21.11.2008/ Nordhorn: Razzia gegen neonazistische Strukturen in Nordhorn

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Am vergangenen Freitag durchsuchten in der Region Nordhorn und Bad Bentheim Einsatzkräfte der Polizei 6 Wohnobjekte von Mitglieder der neonazistischen Szene. Anlass hierfür waren »viele kleine Hinweise« über die politischen Aktivitäten der regionalen Neonaziszene, so zumindest die Auskunft der Polizeipressestelle. Überraschend kommt die Polizeirazzia indes nicht.

In den letzten Monaten häuften sich Berichte über neofaschistisch motivierte Gewalttaten und Sachbeschädigungen. Auch Propagandadelikte wie Sprühereien mit einschlägigem Inhalt sowie das großflächige Verkleben von Propagandamaterialien. Diese gehäuften Ereignisse, zuletzt ein gewalttätiger Übergriff von mehreren Neonazis auf einen alternativen Jugendlichen auf der Nordhorner Jahrmarkt, führten schlussendlich zu der polizeilichen Razzia, welche nach Polizeiangaben das Ziel hatte, »die Strukturen offenzulegen und damit zu beenden«.

Bereits Anfang Oktober 2008 sei zu diesem Zwecke eine interne Ermittlungsgruppe der Polizei gegründet worden, welche mit den Hausdurchsuchungen erste konkrete Schritte gegen die zuletzt äußerst aktive Szene durchführte. Laut Angaben der Polizei könnten nun erste »Zwischenergebnisse« präsentiert werden. »Mit der Ermittlungsgruppe wollten wir feststellen, ob wir im Bereich rechts ein strukturelles Problem in Nordhorn haben, welches uns Sorgen machen müsste«, erklärte dazu Karlheinz Brüggemann, Leiter der Polizeiinspektion Emsland / Grafschaft Bentheim. Außerdem seien bei allen polizeilich bekannten Mitgliedern der Nordhorner Neonaziszene sogenannte „Gefährdetenansprachen“ durchgeführt worden. Ziel sei es nach Polizeiangaben gewesen, die Neonazis aus der Anonymität zu holen. Der Leiter des örtlichen Fachkommissariats für den polizeilichen Staatsschutz, Georg Alferink, machte deutlich, dass Straftaten der örtlichen Szene »mit Nachdruck« verfolgt werden würden.

Bei den nun durchgeführten Hausdurchsuchungen beschlagnahmte die Poliztei neben einer Gaspistole, Computerfestplatten sowie Laptops auch Digitalkameras und umfangreiches Propagandamaterial. Dazu gehörten auch Hemden mit verfassungsfeindlichen Emblemen und Aufdrucken. Inwieweit eine ideologische Verankerung der neonazistischen Szene in der Region bereits voran geschritten ist, zeigt auch die Sicherstellung einer Fahne mit der Aufschrift »Waffen SS« im Zuge der polizeilichen Maßnahmen.

Die aufgefundene Gaspistole soll Polizeiangaben zufolge bereits bei einem vorangegangenem Überfall mit Körperverletzung verwendet worden sein. Aufgrund der Ergebnisse der Razzia wurden zehn Anklageschriften wegen Volksverhetzung, dem Verwenden verfassungsfeindlicher Symbole, Verstoß gegen das Waffengesetz sowie Körperverletzung gefertigt. Insgesamt wurden 25 Ermittlungsverfahren gegen 25 Neonazis im Alter zwischen 17 und 33 Jahren eingeleitet, darunter vier Frauen. Der überwiegende Teil der Personen bewege sich dabei im Altersrahmen von 18 bis 25 Jahren.

Ein 24-jähriges Mitglied der neonazistischen Szene, welches von den Hausdurchsuchungen betroffen war, wurde darüber hinaus wegen Verstoßes gegen bestehende Bewährungsauflagen festgenommen. Der Neonazi wurde zuvor vom Amtsgericht Nordhorn zu einer neunmonatigen Haftstrafe aufgrund begangener Körperverletzung verurteilt. Im Dezember 2007 griff der 24jährige eine Gruppe Jugendlicher am Zentralen Omnibus-Bahnhof (ZOB) an. Unterstützt wurde der 24jährige dabei von einem weiteren Neonazi aus der benachbarten Ortschaft Ohne (Kreis Grafschaft Bentheim). Die vier Opfer wurden mit Flaschen beworfen, Schläge und Tritte gingen auf die Jugendlichen nieder. Während des Übergriffes riefen die Angreifer immer wieder volksverhetzende Parolen und erhoben den Arm zum »Hitlergruß«.


Keine Gruppenstruktur erkennbar?


Im Zusammenhang mit den jüngst zusammengetragenen Ermittlungsergebnissen sei laut Polizeiangaben nicht von Gruppen- oder Kameradschaftsstrukturen in der Region Grafschaft Bentheim auszugehen. Dies würde im Gegensatz zum August des Jahres 2006 stehen, wo nach Polizeiangaben noch eine »lockere Kameradschaft« existiert hätte. Diese sei den Polizeiangaben folgend nicht mehr existent. Szenebeobachter_innen kritisieren seit längerem Verlautbarungen der regionalen Polizeiinspektion. Bei Betrachtung der Aktivitäten von Neonazis in der Region sei es »mehr als offensichtlich« dass bestehende Kameradschaftsstrukturen keineswegs von besagten »Auflösungserscheinungen betroffen seinen«. Dass es feste neonazistische Strukturen in der Grafschaft Bentheim gibt, belegen demnach nicht nur Internetauftritte von regionalen Kameradschaftsgruppen aus der Region.

