04.03.2009 / Stuttgart: Ausgespielt? - Bundesweite Razzia gegen Nazirockstrukturen

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Der Mittwoch begann für rund 100 mutmaßliche Angehörige der neonazistischen Szene mit unerwartetem Besuch. Einsatzkräfte der Polizei durchsuchten in den Morgenstunden des 04.03.2009 über 200 Wohn- und Geschäftsräume von Beschuldigten im gesamten Bundesgebiet. Nach Angaben der Strafverfolgungsbehörden richtete sich die konzentrierte Polizeiaktion gegen den Verbreitung sowie den Handel einschlägiger Musik und Tonträger im Internet. Neben mehr als 45.000 strafrechtlich relevanten Tonträgern und Speichermedien wurden durch die Ermittlungsbehörden auch Waffen und Waffenteile sichergestellt.

Der nun durchgeführten Polizeirazzia gingen monatelange Ermittlungsverfahren voraus. Ausgangspunkt waren die Ergebnisse von vorangegangenen Hausdurchsuchungen im September 2007. Deren Hintergrund waren die Aktivitäten des neonazistischen Internetportals »unser Auktionshaus« um den einschlägig bekannten Neonazis Sascha Deuerling aus dem baden-württembergischen Waiblingen. Die abschließende Auswertung der sichergestellten Daten mit zirka 20.000 getätigten Auktionen von rund 800 angemeldeten Nutzern führte nun zu der neuerlichen Razzia. Mit insgesamt 33 Beschuldigten, etwa 7000 sichergestellten Tonträgern, 50 digitalen Speichermedien und Computern sowie zehn beschlagnahmten Waffen lag einer der Schwerpunkte der bundesweiten Razzia in Niedersachsen. Dabei wurden die Polizeibeamten unter anderem in den Landkreisen Braunschweig, Hannover, Göttingen, Northeim, Rotenburg Wümme und Osterholz vorstellig. Auch in Hildesheim sollen mehrere Objekte durchsucht worden sein.

In den nördlichen Bundesländern Hamburg und Bremen wurden jeweils zwei Wohnobjekt von insgesamt sieben beschuldigten Neonazis durchsucht. Auch in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern wurde die Polizei fündig. Während in Berlin sieben Objekte betroffen waren, konnten in Wohn- und Geschäftsräumen von neun weiteren Beschuldigten in Mecklenburg-Vorpommern etwa 1300 Tonträger beschlagnahmt werden. In Hessen waren 11 Wohnungen betroffen. Hier wurden 1220 Tonträger wurden sichergestellt. Wie ein Sprecher des Bundeskriminalamtes mitteilte, richteten sich die nun durchgeführten polizeilichen Maßnahmen nicht gegen bestimmte Organisationsstrukturen der Neonaziszene. Die Beschuldigten seien vielmehr durch ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Internetportal »unser Auktionshaus« ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten und stammten »aus allen sozialen Schichten«.

Der 34jährige Betreiber der Internetseite ist indes kein Unbekannter. Sascha Deuerling gilt dabei als ebenso geschäftstüchtig wie umtriebig. Unlängst macht sich Deuerling als Mitorganisator von Rechtsrockkonzerten einen Namen. Im Vorfeld eines Neonazikonzertes mit den Musikgruppen »Carpe Diem« aus Deutschland, »Briganda M« aus den Niederlanden, »Fraction« aus Frankreich sowie der italienischen Musikgruppe »ZetaZeroAlfa« am 30.06.2007 im Raum Stuttgart, bewarb Deuerling die Veranstaltung über seinen Internetversandhandel »RACords«. Neben Ausrüstung für den Straßenkampf bietet »RACords« dabei ein umfangreiches Angebot an neonazistischen Musikproduktionen. Der Name des Versandes bezieht sich auf die 1977 ins Leben gerufene Neonazikampagne »Rock against Communism« (RAC) aus der später auch das neonazistische Netzwerk »Blood.& Honour« hervorging. Ziel dieser Kampagne war es, Jugendliche und Skinheads für nationalsozialistische Ideologie zu begeistern.

Neben dem Vertrieb, bietet »RACords« um Sascha Deuerling auch maßgebliche Unterstützung in der Produktion neonazistischer Musik. Das Label des Versandhandels verfügt dazu über ein eigenes Tonstudio. Die Szene vertraut dem baden-württembergischen Geschäftsmann. Als Schlagzeuger der Musikgruppen »Noie Werte« und »Carpe Diem« verfügt Deuerling über entsprechende Referenzen. Die nun stattgefundene Polizeirazzia dürfte die Aktivitäten des umtriebigen Neonazis kaum bremsen. sein Umgang mit persönlichen Daten dürfte hingegen einige Kunden in Zukunft Bauchschmerzen bereiten. Ein Sprecher des Bundeskriminalamtes merkte bereits an, das die Angaben von 45.000 beschlagnahmten Tonträgern und etwa 70 Waffen lediglich auf vorläufigen Zahlen beruhen. Diese würden sich noch stark erhöhen, weitere Ermittlungsverfahren seien die Folge.