12.05.2009 / Brno (CZ): »Kampftag der Nationen« am 1. Mai in Tschechien

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Wohin der mitunter steinige Weg führen soll ist kein Geheimnis. Das Ziel lautet »Nationalsozialismus!« Dies sei nach Auskunft von Jiří Štěpánek, stellvertretender Vorsitzender der tschechischen Arbeiterpartei »Dělnicka strana« die Antwort, um auf die derzeitige »moralische und wirtschaftliche Krise« in Tschechien angemessen zu reagieren. Mit diesen Thesen für die politische Zukunft steht Jiří Štěpánek nicht allein. Hunderte Zuhörer und Sympathisanten, welche sich anlässlich einer Demonstration am 1. Mai in der tschechischen Stadt Brno (Brünn) versammelt hatten, quittierten seine sorgsam gewählten Worte mit zustimmenden Applaus. Unter den rund 650 angereisten Teilnehmer_innen befanden sich neben Neonazis aus Tschechien etliche Neonazis aus der benachbarten Slowakei, Ungarn, Deutschland und Österreich.

Die tschechischen Sicherheitsbehörden in Brno (Brünn) waren ursprünglich sogar von bis zu 1000 Demonstrant_innen ausgegangen, welche sich anlässlich des seit Wochen beworbenen Neonaziaufmarsches in der zweitgrößten Metropole Tschechiens versammeln sollten. In Anbetracht vorangegangener Aktivitäten tschechischer Neonazis waren in diesem Zusammenhang abermals gewalttätige Ausschreitungen befürchtet worden. Ein massives Großaufgebot der Polizei, inklusive Räumpanzer und Wasserwerfer begleitete daraufhin den Aufmarsch durch die Brno'er Innenstadt. Vor dem Beginn der Veranstaltung, welche letztendlich ohne nennenswerte Auseinandersetzungen beendet wurde, unterzog die Polizei einen Großteil der angereisten Teilnehmer_innen einer erkennungsdienstlichen Behandlung. In deren Verlauf wurden insgesamt drei Neonazis, aufgrund einschlägiger Motive und Aufschriften auf mitgeführten Kleidungsstücken in Polizeigewahrsam genommen. Die polizeilichen Maßnahmen führten allerdings nicht nur zu einem verzögerten Beginn der Demonstration, auch der Straßenverkehr in der Innenstadt von Brno (Brünn) wurde zeitweise unterbrochen.

Als Veranstalter trat neben der eingangs erwähnten tschechische Arbeiterpartei »Dělnicka strana« (DS) ebenfalls die sogenannte »Freie Jugend Brünn« in Erscheinung. Die »Dělnicka strana« gilt dabei als derzeitig wohl bedeutendster parlamentarischer Arm der tschechischen Neonaziszene. Noch im November 2008 versuchte das tschechische Innenministerium die Organisation durch ein Verbotsverfahren verbieten zu lassen. Nach Ansicht des tschechischen Innenministers beabsichtige die »Dělnicka strana« die demokratische Grundordnung zu stürzen. Das Verfahren scheiterte allerdings nachdem die tschechische Regierung versäumte die Verbotsforderung durch entsprechende Nachweise zu untermauern. Aus »Mangel an Beweisen« wurde der angestrengte Verbotsantrag schließlich am 05. März 2008 abgewiesen.


