08.02.2009 / Augustdorf: Nazirockkonzert in Augustdorf

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Am vergangenen Samstag, dem 07.02.2009 fand im nordrhein-westfälischem Augustdorf ein neonazistisches Rockkonzert mit rund 120 Anhänger_innen der rechtsradikalen Szene statt. Zu der einschlägigen Veranstaltung in einem leer stehenden Industriekomplex der kleinen Gemeinde, konnten anreisende Teilnehmer_innen aus der gesamten Bundesrepublik beobachtet werden.

Gegen 22:00 Uhr erreichte der rote Kleinwagen den abgeschiedenen Autobahnrastplatz Hövelriege an der A33. Nachdem das Auto zum Stehen gekommen war, trat ein junger Mann aus dem Dunkel an die Beifahrertür heran, überreicht den wartenden Fahrzeuginsassen nach einem kurzem Wortwechsel ein Stück Papier. Das nächtliche Treffen dauerte nur wenige Augenblicke, bevor der voll besetzte PKW sich wieder in Bewegung setzte. Um eine rein zufälige Zusammenkunft auf dem verregneten Parkplatz am vergangenen Samstag handelte es sich hingegen nicht. Zuvor waren bereits dutzende Fahrzeuge in das Schauspiel in Hövelriege verwickelt. Ein kurzer Stopp, ein Gespräch und wenige Augenblick später waren die Fahrzeuge mit ihren zumeist kahlgeschorenen Insassen wieder verschwunden. Das Vorgehen gehört zum Geschäft. Der Rastplatz, zwischen Bielefeld und Paderborn gelegen, fungierte an diesem Abend als geheimer Schleusungspunkt, eine Orientierungsmarke für ein ideologisch eingefärbtes Nazirockkonzert.

Im Zusammenhang mit Konzertveranstaltungen von Neonazis sind solche Verfahrensweisen ein standardisiertes Vorgehen. Es dient dem Schutz der geheimen Treffen und soll unliebsame Beobachter_innen von den Konzerten fernhalten. Mit Kontakttelefonnummern welche über interne SMS- oder Mailverteiler im Vorfeld verbreitet werden, erfahren die anreisenden Neonazis die Orte der Schleusungspunkte, zumeist Rastplätze oder Tankstellen an Autobahnen und werden von dort zu den späteren Veranstaltungsorten geleitet. So auch der rote Kleinwagen aus dem Landkreis Höxter der am vergangenen Wochenende über den Schleusungspunkt in Hövelriege zum Konzertort geleitet wurde. Über kleine Ortschaften und verschlungene Bundesstraßen bewegte sich das Fahrzeug zu seinem Zielort und kam schlussendlich in einem Industriegebiet der Gemeinde Augustdorf zum Stillstand.

Dort, auf einem unbeleuchteten Parkplatz in unmittelbarer Nähe eines zurückliegenden Gebäudekomplexes standen zu diesem Zeitpunkt bereits weitere 40 Fahrzeuge. Kennzeichen aus Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg befanden sich darunter. Wie auch der Parkplatz so erschien auch das Gebäude unbeleuchtet. Doch der Eindruck täuschte, der gläserne Eingangsbereich der ehemaligen »Spedition Textrans« wurde an diesem Abend lediglich mit großen dunklen Tüchern abgehängt. Aber auch ohne Licht wurde ersichtlich was innerhalb des Gebäudes vor sich ging. Die aggressive Rockmusik und das lautstarke Gegröhle von Musikern wie Teilnehmer_innen sind in dem Industriegebiet weithin hörbar. Es ist ein Rechtsrockkonzert, eine Veranstaltung der Szene für die Szene. Hier werden bereits Jugendliche durch rassistische und antisemitische Texte auf Linie gebracht.

Ein Blick auf das bisherige »Schaffenswerk« einer der anwesenden Musikgruppen unterstreicht diese Sichtweise. So traten neben der Rechtsrockband »Extressiv« auch die, für ihrer drastischen Textpassagen bekannte Szene-Band »Weiße Wölfe« in Erscheinung. Mit einschlägige Textpassagen wie »Juda verrecke und Deutschland erwache« rufen die Mitglieder der Musikgruppe zum Hass und »Rassenkrieg« auf. »Und haben wir die alleinige Führung, dann weinen viele, doch nicht vor Rührung, Für unser Fest ist nichts zu teuer, 10.000 Juden für ein Freudenfeuer.«, so die Musikgruppe weiter. Aussagen die keine Fragen offen lassen. Das seit dem Jahr 2002 bestehenden Untergrundprojekts der neonazistischen Musikszene versteht sich als propagandistischer »Kampfverband im Krieg gegen das verhasste BRD-System«, das Schlagzeug ist ihre Waffe, die E-Gitarre ihr Kriegswerkzeug.