Bereits seit längerem tauchen neonazistische Flugblätter in der Region auf, welche mit diversen regionalen Gruppennamen unterzeichnet wurden. Insbesondere traten in diesem Zusammenhang regelmäßig die beiden Gruppierungen »Nationales Bündnis Grafschaft Bentheim« sowie die »Initiative Ge-Link-T« in Erscheinung. Die Bezeichnung »Ge-Link-T« führt sich dabei nach Eigenangaben auf die Parole »Gegen linken Terror« zurück.

Bei einem der Hauptinitiatoren dieser lokalen Zusammenschlüsse handelt es sich um den Vorsitzenden des NPD-Unterbezirks Emsland/Grafschaft Bentheim, Reiner Alfons Heinen aus Nordhorn. Der 55-jährige agitiert seit Jahren regelmäßig gegen ihm unliebsame Initiativen. Mehrfach versuchte Heinen in den vergangenen Jahren auf Veranstaltungen von antirassistischen Initiativen zu gelangen und mit der von Neonazis ausgegebenen und praktizierten »Wort-Ergreifungsstrategie« Diskussionsrunden zu unterwandern, um diese schlussendlich gegen die Initiatoren selbst einzusetzen.

In den letzten Monaten betrat dann eine weitere Gruppierung die regionale Bühne. Diese agierte unter dem Label »Autonome Nationalisten Nordhorn« (ANNH). Nach internen Beratschlagungen wurde die neonazistische Gruppierung, welche sich an den Strukturen der sogenannten »Autonomen Nationalisten« orientierte, wenig später in »Autonome Nationalisten Grafschaft Bentheim« (ANGB) umbenannt. Die »Autonomen Nationalisten Grafschaft Bentheim« führten neben regelmäßig illegalen Propagandaaktivitäten vor allem gewalttätige Übergriffe gegen politische Feindbilder sowie Andersdenkende durch.

The Show must Go on?


Der regionale NPD-Unterbezirk Emsland / Grafschaft Bentheim distanzierte sich eiligst von den bekannt gewordenen Propagandaaktivitäten: »Zwar begrüßen wir den Inhalt der Plakate aber mißwilligen das Wilde Plakatieren an Schulen ,Geschäften und derartiges. Die NPD hofft, dass der oder die Täter schnell gefasst und entsprechend hart verurteilt werden.« [Fehler im Original]. Nach Veröffentlichung der NPD-Pressemitteilung kam es auf dem neonazistischen Internetportal »Altermedia« zu massiven Anfeindungen gegen den NPD-Verband.

Das Gesetzestreue, mitunter bieder anmutende Bild konnte die Führung der NPD Emsland / Grafschaft Bentheim zumindest in der Öffentlichkeit nicht halten. Nachdem bekannt wurde, dass der damalige Vorsitzende des NPD-Unterbezirks, der 25jährige Stephan Riesel, in ein paramilitärisches Sommerlager in Wilsum (Grafschaft Bentheim) involviert war, brach das ohnehin brüchige Erscheinungsbild vollends zusammen. Auf dem von Aktivisten der »Heimattreuen Deutschen Jugend« (HDJ) paramilitärisch geführtem »Sommerlager« wurden Wehrsportübungen sowie Scheinhinrichtungen durchgeführt. Während einer, in der Folgezeit durchgeführten Hausdurchsuchungen bei den Teilnehmer_innen beschlagnahmte die Polizei ein umfangreiches Waffenarsenal sowie verbotene Propagandamaterialien.

In Nordhorn selbst, fiel zuletzt eine zehnköpfige Gruppe Neonazis auf, welche sich am Rande einer antifaschistischen Kundgebung zu Störungsversuchen postierte. Ein Nordhorner Neonazi trug dabei ein T-Shirt auf der die Aufschrift »Arische Bruderschaft« inklusive zwei gekreuzter Handgrananten abgebildet war. Eben dieses T-Shirt gehört nun auch zu den beschlagnahmten Gegenständen, die auf der Pressekonferenz der Polizei präsentiert wurden.

Das Symbol der »Arischen Bruderschaft« führte im September 2008 zu Hausdurchsuchungen beim langjährigen Neonaziaktivisten Thorsten Heise. Die Fahnder suchten entsprechende Musikproduktionen welche mit dem Cover der Gruppierung versehen waren. Die Bezeichnung »Arische Bruderschaft« erfreut sich in der Bundesrepublik innerhalb der organisierten Rechtsrockszene einer wachsenden Beliebtheit. Dahinter verbergen sich aktive Organisations- und Musikstrukturen der Neonaziszene.

Die Verbindungen der nun von den Hausdurchsuchungen betroffenen Neonaziszene aus der Region Nordhorn zum Bereich Rechtsrock sind bereits seit längerem bekannt. Neonazis aus der Region beteiligten sich in der Vergangenheit dabei nicht nur an entsprechenden Veranstaltungen in Deutschland. Zuletzt wurden Aktivist_innen der regionalen Szene auf Konzerten im europäischen Umland gesichtet. Ob die Region, wie der Leiter der Polizeiinspektion Nordhorn Karlheinz Brüggemann nun »ein strukturelles Problem« von Neonazis hat, darüber schwieg sich die Polizei während der Pressekonferenz im Zusammenhang mit den jüngsten Hausdurchsuchungen aus.