerland) zusammengekommen.

Die Stunde vor der Schändung des jüdischen Friedhofes verbrachten die mutmaßlichen Täter, nach Polizeiangaben, in Westerstede bei einem Bekannten des später festgenommen 20jährigen. Ob der Entschluss für die begangenen Taten in den dortigen Wohnräumen gefasst wurde, ist noch unklar. In der Nacht zum 26.09.2008 begaben sich die Täter dann auf den jüdischen Friedhof in Westerstede. Sie hinterließen antisemitische Parolen und Hakenkreuze.

Neben dem Friedhof wurde in der Nacht auch eine jüdische Gedenktafel im Eingangsbereich der Bibliotheksräume von Westerstede mit neofaschistischen Schmierereien geschändet. Ein zielgerichtetes Vorgehen der Täter erschließt sich auch aus den Sprühereien an der »Robert-Danneman Schule«. Eine Schülerfirma der Haupt-und Realschule kümmerte sich bislang um die Pflege des jüdischen Friedhofes in der Kreisstadt.

Nach der Tat sollen sich die jungen Männer zurück in die Räumlichkeiten in Westerstede begeben haben, wo sie später von Polizeikräften schlafend aufgefunden und vorläufig festgenommen wurden. Ein 18jähriger Hamburger sowie der 20jährige aus Apen haben inzwischen ihre Tatbeteiligung eingeräumt und wurden kurz danach aus dem Polizeigewahrsam entlassen. Der 16jährige Hamburger, dem die Polizei ein »festgefahrenes Weltbild« bescheinigte, verweigerte die Aussage und wurde später seinen Eltern übergeben. Gegen die jungen Männer wird nun wegen Sachbeschädigung und Volksverhetzung ermittelt. Alle drei seien bislang nicht einschlägig in Erscheinung getreten. Den Sachschaden beziffert die Polizei auf mehrere tausend Euro.

Die Tat ereignete sich nicht ohne Vorwarnung. Bereits in der Nacht auf den Donnerstag hatte sich ähnliches ereignet. Bislang unbekannte Täter verschafften sich in der Nacht auf den 25.09.2008 ebenfalls Zugang auf den jüdischen Friedhof in Westerstede - Grabsteine wurden umgestoßen. Als sich Mitarbeiter der Friedhofsverwaltung in den Morgenstunden des 26.09.2008 ein genaues Bild über die Schäden machen wollten, entdeckten sie die neuerlichen Schändungen.


Gewachsene Strukturen im Ammerland


Überraschend sind die Taten keineswegs. Bereits seit Jahren sorgen Neonazis aus der Region Ammerland für entsprechende Meldungen. Im Juni 2006 verurteilte das Landgericht Oldenburg, wegen eines Überfalls auf ein Jugendzentrum in Uplengen, fünf Neonazis aufgrund gemeinschaftlich begangener Körperverletzung. Einem damals 15-jährigen gelang bei dem Überfall zunächst die Flucht, er wurde jedoch von den Angreifern aufgegriffen, geschlagen und mit Springerstiefeln zusammengetreten.

Die Angreifer zwangen das Opfer sich niederzuknien und für einen sogenannten »Bordsteinkick«, in einen »Bordstein zu beißen«. Nach dem Vorbild des amerikanischen Filmstreifens »American History X« soll der damalige 20jährige Haupttäter anschließend Anlauf genommen haben, um dem in Todesangst schwebenden Jugendlichen, in das Genick zu treten. Der alkoholisierte Angreifer rutschte ab, das Opfer überlebte die Attacke. Während der Gerichtsverhandlung vor dem Landgericht Oldenburg räumte der Haupttäter später ein, mit dem Gedanken gespielt zu haben, das jugendliche Opfer umzubringen.

Im September 2006 verhinderten dann Einsatzkräfte der Polizei ein Konzert von Neonazis in Godenshold, nur 5 Kilometer von der Gemeinde Apen entfernt. Neofaschistische Musikgruppen wie »Oidoxie«, »Exxtressiv« sowie »Cherusker« aus Osnabrück sollten damals auftreten. Bei dem geplanten Konzert soll es sich um eine Abschiedsfeier für einen Neonazi aus der Region gehandelt haben, der kurz darauf eine vierjährige Haftstrafe antreten musste.

Die neonazistischen Strukturen in der Region Ammerland können indes auf eine lange und gewachsene Entwicklung zurückblicken. Zu den bekannt gewordenen Vorgängen gehört auch eine Vortragsveranstaltung im Jahr 1999. Damals konnten rund 40 Neonazis nahezu ungestört an einen Vortrag des verurteilten Neonaziterroristen Peter Naumann in Jeddeloh (Kreis Ammerland) teilnehmen. Im November des Jahres 2000 fand eine weitere bekannt gewordene Veranstaltung von Neonazis in Jeddeloh statt. Im Dezember 2001 versammelten sich dann in Westerstede-Ocholt bereist 60-70 Neonazis für eine regionale Veranstaltung. In einer Gaststätte wurde mit »Ansprachen und Musik« das »Ende des Kampfjahres« gefeiert. Im Oktober des gleichen Jahres versuchten Neonazis der militanten Kameradschaftsszene gemeinsam mit der NPD zuvor einen Aufmarsch in der Oldenburger Innenstadt durchzuführen.

