10.10.2008 / Berlin: Schlag gegen die »Heimattreue Deutsche Jugend«

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Es wird enger für die »Heimattreue Deutsche Jugend« (HDJ). Mit einer Großrazzia ist die Polizei gestern, am Donnerstag den 09.10.2008, gegen die neonazistische "Heimattreue Deutsche Jugend" (HDJ) vorgegangen. Bei den bundesweit durchgeführten Maßnahmen gegen die Vereinsorganisation, sind rund 100 Wohn- und Büroobjekte von Einsatzkräften der Polizei durchsucht worden. Von den Durchsuchungen betroffen waren rund 100 Mitglieder und Aktivist_innen des Vereins.

Mit Ausnahme Bremens und des Saarlandes waren Objekte in allen Bundesländer betroffen. Niedersachsen war nach Angaben des Bundesinnenministeriums ein regionaler Schwerpunkt der Polizeiaktion. Dort waren insgesamt zehn Personen von den Hausdurchsuchungen betroffen. In den Regionen Oldenburg, Göttingen, Osnabrück und Lüneburg beschlagnahmten die Polizeibeamt_innen dabei umfangreiches Beweismaterial wie Computer, digitale Speichermedien und weitere Unterlagen.

In der kleinen Gemeinde Handorf (Landkreis Lüneburg) wurde die Einsatzkräfte der Polizei ebenfalls vorstellig. Ziel waren hier die Wohn- und Geschäftsräume von Manfred Börm, Mitglied im NPD-Bundesvorstand und Anführer der parteieigenen Schutztruppe »NPD Bundesordnerdienst«. Börm war in der Vergangenheit »Gauleiter« des »Wiking-Jugend Gau Niedersachsen/Bremen« bis das Innenministerium die neonazistische Organisation 1994 wegen ihrer »Wesensverwandtschaft mit Nationalsozialismus und Hitler-Jugend« auflöste. Zugleich verbot das Ministerium damals, für die »Wiking-Jugend« Ersatzorganisationen und Nachfolgestrukturen zu bilden. Genau dafür aber halten viele Expert_innen die HDJ seit Jahren.

Die HDJ veranstaltet, ähnlich wie die verbotene »Wiking Jugend«, regelmäßig Zeltlager für Kinder und Jugendliche. Solche vermeintlich unpolitischen Veranstaltungen dienen dazu, bereits Kinder und Jugendliche an nationalsozialistisches Gedankengut heranzuführen. Regionale Schwerpunkte der Organisation finden sich in Brandenburg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Sachsen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Bayern.

Das ehemalige WJ Führungsmitglied Manfred Börm aus Handorf war in den vergangenen Jahren bereits auf mehreren Zeltlagern der neofaschistischen HDJ dokumentiert worden. So auch im vergangenen Jahr auf dem Anwesen des NPD-Aktivisten Joachim Nahtz in Eschede (Kreis Celle), wo im Mai 2007 ein »HDJ Pfingstlager« stattfand. Mit zwei seiner Kinder reiste Börm auch zu einem HDJ Zeltlager in Preußisch-Ströhen am 21.06.2008, bei dem sich Führungspersonen des Vereins aus dem gesamten Bundesgebiet im Grenzgebiet zwischen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen versammelten.

Bei seinem Sohn Alf Börm handelt es sich um den »Einheitsführer« der »HDJ Einheit Niedersachsen«. Im August 2006 sorgte ein von Alf Börm mit organisiertes Zeltlager der HDJ im nordrhein-westfälischen Fromhausen für bundesweites Aufsehen und Negativschlagzeilen. An den Zelteingänge im Lager wurden Schilder mit Aufschriften wie „Führerbunker“ oder „Germania“ befestigt.

Die Mitglieder der »HDJ Einheit Hermannsland« Christian Fischer sowie Christian von Velsen, welche ebenfalls in Fromhausen zugegen waren, hatten einen Monat zuvor, im Juli 2006, ein paramilitärisches Zeltlager nahe der Gemeinde Wilsum (Grafschaft Bentheim) organisiert. Bei dem »Sommercamp« wurden gleichsam die Zelteingänge mit Hinweisschilder ausgestattet. Lediglich die Bezeichnungen änderten sich. Anstatt »Führerbunker« wurden Bezeichnungen wie „Hitlerjugend“ und „Leibstandarte“ verwendet.

