28.03.2009 / Budapest (H): »Die Säuberung des ungarischen Volkskörpers«

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»Ungarn – Träum’ dich hin!« Mit diesem Slogan wirbt derzeit eine Internetseite des ungarische Tourismusamtes. Dass in dem osteuropäischem Land mitunter eher Alptraumhaftes zu sehen ist, verschweigt die zur Verfügung stehende Reiseliteratur hingegen. Zu den Szenen, mit denen sich zurzeit nur schwerlich werben lässt, gehören auch die jüngsten Krawalle in Budapest. Rund 1000 rechtsradikale Demonstranten versuchten in den Abendstunden des ungarischen Nationalfeiertages zum Parlamentsgebäude vorzudringen und lieferten sich anschließend heftige Straßenschlachten mit Polizeikräften. Im Verlauf der letzten Jahren kam es bereits wiederholt zu teils gewalttätigen Protesten gegen die links-liberale Regierungspolitik. Die neuerlichen Ausschreitungen führten nun zu ersten politischen Konsequenzen. Am vergangenen Samstag erklärte Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány seinen Rücktritt und wich damit dem zunehmenden Druck von der Straße.

Bereits am Vorabend des Nationalfeiertages zum Gedenken an die Märzrevolution von 1848, versammelten sich in der Landeshauptstadt mehrere hundert Anhänger der neofaschistischen „Pax Hungarica“, der Bürgerplattform „Nationaler Wille“ sowie die uniformierten Mitglieder der paramilitärischen „Unabhängigen Ungarischen Garde“. In Redebeiträgen wurden die Teilnehmer auf »den Kampf« und eine kommende »Revolution« in Ungarn eingestimmt. Diesen Worten folgend sei zu ehren „offen gegen das System aufzutreten“. Die nächtliche Zusammenkunft endete abschließend mit der Vorstellung eines 12-Punkte Programms: Neben der »Säuberung« des kulturellen Lebens von »religionsfeindlichen und antinationalen Elementen« und einem »militärischem Arbeitsdienst« wird darin auch die Abschaffung aller Parteien in Ungarn gefordert. Die neue Verfassung und Staatsform solle dem der faschistischen „Pfeilkreuzer“ entsprechen.Jener nationalsozialistischen Partei, die während des zweiten Weltkrieges für eine kurze Zeit in Ungarn an der Macht war, mit deutschen Nazis kollaborierte und in einer Terrorwelle hunderttausende jüdische Bürger ermordete und in Konzentrations- und Vernichtungslager des NS-Regimes deportierte. »Streng, gerecht und unvermeidlich« solle nun die Verfolgung und Bestrafung der »schmarotzerhaften, kriminellen Elemente« im »neuen Ungarn« erfolgen.

Mit diesen Forderungen steht die „Pax Hungarica, die sogenannte „ungarische Friedensbewegung“ nicht allein. Rechtsradikale und offen neofaschistische Gruppierungen konnten sich in den vergangenen Jahren als relevante politische Kraft in Ungarn etablieren. Sie alle vereint die Ablehnung des Pluralismus und der parlamentarischen Demokratie. Ihre rassistischen und antisemitischen Ressentiments sind in dem Land weit verbreitet. Der Kampf gegen „Zigeunerkriminalität“ die links-liberale „Judenregierung“ und „das internationale Judentum“ gehören inzwischen auch zum politischen Repertoire von Vertretern rechts-konservativer Parteien wie der Christlich-Demokratischen Volkspartei (KDNP) und der Fidesz-Partei (Bürgerliche Union). Auch Zeitungen wie die „Magyar Hirlap“ oder der populäre Sender EchoTV bedienen sich ungeniert solch grotesker Feindbilder. So stecke hinter der aktuellen Weltwirtschaftkrise die „unermessliche Geldgier, Unersättlichkeit und Verantwortungslosigkeit der jüdischen Finanzler aus Brooklyn“. Die links-liberale Regierung um Ferenc Gyurcany sei von „Mossad-Leuten“ gesteuert und Angehörige der Sinti und Roma wurden in Artikeln als „wilde Tiere“ bezeichnet, die es zu überfahren gelte. Insbesondere die andauernde Hetze gegen die Roma führte in der Vergangenheit immer wieder zu massiven Gewalttaten. Zuletzt ermordeten Unbekannte im Februar 2009 in der Ortschaft Tatarszentgyörgy einen 27jährigen Familienvater und seinen fünfjährigen Sohn. Die Täter hatten das Haus der Roma-Familie mit Molotowcoctails in Brand gesetzt und ihre Opfer erschossen, als diese den Flammen entkommen wollten.