Begleitet wurde das nun in Augustdorf stattgefundene Rechtsrockkonzert von einem nächtlichen Großeinsatz der Polizei, Abreisende Teilnehmer_innen wurden Fahrzeug- und Personenkontrollen unterzogen. Wie der Polizeisprecher der zuständigen Polizeidirektion in Detmold im Nachhinein mitteilte, sei die rechtsradikale Konzertveranstaltung gegen 03:00 Uhr beendet worden, strafrechtlich relevante Zwischenfälle habe es nicht gegeben. Das Neonazikonzert konnte regulär fortgeführt werden, da sich der Veranstaltungsort, nach Polizeiangaben in einem Industriegebiet befand und demnach keine Außenwirkung gegeben war.

Die Veranstalter des Rechtsrockkonzertes am vergangenen Samstag werden der Neonazisszene aus dem nordrhein-westfälischem Höxter zugerechnet. Die Gruppierung, unter wechselnden Bezeichnungen wie »Freie Kräfte Höxter«, »Sturm Höxter« oder auch »Autonome Nationalisten Höxter« in Erscheinung tretend, gilt bei Polizei wie auch Szenebeobachter_innen als kleiner, allerdings politisch umtriebiger Zusammenschluss. Bereits im September letzten Jahres hatten Mitglieder der Gruppe in der Region Höxter eine ähnliche Veranstaltung wie nun zuletzt in Augustdorf organisiert. Im Ernstfall könne die regionale Szene laut Polizeiangaben auf rund 50 aktive Neonazis aus ihrem politischem Umfeld zurückgreifen. Enge Verbindungen besitzt die regionale Neonaziszene dabei nicht nur zu Gruppierungen in Nordrhein-Westfalen.

Unter dem gemeinsamen Dachverband »Freie Nationalisten Ostwestfalen« entwickelten die lokal begrenzten Gruppierungen in den letzten Jahren ebenso überregionale Aktivitäten. Auch ins niedersächsische Schaumburg reicht das militante Netzwerk. Die dort ansässige Kameradschaftsgruppe »Nationale Offensive Schaumburg« (NOS) gilt dabei als extrem gewaltbereit. Derzeit verbüßen Führungskader der »NOS« wegen Gewalttaten langwierige Haftstrafen. Ein weiteres Mitglied, welches sich derzeit auf freiem Fuß befindet, war im August 1999 an einem Überfall auf den 44jähigen Peter Deutschmann aus Eschede beteiligt. Die Angreifer hatten brutal auf ihr Opfer eingeschlagen, als dieser sich wiederholt über laute Neonazimusik beschwerte. Peter Deutschmann wurde durch die Attacke so schwer verletzt das er nach einem mehrstündigem Todeskampf »jämmerlich gestorben« sei, wie die zuständige Staatsanwältin in dem späteren Prozess zu Protokoll gab.

Bei dem nun stattgefundenen Konzert soll es sich nach Angaben der Organisatoren weniger um eine politische Veranstaltung, sondern vielmehr um eine interne Solidaritätsveranstaltung gehandelt haben. Dem vorangegangen war ein Autounfall im Dezember 2008, in dessen Folge ein Mitglied der »Freien Kräfte Höxter« tödlich verunglückte. Nach Bekanntwerden des Unfalls organisierte die regionale Neonaziszene über eine Internetseite tatsächlich eine Solidaritätskampagne und rief angesichts der Beerdigungskosten zu Geldspenden auf. Der Eintrittspreis des Augustdorfer Konzertes von rund 15,- Euro solle ebenfalls der Familie des Verstorbenen gespendet werden. Um eine kommerzielle Konzertveranstaltung handele es sich allerdings nicht, so die Veranstalter weiter, »da alkoholische Getränke kostenlos seien«. Inwieweit die getätigten Angaben der Organisatoren der Wahrheit entsprechen und nicht als Schutzbehauptung gegenüber der Polizei zu werten sind, bleibt allerdings fraglich. Immer wieder werden Neonazikonzerte als Geburtstags- oder Hochzeitfeiern getarnt um polizeilichen Maßnahmen und Ermittlungsverfahren zu entgehen. Die ein bis zwei Euro Getränkepreise welche die Teilnehmer_innen tatsächlich im Verlauf der Veranstaltung entrichten mussten, werfen indes ein trübes Licht auf den Wahrheitsgehalt der dort getätigten Aussagen.