Im Verlauf dieses Zeltlagers unterrichteten die Mitglieder der HDJ jugendliche Neonazis im Umgang mit Schusswaffen sowie dem Anlegen militärischer Verschanzungen. Im Verlauf der Veranstaltung kam es zu Scheinhinrichtungen. Nach Bekanntwerden der Vorgänge durchsuchten Ermittler_innen der Polizei die Räumlichkeiten von Teilnehmer_innen des »Sommerlagers«. Dabei stellten die Beamt_innen ein umfangreiches Waffenarsenal und Anleitungen zum Bau von Rohrbomben sicher.

Wenige Wochen nach den Vorgängen nahe der Gemeinde Wilsum sollen die gleichen HDJ-Mitglieder, die zuvor als »Ausbilder« während des sogenannten »Sommerlagers« tätig waren, dann eine sogenannte „Rasseschulung“ in Georgsmarienhütte (Osnabrück) organisiert haben. Den, zum Teil minderjährigen, Teilnehmer_innen der »Rasseschulung« wurden antisemitische Propagandafilme vorgeführt. Als Referent der Veranstaltung im sogenannten »NPD-Heim« in Georgsmarienhütte (Osnabrück) trat der Biologiestudent Ragnar Dam aus Mecklenburg-Vorpommern in Erscheinung.

Bei Ragnar Dam handelt es sich um den Anführer der „HDJ-Leitstelle Nord“, einem Dachverband der norddeutschen HDJ Einheiten aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Dam ist als „Einheitsführer“ ebenfalls für die „HDJ-Einheit Mecklenburg und Pommern« zuständig. Nachdem es bereits am 20.05.2008 im Zusammenhang mit „HDJ-Schulungsveranstaltungen“ zu Hausdurchsuchungen in Vechta und Greifswald gekommen war, nahmen Ermittler_innen der Polizei nun abermals die Räumlichkeiten von Ragnar Dam in Augenschein.

Neben Wohnräumen von Ragnar Dam in Greifswald und Berlin sollen in Mecklenburg-Vorpommern auch die Räumlichkeiten von David Petereit durchsucht worden sein. Petereit ist dabei nicht nur in den Zusammenhängen der HDJ aktiv. Der stellvertretende Landesvorsitzende der NPD in Mecklenburg-Vorpommern bekleidet derzeitig eine Anstellung als Wahlkreismitarbeiter von Birger Lüssow, seines Zeichens NPD Fraktionsmitglied im Schweriner Landtag.

Insgesamt wurden in Mecklenburg-Vorpommern 14 Objekt durchsucht, die 13 Personen aus dem Umfeld der »Heimattreuen Deutschen Jugend« zugerechnet werden. In der Region Greifswald, einem regionalen Schwerpunkt der HDJ, wurden neben den Räumlichkeiten von Ragnar Dam noch drei weitere Wohnungen von der Polizei aufgesucht. Darunter befanden sich auch die Wohnobjekte der Neonaziaktivisten Frank Klawitter und Lutz Giesen.

In Berlin wurden die Räumlichkeiten des dortigen NPD Landesvorsitzenden Jörg Hähnel sowie seiner Ehefrau Stella Hähnel, Pressesprecherin des »Ring Nationaler Frauen«, das Ziel polizeilicher Maßnahmen. Als ehemaliger »Einheitsführer« der »HDJ-Einheit Preußen« gilt Hähnel als wichtige Führungsperson innerhalb der »Heimattreuen Deutschen Jugend«. Das Ehepaar Hähnel soll inzwischen im Bundesvorstand der HDJ tätig sein. Mit 14 durchsuchten Objekten in Brandenburg unter anderem bei Dennis Schauer, dem derzeitigen »Führer« der »HDJ Einheit Preußen«, sowie weiteren 15 in Berlin, befinden sich in den beiden Bundesländern weitere Schwerpunkte der bundesweiten Großrazzia.