Finanziert wird die Magyar Hirlap wie auch EchoTV durch den rechtskonservativen Großindustriellen Gabor Széles. Der Multimillionär übernahm im Herbst 2005, die bis dahin linksliberale Tageszeitung und formte daraus ein rechtsextremes Boulevardblatt. Auf einer Tagung des „Deutschen Wirtschaftsclubs“ (DWC), zu der Széles im September 2007 als Gastredner eingeladen war, verkündete der Multimillionär selbstbewusst, dass es ihm bei seinem „Engagement im Mediensektor vor allem um politische Einflussnahme“ gehe. Der ehrenamtliche Präsident der ungarischen Arbeitgeber- und Industriellenvereinigung, dem ungarischen Pedant zum Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), baut in Ungarn seit einigen Jahren ein eigenes Mediennetzwerk auf. Dazu gehören neben der Mygar Hirlap drei weitere Regionalzeitungen sowie die privaten Fernsehsender VitalTV und EchoTV. Dieses „Mediengeschäft ist unheimlich arbeitsintensiv. Besonders schwer ist es, gute rechte Journalisten zu finden“, sagte Széles weiter. Im Falle eines möglichen Wahlsieges der Fidesz-Partei, bei den im kommenden Jahr anstehenden Parlamentswahlen, wird Gabor Széles inzwischen als aussichtsreicher Kandidat für das Amt des Wirtschaftsministers gehandelt. Insbesondere Vertreter der Fidesz-Partei hatte in den vergangenen Monaten durch massive verbale Attacken gegen die Regierung um Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány für Aufsehen gesorgt. So forderte die Fidesz Abgeordnete Maria Witter in einem Redebeitrag während des rechtsextremistischen »Magyar Sziget Festivals« gar den Ministerpräsidenten »samt seinen Stuhl in die Donau zu werfen«. Sozialisten und Liberale seien allesamt „Parteien der Würmer“ und mitverantwortlich für die derzeitige Wirtschaftskrise. Ungarn wurde durch die Finanzkrise hart getroffen, Während das Land im vergangenen Herbst bereits unmittelbar vor der Zahlungsunfähigkeit stand, verschärfte sich die Lage seit Jahresbeginn dramatisch.

Bei den im Juni stattfindenden Europawahlen wurden der nationalistischen Fidesz-Partei in Umfragewerten zuletzt bis zu 60% der Stimmen prognostiziert. Ein erneuter Einzug ins Europaparlament scheint damit vorprogrammiert. Dort ist die Fidesz bereits seit 2004 gemeinsam mit Vertretern der CDU/CSU Bestandteil der Europäischen Volkspartei. Auch der rechtsradikalen „Jobbik“ (Bewegung für ein besseres Ungarn) werden derzeit in Umfragen gute Chancen eingeräumt erfolgreich die 5% Hürde zu überwinden und ins Europaparlament einzuziehen. Die „Jobbik“ sorgte im Herbst 2007 durch die Gründung der paramilitärischen „Ungarischen Garde“ für internationale Negativschlagzeilen. Begründet wurde die Aufstellung mit einem zunehmenden „geistig-moralischen und physischen Verfall des Ungarntums“. Das selbsterklärte Ziel der bewaffneten Einheiten sei es „die links-liberale Regierung zu beseitigen“. Auch sonst hält sich die rechtsradikale Partei mit Kampfansagen nicht zurück. In einem Redebeitrag empfahl Dr. Krisztina Morvai, Kandidatin zur anstehenden Europawahl, den „liberal-bolschewiken Zionisten“ sich damit zu beschäftigen „wohin sie fliehen und wo sie sich verstecken! Denn, es gibt keine Gnade!“ In dem nun erfolgten Rücktritt des Ministerpräsidenten sieht sich die „Jobbik“ einer „historische Chance“ gegenüber. Man wolle solange „Druck von der Straße“ erzeugen bis vorgezogene Neuwahlen ausgerufen würden. Diese sollen mit der Europawahl am 7. Juni 2009 zusammengelegt werden.Der Parteivorsitzende Gabor Vona kündigte bereits an, seine Anhänger für die „Rettung des Landes“ mobilisieren zu wollen. Damit knüpft die „Jobbik“ an ihr bisheriges Vorgehen an. So ging den Ausschreitungen in der Nacht des ungarischen Nationalfeiertages eine Parteiveranstaltung der „jobbik“ voraus. Diese endete in Straßenschlachten als Anhänger und Mitglieder der rechtsradikalen Partei versuchten das Parlament zu stürmen. Unter ihnen war auch die Europakandidatin Krisztina Morvai. Kein Zufall, denn hier eröffnete die „Jobbik“ offiziell ihren Europawahlkampf.