Die militanten Strukturen von Neonazis in der Region haben traditionell eine enge Anbindung an den NPD Unterbezirk in Oldenburg und den dazugehörigen NPD Kreisbereich Ammerland. In Westerstede gehört Horst Wagener zu den langjährigsten NPD Mitgliedern. Wagener selbst gilt als Anhänger des derzeitigen NPD Landesvorsitzenden Ulrich Eigenfeld aus Oldenburg. Der, aus dem Spektrum der militanten Kameradschaften, in den letzten Jahren als »gemäßigt« und »Betonkopf« kritisierte Eigenfeld wurde zuletzt beim niedersächsischen NPD Landeparteitag 2008 in Sieversen (Kreis Buchholz i.d.Nordheide) im Amt des Landesvorsitzenden bestätigt.

Im Gegensatz zu Ulrich Eigenfeld sind die Berührungsängste von Horst Wagener zu den militanten Kameradschaften eher geringer Natur. Die Boykotthaltung des 1937 geborenen NPD Mitgliedes gegenüber einem Aufmarsch von niedersächsischen Neonazis im Oktober 2005 war eher parteiinternen Streitigkeiten geschuldet. Der damalige stellvertretende Landesvorsitzende und politische Organisationsleiter der niedersächsischen NPD, Adolf Dammann, hatte besagten Aufmarsch gemeinsam mit Vertreter_innen der militanten Kameradschaften in der Oldenburger Innenstadt durchgeführt. Da der Aufmarsch ohne Absprache mit dem restlichen Landesvorstand der neonazistischen Partei geplant wurde, verweigerte ein Großteil der niedersächsischen NPD anschließend ihre Teilnahme.

Abgrenzungsbestrebungen von Mitgliedern des NPD Unterbezirkes Oldenburg gegenüber den militanten Neonazistrukturen in Niedersachsen sind nicht existent. Die letzten Jahre zeigen gar in eine gegenteilige Entwicklung. Immer wieder treten Vertreter_innen der neonazistischen Partei und des militanten Kameradschaftsspektrums gemeinsam in Erscheinung.

So auch im Zusammenhang mit einem geplanten Landesparteitag der niedersächsischen NPD im März 2007. Nachdem der Wirt einer Gaststätte im ostfriesischen Burhave den angereisten Neonazis die Räumlichkeiten verweigerte, wichen die NPD Mitglieder und ebenfalls anwesenden Vertreter_innen der militanten Kameradschaftsszene ins nahegelegene Oldenburg aus. Dort versuchten rund 30 Neonazis eine Protestdemonstration durchzuführen, welche in der Folge von der örtlichen Polizei untersagt wurde. Nachdem die angereisten Neonazis Polizeibeamte angriffen, setzten die Einsatzkräfte Reizgas gegen die aufgebrachten Neonazis ein. Mehrere Neonazis, unter ihnen der niedersächsische Landesvorsitzende sowie Udo Voigt, derzeitiger Bundesvorsitzender der neofaschistischen Partei, wurden in Gewahrsam genommen.

Neben Horst Wagener wurde bei den Vorgängen in der Oldenburger Innenstadt im März 2007 auch das NPD Mitglied Michael Meyer von der Polizei in vorläufiges Gewahrsam genommen. Meyer gilt dabei als Vertreter des militanten Flügels der niedersächsischen NPD. Bei dem ehemaligen Hooligan aus dem Umfeld des VfB Oldenburg soll es sich um den Mitorganisator einer im Dezember 2006 stattgefundenen Weihnachtsfeier des NPD Unterbezirks Oldenburg handeln. Zum Rahmenprogram der damaligen Weihnachtsfeier »zum Ende des Kampfjahres 2006« gehörte auch der Auftritt der Liedermacher Annett und Michael Müller.


Der Nachwuchs steht bereits in den Startlöchern


Bei einer weiteren Gruppierung in der Region handelt es sich um den »Nationalen Widerstand Ammerland« (NWA). Bei einer der Führungspersonen des NWA handelt es sich um den 20jährigen Florian Meyer aus Apen. Gemeinsam mit Michael Meyer war der 20jährige Neonazi am 19.08.2006 bei einem Infostand der NPD in Oldenburg zugegen. Bewaffnet mit einer massiven Eisenstange, welche von Zivilpolizisten anschließend als »Akt der Notwehr« bezeichnet wurde, versuchte Florian Meyer gemeinsam mit weiteren Neonazis den NPD Propagandastand vor Protestaktionen abzuschirmen.

Mitglieder des »Nationalen Widerstandes Ammerland« waren in den letzten Jahren nicht nur auf Veranstaltungen der neonazistischen Szene in Norddeutschland anzutreffen, wie beispielsweise am 04.11.2006 während eines NPD Aufmarsches in Bremen oder am 08.06.2007 in Lüneburg. Hemden mit den Schriftzügen des »Nationalen Widerstand Ammerland« finden sich auch in dem Fußballstadion des VfB Oldenburg wieder. Als Teil der, als rechtsextrem geltenden »Oldenburger Fan Alternative« (OFA), ist auch Florian Meyer aus Apen, gemeinsam mit »Gesinnungskameraden« des NWA, bei Spielen des VfB Oldenburg ein regelmäßig anzutreffender Gast.

Nach den nun jüngst bekannt gewordenen Aktivitäten von Neonazis im Kreis Ammerland sprechen Behördenkreise von keiner wahrnehmbaren Steigerung der Neonaziaktivitäten in der Region. Derzeit gäbe es rund 35 Personen, welche dem Spektrum der organisierten Neoaziszene zuzurechnen seinen. Die Schändung des jüdischen Friedhofes stellt in Anbetracht der letzten Jahre demnach keine Außnahmeerscheinung neofaschistischer Aktivitäten dar. Inwieweit die »unfassbaren Kritzeleien« in der Statistik über »rechtsextreme Straftaten« Eingang finden, bleibt hingegen abzuwarten.