Neben dem Bundesvorstand der HDJ um Sebastian Räbiger aus Reichenwalde in Brandenburg trafen die Hausdurchsuchungen vor allem die Führungspersonen der einzelnen HDJ-Einheiten im gesamten Bundesgebiet. Zu diesen zählt auch Steffen Hennrich aus dem thüringischen Arnstadt. Der langjährige Neonazi ist verantwortlich für das Postfach der HDJ in Arnstadt und wird von der HDJ Bundesspitze als »Verantwortlicher der HDJ in Thüringen« bezeichnet. Hennrich sitzt ebenfalls im Vorstand der »Deutsch Russischen Friedensgesellschaft Europäischen Geistes e.V.« (DRFEG.e.V.), einer im Jahr 2007 gegründeten Tarnorganisation des »Heimattreuen Deutschen Jugend e.V.«.

Bei der Gründung der »Friedensgesellschaft« am 31.03.2007 im thüringischen Pfersdorf (Hildburghausen) war auch Martin Götze zugegen. Der 24jährige Götze studiert derzeitig im baden-württembergischen Rottenburg. Nach Angaben des Landeskriminalamtes in Stuttgart wurden in Baden-Württemberg nun im Zusammenhang mit der bundesweiten Razzia insgesamt 7 Objekte in zwei Landkreisen des Bundeslandes durchsucht. Betroffen sollen 5 Aktivist_innen der Organisation sein. Martin Götze gehörte auch zu den Führungspersonen eines HDJ Zeltlagers, nahe der Gemeinde Hohen Sprenz (Landkreis Güstrow). Als Einsatzkräfte das Zeltlager am 08.08.2008 auflösten, stellten sie mit Hakenkreuzen versehene Utensilien sicher.

Mit Gerd Ulrich, dessen Räumlichkeiten im nordrhein-westfälischen Detmold-Berlebeck nun auch Zielobjekt polizeilicher Untersuchungen wurde, traf es ein weiteres ehemaliges Mitglied der verbotenen »Wiking Jugend«. Als früherer »Gauführer« des »WJ-Gau Rhein-Westfalen« ist Ulrich mit völkisch-neonazistischer Jugendarbeit vertraut. Derzeit gehört Ulrich zu den Führungsaktivist_innen der »HDJ Einheit Hermannsland«. In Detmold-Berlebeck befindet sich auch der Sitz der sogenannten »HDJ-Leitstelle West«.

Auch bei Mitgliedern der »HDJ-Einheit Franken« soll es Hausdurchsuchungen gegeben haben. Der dortige »Einheitsleiter« Michael Gellenthin verfügt ähnlich wie weitere HDJ Aktivist_innen über beste Kontakten zur NPD. In Schleswig-Holstein, wo die neonazistische Organisation beim Amtsgericht Plön als gemeinnütziger Verein eingetragen ist, wurden nach Angaben des dortigen Landeskriminalamts Wohnungen von Mitgliedern und Aktivist_innen der HDJ in Pinneberg, Kiel, Kreis Bredstedt sowie im Kreis Plön durchsucht.

Der Rundumschlag der Behörden traf auch HDJ Aktivist_innen in Sachsen. Mit dem langjährigen Neonazi Eric Kaden wurden auch hier die Räumlichkeiten eines Fraktionsmitarbeiters der NPD im Schweriner Landtag (Mecklenburg Vorpommern) durchsucht. In Sachsen fanden zuletzt ein Osterlager der HDJ in einem Schullandheim nahe der Gemeinde Limbach sowie das diesjährige »HDJ-Pfingstlager«, in einem Tal bei Hausdorf (Grimma) statt. Bei beiden Veranstaltungen traten Mitglieder der Vereinsorganisation, trotz Verbot durch das Bundesministerium des Innern, uniformiert in Erscheinung.

Die nun erfolgten Maßnahmen, seien laut Angaben des Bundesministerium, Teil eines »vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens« gegen den »Heimattreue Deutsche Jugend e.V.«. Demnach prüften die Behörden , ob sich die HDJ in aggressiv – kämpferischer Weise gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet“. Die Behörden führten weiter aus, das die Durchsuchungen dazu dienen würden »den Erkenntnisstand im Hinblick auf ein mögliches Verbotsverfahren zu erweitern«.

Die Aussagen des Bundesministerium des Inneren, hinsichtlich eines möglichen Verbotes der neonazistischen Organisation lassen hingegen noch aus anderen Gründen tief blicken. In einer Pressemitteilung bezüglich der nun erfolgten Razzia rechtfertigt sich das Ministerium für das bisherige Vorgehen. Der Eindruck entsteht das die nun durchgeführten Schritte einem zunehmenden öffentlichen Druck geschuldet sind. Behauptungen, die HDJ stehe »seit geraumer Zeit im Focus der Sicherheitsbehörden von Bund und Länder« [Fehler im Original]werfen die Frage nach der Glaubwürdigkeit der dort aufgeführten Aussagen auf.

