03.02.2009 / Nordhorn: »Nächste Woche kann ich nicht, da bin Ich in Haft«

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In den letzten Wochen sind mehrere Gerichtsprozesse gegen Angehörige der Neonaziszene aus dem niedersächsischen Nordhorn zu Ende gegangen. In den Verfahren wurden mehrere Bewährungsstrafen verhängt. Darüber hinaus müssen nun drei der verurteilten Neofaschisten den Gang ins Gefängnis antreten.

Die nun gegen die Mitglieder der Nordhorner Neonaziszene verhängten Strafen, resultieren vor allen aus der hohen Gewaltbereitschaft welche die Neonazis bei der Durchführung ihrer Taten anwendeten. Eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten muss beispielsweise der 24jährige Arne de Witte aus Nordhorn verbüßen. Witte, der als Aktivist eines parteiunabhängigen Nordhorner Neonazizusammenschlusses gilt, hatte während einer Liveübertragung der Fußball-Europameisterschaft im Juni 2008 eine Gruppe Jugendlicher attackiert. Der Attacke war ein heftiges Wortgefecht vorangegangen. Kurz nach Beendigung der tumultartigen Szenerie griff der langjährige Neonaziaktivist dann ein Mitglied der Partei »Bündnis 90 – die Grünen« tätlich an und verletzte dieses schwer. Den Kopf seines Opfers schlug Witte dabei mehrfach gegen einen Holzpfahl sowie ein Verkehrsschild. Das Opfer verlor dabei das Bewusstsein und musste später im Krankenhaus behandelt werden.

Dem 24jährigen Neonazi wurde darüber hinaus während des Prozesses im Dezember 2008 vor dem Amtsgericht Nordhorn eine körperliche Auseinandersetzung mit Polizeikräften in der Kreisstadt zur Last gelegt. De Witte hatte nach einer Schlägerei zum Tatort eilende Einsatzkräfte der Polizei mit einer Flasche beworfen. Die anschließende Personalienbefragung durch die Beamten, beantworte der Neonazi dann szenegemäß mit einem Hitlergruß. In das nun gegen den Neonazi verhängte Strafmaß floss ebenfalls die Beteiligung an einem weiteren Körperverletzungsdelikt ein. Arne de Witte war laut Ausführungen des Gericht dabei maßgeblich in einen Vorfall involviert, der sich im September 2007 in der Gaststätte »zum Turm« in Nordhorn-Blanke zutrug.

Die Gastwirtschaft gilt Szenebeobachter_innen zufolge bereits seit längerem als Treffpunkt der regional agierenden Neonaziszene. Bei dem Vorfall wurde ein Besucher der Kneipe mit den Worten »Neger sind hier nicht erlaubt« aus den Räumlichkeiten gedrängt. Vor dem Gebäude wurde das Opfer weiter verfolgt und anschließend zu Boden geschlagen. Arne de Witte versetzte dem am Boden liegenden Mann daraufhin mehrere Tritte und Faustschläge. Der Angegriffene, der seinen Wohnsitz zuvor von Großbritannien nach Deutschland verlegte, erlitt neben körperlichen Verletzungen auch eine schwere Traumatisierung. Aus Angst vor weiteren Übergriffen verließ das Opfer inzwischen das Land und zog zurück nach Großbritannien. Der Diebstahl eines sogenannten Rollators in einem Nordhorner Kaufhaus, welcher dem 24jährigen ebenfalls zur Last gelegt wurde, fiel angesichts der begangenen Körperverletzungsdelikte bei der Strafbemessung des Amtsgerichtes nicht erheblich ins Gewicht.

Wegen des gewaltsamen Übergriffs im September 2007, sowie ebenfalls aufgrund des Diebstahls eines Rollators in einem Kaufhaus musste sich auch der 22jährige Neonaziaktivist Jonas Münstermann aus Nordhorn vor Gericht verantworten. Doch auch der 22jährige musste sich wegen weiterer Straftaten verantworten. Münstermann hatte den neuen Freund einer ehemaligen Freundin am Telefon mit den Worten »Scheiß Polacke« beleidigt. Der Nordhorner, der bereits eine Jugendstrafe in der Justizvollzugsanstalt Hameln sowie eine Alkoholtherapie antreten musste, erhielt vor dem Amtsgericht Nordhorn zunächst eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten. Im Gegensatz zu Arne de Witte ging der 22jährige Münstermann jedoch in Berufung.

