11.05.2009 / Ebensee (A): Neonazis attackierten Gedenkfeier in Österreich

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Die Tat sorgte über die Grenzen Österreichs hinaus für ein internationales Medienecho und Empörung. Am vergangenen Samstag, den 09.05.2009 attackierten mutmaßliche Neonazis eine französische Reisegruppe während einer Gedenkzeremonie im ehemaligen Konzentrationslager Ebensee in Österreich. Die Hintergründe der Tat scheinen nun aufgeklärt, fünf Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren sollen ihre Beteiligung inzwischen gestanden haben. Der Vorfall wirft dabei ein beunruhigendes Licht auf die derzeitige Entwicklung der Neonaziszene in Oberösterreich und ihren stetig wachsenden Einfluss auf jugendliche Mitläufer.

Die Täter verschwanden genauso schnell wie sie zuvor die Bildfläche betreten hatten. Sturmhauben und Mützen verdeckten die Gesichter, während sie sich, gekleidet in militärische Kampfanzüge der Reisegruppe näherten. »Sieg Heil Rufe« ertönten, die Arme wurden zum Hitlergruß erhoben. Anschließend sollen die Angreifer mit einem Softairgewehr auf die überraschten Mitglieder der Reisegruppe geschossen haben. Die Attacke ereignete sich in einem früheren NS-Rüstungsstollen der weitverzweigten Anlage. Durch die Schüsse wurde ein Mitglied der französischen Hilfsorganisation sowie der KZ-Überlebende Henri Ledroit verletzt. Die Ereignisse im Verlauf einer Gedenkzeremonie auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Ebensee veranlasste die französische Reisegruppe dann zur sofortigen Abreise. Auch eine italienische Delegation wurde Zeuge der Vorfälle. Nachdem die mutmaßlichen Neonazis daraufhin abermals volksverhetzende Parolen skandierten, ergriffen die Italiener einen der Angreifer und rissen ihm die Sturmhaube vom Gesicht. Dennoch konnten die Täter entkommen. Die herbeigerufene Polizei konnte kurze Zeit später lediglich die Attrappe eines Kalaschnikow-Maschinengewehrs sicherstellen. Die Täter hatten die Waffe auf der Flucht zurückgelassen.

Als Täter konnten nun fünf Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren identifiziert werden, allesamt Sprösslinge angesehener Familien aus Ebensee, wie örtliche Medienvertreter mitteilten. Der 17jährige, mutmaßliche Rädelsführer habe nach Polizeiangaben inzwischen ein umfassendes Geständnis abgelegt. Die Gemeinde Ebensee zeigt sich über die Hintergründe der Tat entsetzt. »Die Katastrophe dabei ist das jugendliche Alter« wie aus Sicherheitskreisen zu vernehmen war, welche die Täter noch zuvor als »Irregeleitete Neonazis« bezeichnet hatten. Als Motiv gaben die jungen Männer an, dass man »die Teilnehmer der Gedenkfeier nur provozieren« wollte. Die Aktion selbst habe man am Vorabend des 09.05.2009 geplant. Den Jugendlichen droht nun wegen des Verstoßes gegen österreichische NS-Wiederbetätigunggesetz eine mögliche Höchststrafe von fünf Jahren.

Völlig überraschend kommt die Tat für die Region indes nicht. Oberösterreich wurde in den vergangenen Monaten immer wieder im Zusammenhang mit neonazistischen Aktivitäten genannt. Wenige Monate zuvor, im Februar 2009 hinterließen bislang unbekannte Täter_innen an einer Mauer des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen die einschlägige Parole: »Was unsern Vätern der Jud, ist für uns die Moslembrut«. Die Polizei geht von einem rechtsradikalen Hintergrund aus. Am vorangegangenen 1. Mai 2009 sollte nun im nahegelegenen Braunau eine zentrale Demonstration der österreichischen Neonaziszene stattfinden. Die Behörden untersagten die Veranstaltung allerdings im Vorfeld. Ein Großteil der österreichischen Neonaziszene wich daraufhin ins nahegelegene Tschechien aus um gemeinsam mit ungarischen und deutschen Neonazis an einer Demonstration im tschechischen Brno teilzunehmen. Zwei Wochen zuvor, am 18. April 2009 planten österreichische Neonazis aus den Strukturen der »Nationalen Volkspartei« (NVP) in Braunau ebenfalls einen Aufmarsch durchzuführen.

Beobachter_innen warnen bereits seit Monaten vor einem neuen Selbstbewusstsein der österreichischen Neonaziszene. Ein neues Selbstbewusstsein, welches sich vor allem nach dem gescheiterte Verbotsverfahren gegen die neonazistische Jugendorganisation »Bund Freier Jugend« (BFJ) entwickelte. Der Schwerpunkt der BFJ lag dabei in Oberösterreich. Die Behörden verdächtigten Mitglieder der Gruppierung gegen den österreichischen NS-Wiederbetätigungsparagraph zu verstoßen. Das Gerichtsverfahren endete am 5. November 2008 jedoch überraschend mit Freisprüchen zugunsten der angeklagten Neonazifunktionäre. Der »Bund Freier Jugend« ist die Jugendorganisation der »Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik« (AfdP). Hinter dem beschaulich klingenden Namen verbirgt sich eine der wichtigsten Netzwerkorganisation, und aktivsten Sammelbecken der österreichischen Neonaziszene. Das zentrale Anliegen der »Arbeitsgemeinschaft« ist die Bekämpfung der NS-Verbotsgesetze. Zu diesem Zweck fungiert die Gruppierung als Knotenpunkt der einschlägig motivierten Szene. Beste Kontakte bestehen ebenfalls ins europäische Umland. Führungspersonen der »Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik« wie beispielsweise der österreichische Neonazifunktionär Herbert Schweiger treten dabei als Referenten oder gar als Funktionäre innerhalb der deutschen Neonaziszene in Erscheinung.

Nach den jüngsten Ereignissen in Ebensee, kündigten das österreichische Innenministerium seinerseits Reaktionen an. Inwieweit diese, den Reaktionen der Vorjahre gleichen bleibt abzuwarten. Laut ist derzeitig der Ruf nach »harter und konsequenter Bestrafung« der fünf Jugendlichen. Kritiker befürchten jedoch das ein solches Vorgehen lediglich die Spitze des sprichwörtlichen Eisberges bekämpft. Ursachen würden hingegen unangetastet bleiben. Die Einsicht, das Rassismus, Antisemitismus und neonazistische Ideologie nicht aus dem Nichts entsteht wäre dabei ein erster Schritt um sich diesem gesellschaftlichen Problem zu stellen und damit Netzwerke auszutrocknen, welche seit Jahren Jugendliche für die eigenen politischen Zwecke rekrutiert.