Journalist_innen, welche die Aktivitäten der »Heimattreuen Deutschen Jugend« seit längeren beobachten, stellten, bis auf wenige Ausnahmen, eher Gegenteiliges fest. So mussten Polizeibeamte während eines Osterlagers der HDJ am 25.03.2008 im sächsischen Limbach von Journalist_innen über ein im November 2007 bestätigtes Uniformierungsverbot der HDJ aufgeklärt werden. Trotz der offensichtlichen Uniformierung von HDJ Mitglieder in Limbach schritten die Beamten nicht ein. In einer anschließenden Sitzung des Innenausschusses des sächsischen Landtages erklärte der sächsische Innenminister Buttolo sogar die Mitglieder der HDJ hätten nachweislich keine Uniformierung getragen. Fotografien, die HDJ Mitglieder gemeinsam mit Polizeibeamten zeigen, beweisen allerdings das Gegenteil. Inzwischen sind die Ermittlungen wegen Verstoßes gegen das Uniformierungsverbot trotz der erheblichen Beweislage eingestellt worden. »Kein Kommentar« lautet das diesbezügliche Statement der sächsischen Behörden.

Ähnliches spielte sich wenige Wochen später während eines »HDJ Pfingstlagers« nahe der sächsischen Kleinstadt Hausdorf ab. Auch hier mussten Polizeibeamte über ein bestehendes Uniformierungsverbot aufgeklärt werden. Anders als im Limbach scheiterten die Einsatzkräfte hier allerdings bereits an der Lagergrenze. Nachdem ein minderjähriges Mitglied der Vereinsorganisation während eines Geländesmarsches dehydrierte und zusammenbrach verweigerten die eingesetzten Wachposten der HDJ den Polizeibeamten den Zutritt zum Zeltlager. Die Beamten gehorchten und zogen sich zurück. Auch hier waren die Mitglieder der »Heimattreuen Deutschen Jugend« uniformiert. Ermittlungen wegen des Verstoßes gegen das Uniformierungsverbot setzten erst ein, nachdem Fotografien des Zeltlagers von Journalist_innen veröffentlicht wurden.

Die Frage, ob es sich bei der HDJ um eine Nachfolge- oder Ersatzorganisation der verbotenen »Wiking-Jugend« handeln würde, wird durch das Bundesministerium des Inneren in der nun veröffentlichten Presseauskunft verneint. Als Begründung für diese Sichtweise führt die Behörde an, dass die HDJ bereits vier Jahre vor dem Verbot der »Wiking Jugend« gegründet wurde. Inzwischen liegen allerdings umfangreiche Anhaltspunkte vor, welche trotz gegenteiliger Auskünfte des Bundesministeriums die These der »Ersatzorganisation« stützen. Neben einer nahezu identischen Ausrichtung bzw. »Wesensverwandschaft« der beiden Organisationen sowie der Mitgliedschaft etlicher ehemaliger Mitglieder der »Wiking Jugend« wird auch die Odalrune, das Symbol der »Wiking Jugend« im Zusammenhang mit der HDJ verwendet.

Da sich die HDJ, nach Angaben der Behörde »seit geraumer Zeit« im Fokus der Beobachtung befinden soll, stellt sich die Frage warum die neonazistische Organisation im einmal jährlich erscheinenden Verfassungsschutzbericht des Bundesamtes in den Jahren 2005 und 2006 nicht einmal als Randnotiz Erwähnung findet. Die nun erfolgten Maßnahmen des Innenministeriums mögen auf den ersten Blick als wohl überlegter Schritt erscheinen, im Hinblick auf die nun veröffentlichten Aussagen des Innenministeriums sind Zweifel allerdings angebracht. Man darf gespannt sein, was das Innenministerium im Bezug auf die Frage nach möglichen Neben- oder Ersatzorganisationen der »Heimattreuen Deutschen Jugend« bislang ermittelt hat. Böse Zungen behaupten diese würden bereits bestehen und seien demnach schon vor einem möglichen Verbot der HDJ gegründet worden.