Während des darauf folgenden Prozesses, der im Landgericht Osnabrück weitergeführt wurde, gab er den Diebstahl und die Beleidigung zu, reduzierte seine Rolle während des Übergriffs im September 2007 jedoch darauf, lediglich zu Hilfe eilende Passanten von dem Übergriff ferngehalten zu haben. Letztendlich erreichte Münstermann durch seine Einlassungen vor dem Landgericht eine Aussetzung des Verfahrens. Das Gericht begründete diese Entscheidung mit den derzeitigen Lebensumständen des Angeklagten. So übe seine derzeitige Lebensgefährtin, welche laut Gericht »nicht-deutsche Wurzeln« habe, einen durchaus positiven Einfluss auf den 22jährigen aus. Der Angeklagte hatte im Verlauf des Verfahrens vor dem Landgericht, seinen politischen Ausstieg aus der neonazistischen Szene verkündet und dies auf seine derzeitige Beziehung zurückgeführt. Auch die Wohngemeinschaft mit Arne de Witte habe er laut eigenen Angaben inzwischen gelöst. In einer abschließenden Erklärung, welche von seinem Verteidiger verlesen wurde, bereute der 22jährige seine Tatbeteiligungen. Er habe sich über die »Behandlung von Mitmenschen keine vernünftigen Gedanken gemacht« sowie das Gefühl genossen, sich »in der Gruppe stark zu fühlen«. Sofern dies möglich sei, würde er sich bei dem Opfer entschuldigen wollen gab der Angeklagte dem Gericht zu verstehen. Außerdem entschuldigte sich der Angeklagte bei denjenigen, die während des Übergriffs im September 2007 helfend einschreiten wollten. Sie hätten, seinen Worten folgend »Zivilcourage bewiesen«.

Der Angeklagte habe nach Beurteilung des Gerichtes damit glaubwürdig vermittelt »sein altes Leben hinter sich gelassen« und demnach seine »Ansichten geändert« zu haben. Er selbst unterstrich seine späte Einsicht mit dem Worten »Erst durch meine Freundin habe ich gemerkt, mit was für Leuten ich zu tun hatte«. Neben üblichen Auflagen wie der Zahlung eines Schmerzensgeldes, dem Kontakt zur Bewährungshilfe sowie Arbeitsstunden, muss der 22jährige nun auch völlige Drogenfreiheit nachweisen. Trotz skeptischer Prognose eines anwesenden Psychologen, der vor allem in den Fragen der Alkoholsucht des Angeklagten Bedenken äußerte, wurde schlussendlich die Aussetzung des Verfahrens beschlossen. Auch der Anwalt des Opfers, der als Nebenkläger auftrat, äußerte zunächst Bedenken, da durch dieses Urteil der Eindruck entstehen könne, bei den zu verhandelnden Taten handele es um »Kavaliersdelikte«.

Die nun erfolgte Aussetzung des Verfahrens ist an Auflagen gekoppelt welche der Angeklagte selbst in das Verfahren einbrachte. Die selbst auferlegte Verpflichtungserklärung beinhaltet den Abbruch jeglicher »aktiven Kontaktaufnahme« in das ehemalige neonazistische Umfeld. Insbesondere sei laut Ausführungen des Landgerichtes Osnabrück eine Kontaktaufnahme zu den beiden Nordhorner Neonaziaktivisten Arne de Witte sowie dem 21jährige Marc Dura durch den Angeklagten zu unterlassen. Der 22jährige Angeklagte verpflichte sich in seiner Erklärung ebenfalls die Nordhorner Gaststätten »zum Turm« sowie »Old Shatterhand« zu meiden. Beide gelten auch nach Auffassung des Landgerichtes als neonazistische Szenekneipen.