Die hohe Beteiligung überregionaler Teilnehmer_innen an der Konzertveranstaltung wird vor allem auf den angekündigten Auftritt der neonazistischen Band »Die Lunikoff Verschwörung« aus Berlin zurückgeführt. Entsprechende Vorabankündigungen wurden im Vorfeld des Konzertes über SMS- und Mailverteiler in Umlauf gebracht. Der angekündigte Auftritt des ehemaligen Frontmanns der Musikgruppe »Landser«,entpuppte sich jedoch als Falschinformation. In einschlägigen Internetforen beschwerten sich daraufhin Teilnehmer_innen über diese, mutmaßlich beabsichtigte Falschmeldung der Veranstalter, welche die angebliche Beteiligung der »Lunikoff Verschwörung« als Lockmittel für höhere Besucherzahlen genutzt hätten.

Bei dem Sänger der »Lunikoff Verschwörung« handelt es sich um Michael Regener, den ehemaligen Frontmann der 2004 durch das Berliner Kammergericht als »kriminelle Vereinigung« verbotenen Rechtsrockband »Landser«. Mit Textpassagen wie »Afrika für Affen, Europa für Weiße, Steckt die Affen in ein Boot und schickt sie auf die Reise« erlangte die Band innerhalb des Neonazispektrums »Kultstatus«. Nach der Haftentlassung des NPD Mitgliedes Michael Regener im Februar 2007 avancierten Konzertveranstaltungen mit der Beteiligung des »politischen Überzeugungstäters« zu Großevents. Erst im Oktober 2008 reisten anlässlich eines Konzertes der »Lunikoff Verschwörung« über 1000 Neonazis in die mecklenburgischen Kleinstadt Mallenthin. Die ebenfalls im Vorfeld angekündigte Rechtsrockband »Cherusker« aus dem niedersächsischen Osnabrück glänzte in Augustdorf vor allem mit Abwesenheit. Einen Tag nach dem verpassten Konzert wurde über diverse Internetseiten eine Selbstauflösung der Musikgruppe »Cherusker« verbreitet. Inwieweit dies der Wahrheit entspricht bleibt zweifelhaft, da die Veranstalter in Augustdorf bis zuletzt mit dem Auftritt der Band rechneten.

Neben der Musikveranstaltung in Nordrhein-Westfalen fand am vergangen Wochenende noch ein weiteres Konzert der Neonazi-Szene in der Bundesrepublik statt. So fand ein ursprünglich für das französische Elsass geplantes Rechtsrockkonzert mit den neonazistischen Musikgruppen »12 Golden Years«, »Propaganda«,»Radikahl« sowie »Death Head« schließlich in Baden-Württemberg statt. Vor Ort waren rund 250 Neonazis der lokalen und überregionalen Szene. Neben Plattenständen neonazistischer Versandhändler gab es auch eine Tombola, die von einer »langjährigen Kameradin« veranstaltet wurde. Der Erlös solle in Dänemark inhaftierten Neonazis zu Gute kommen.

Auch im europäischen Umland wurden Aktivitäten vermeldet. So etwa in der »Moloko Bar«, dem Nachfolger der neonazistischen Szenekneipe »deKastelein« im Belgischen Brügge. Dort traten am vergangenen Samstag die Musikgruppen »TMF« und »Skinfull« auf. Die Band »TMF«, deren ausgeschriebener Name »Tattoed Motherfuckers« lautet, gaben sich textlich nicht als bekennende Aktivisten der Neonazisszene zu erkennen. Die dargebotenen Lieder beschäftigten sich vor allem mit dem übermäßigem Genuss alkoholischer Getränke, Gewaltphantasien und »falschen Kameraden«. Die Mitglieder der Gruppe um Frontmann Steve »Jonesy« Jones sind allerdings alles andere als unpolitisch. Bei Jones handelt es sich um den Sänger der britischen Band »English Rose« welche dem Netzwerk von »Blood and Honour« zugerechnet wird. In der Bundesrepublik wurde das neonazistische Netzwerk, das gezielt Musikveranstaltungen für Propagandazwecke nutze, im September 2000 durch den damaligen Bundesinnenminister Otto Schily verboten. Dies hindert die Mitglieder des bundesweiten Neonazimilieus jedoch nicht daran auch weiterhin an Konzerten mit der »Begleitmusik zu Mord und Totschlag« teilzunehmen. So, wie auch die Insassen des roten Kleinwagens mit Höxteraner Kennzeichen, welche gegen 04:30 Uhr das Industriegebiet im nordtrhein-westfälischen Augustdorf ohne nennenswerten Zwischenfälle wieder verließen.