Eine Chance auf »Aussetzung des Verfahrens« besitzt der 21jährige Neonazi Marc Dura aus Nordhorn hingegen nicht mehr. Er war, wie auch der wegen Körperverletzung verurteilte Arne de Witte an dem gewalttätigen Übergriff auf eine Gruppe Jugendlicher während der öffentlichen Übertragung des Europameisterschaftspiels im Juni 2008 in der Nordhorner Innenstadt beteiligt. Dura verfolgte einen der flüchtenden Jugendlichen und brachte ihn gewaltsam zu Boden. Auch hier wurde noch mehrfach auf das Opfer eingetreten, als dieses bereits am Boden lag. Dies brachte ihm vor dem Amtsgericht Nordhorn nun eine Haftstrafe von vier Monaten ein, die aufgrund des umfangreichen Vorstrafenregisters und der schlechten Sozialprognose des anwesenden Bewährungshelfers nicht zur Bewährung ausgesetzt werden konnte. Weiterhin verurteilte ihn das Amtsgericht Nordhorn in einem vorherigen Verfahren zu einer zusätzlichen Freiheitsstrafe von insgesamt sechs Monaten. Der 21Jährige hatte seine ehemalige Freundin mit einer Waffe bedroht.

Auch der ehemaligen Vorsitzende des NPD-Unterbezirks Emsland-Grafschaft Bentheim, Stephan Riesel muß sich in absehbarer Zeit vor Gericht verantworten. Gegen den 25jährigen läuft ein Ermittlungsverfahren wegen »Bildung einer bewaffneten Gruppe« sowie dem »Verstoß gegen das Waffengesetz«. Der ehemalige NPD-Direktkandidat zur niedersächsischen Landtagswahl 2008 hatte im Juli 2006 an einem paramilitärischen Zeltlager in Wilsum (Grafschaft Bentheim) teilgenommen. Bei dem Zeltlager wurde unter Anleitung von Aktivisten der »Heimattreuen Deutschen Jugend« (HDJ) Wehrsportmanöver, der Umgang mit Schusswaffen sowie Hinrichtungen trainiert. Des weiteren muss sich der langjährige Neonaziaktivist wegen schwerer Körperverletzung verantworten. Im März 2008 beteiligte sich der mittlerweile nach Bad Bentheim verzogene Riesel, gemeinsam mit weiteren Neonazis an einem körperlichen Übergriff auf ein alternativ aussehendes Pärchen im Nordhorner Stadtteil »Blanke«. Die Angreifer traten und schlugen auch dann noch auf ihr Opfer ein, als es bereits am Boden lag. Auch das Verkleben von einschlägigem Propagandamaterial im Verlauf des Abends wird der Gruppe zur Last gelegt. Der Vorfall fand auch überregional mediale Beachtung. Schon vor Beginn der nun anstehenden Verhandlungen hat Stephan Riesel verlauten lassen, aus der NPD ausgetreten zu sein. Inwieweit er sich aber von der neofaschistischen Szene sowie ihrer Ideologie distanziert, bleibt offen.

Vor dem Amtsgericht Lingen (Emsland) ging am 6. Januar 2009 nun ein weiterer Prozess gegen zwei Mitglieder der Nordhorner Neonaziszene zu Ende. Der Angeklagte Neonaziaktivist André Lüken aus Nordhorn wurde dabei zu zwei Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt. In der Lingener Innenstadt hatte er im Juni 2008 auf zwei Menschen eingeprügelt. Seine Freundin Cindy Heiduczek, welche sich aktiv an der Tat beteiligte, erhielt eine Bewährungsstrafe von sechs Monaten sowie eine, nach Angaben des Amtsgerichts »symbolische Geldstrafe« von 300 Euro. Einen symbolischen Beistand erhielten die beiden Angeklagten von mehreren Nordhorner und Emsländer Neonazis welche dem Prozess vor dem Amtsgericht Lingen beiwohnten. Der nun verurteilte Andre Lüken ist in der Vergangenheit mehrfach durch aggressives Verhaltensmuster aufgefallen. Zuletzt gehörte Lüken zu einer Gruppe Neonazis die Teilnehmer_innen einer antifaschistischen Kundgebung in Nordhorn provozierten.

Nachdem bereits Anfang 2008 ein Führungskader der neofaschistischen Szene Nordhorns nach Oberbayern verzogen ist, erscheint die regionale Neonaziszene durch diese Verurteilungen und Haftstrafen weiter geschwächt. Auch der angekündigte politische Rückzug einzelner Aktivisten trägt zu einer Destabilisierung der Szene bei. Inwieweit die vor Gericht getätigten Distanzierungen von der Neonaziszene von Ernsthaftigkeit geprägt sind bleibt allerdings abzuwarten.