Aus Erfahrungswerten lernen: NPD und »Dělnicka strana«


Das gescheiterte Verbotsverfahren sowie die maßgebliche Beteiligung von Mitgliedern der »Dělnicka strana« (DS) an den pogromartigen Ausschreitungen im tschechischen Litvinov, welche im November 2008 für internationales Aufsehen sorgten, führte in den vergangenen Monaten zu einer Stärkung der DS-Parteistrukturen. Umwälzungen und Vorgänge wie sie bereits Ende der 90er Jahre im benachbarten Deutschland zu beobachten waren, scheinen sich nun ebenfalls in Tschechien anzubahnen. In der Bundesrepublik öffneten sich Ende der 90er Jahre die Strukturen der bis dahin politisch relativ unbedeutenden »Nationaldemokratischen Partei Deutschlands« (NPD) für Mitglieder der parteiunabhängigen und zumeist militanten »Freien Nationalisten«. In der Folgezeit nutzten parteiunabhängige Neonazis die NPD nicht nur als legalen und sicheren Rückzugsraum, sondern machten sich vielerorts daran, die NPD-Parteiorganisation als Basis für die eigenen politischen Aktivitäten auszubauen.

Eine Zusammenarbeit von durchaus gegenseitigem Interesse. Durch die verstärkten Aktivitäten sogenannter »Freien Kräfte« konnte die NPD einen enormen Mitgliederzuwachs verzeichnen und entwickelte sich in der Folgezeit zur wichtigsten neonazistischen Partei der Republik. Das gescheiterte Verbotsverfahren gegen die NPD in den Jahren 2001 bis 2003 verstärkte diese Entwicklung noch. Um möglichen Verboten von Kundgebungen wie Demonstrationen im Vorfeld zu begegnen, verfiel die militante Neonaziszene mancherorts darauf politische Aufmärsche unter dem Namen der NPD anzumelden. Repressionsmaßnahmen und Verbote im Vorfeld der geplanten Aufmärsche sollten somit unterlaufen werden. Eine Taktik auf die, nach ersten Einschätzungen nun auch in Tschechien zunehmend zurückgegriffen wird. Nicht zufällig intensivierte die »Dělnicka strana« im vergangenen Jahr ihre Kontakte zur NPD. Man plane in mehreren Zusammentreffen »die Erfahrungen und Strategien der politischen Arbeit« auszutauschen, wie Mitglieder beider Parteien nach einem gemeinsamen Arbeitstreffen im August 2008 bereitwillig mitteilten.

Das die »Dělnicka strana« nun als Anmelder des Aufmarsch am 1. Mai im tschechischen Brno (Brünn) in Erscheinung trat, wirft auch ein Licht auf das gewachsene Selbstbewusstsein der neonazistischen Partei, die sich, dem Vorbild der NPD folgend, aufgemacht hat innerhalb der militanten Neonaziszene von Tschechien eine führende Rolle einzunehmen. So erscheint es nicht verwunderlich das drei der insgesamt zehn Redebeiträge im Verlauf der Demonstration von Funktionären der »Dělnicka strana« gehalten wurden. Vor dem Auftritt des stellvertretendem Parteivorsitzenden Jiří Štěpánek, welcher in seiner Rede den »Nationalsozialismus« als alternative Regierungsform ins Felde führte, trat ebenfalls der DS Parteivorsitzende Tomáš Vandas auf das aufgebaute Podest. In seiner Rede präsentierte sich Vandas dann als realpolitischer Vertreter »tschechischer Interessen«. Bevor er seine Rede mit den Worten: »Die Zukunft gehört uns – Nationalisten!« beendete, nutzte Vandas die Gelegenheit um für sich und die neonazistische »Dělnicka strana« als wirtschaftspolitische Fürsprecher der tschechischen Arbeiter zu werben.


Deutschsprachige Neonazis als Geburtshelfer in Tschechien


Ein weiterer Redebeitrag wurde durch Martin Zbela, seines Zeichens Vorsitzender der DS-Jugendorganisation »Dělnická mládež« (Arbeiterjugend) vorgetragen. Die Strukturen der »Dělnická mládež« (DM) sind dabei vergleichbar mit denen der »Jungen Nationaldemokraten« (JN), der Jugendorganisation der bundesdeutschen NPD. Der DM-Funktionär Zbela überbrachte den angereisten Neonazis in Brno »frohe Kunde«. Es sei gelungen, die in der Tschechischen Republik umstrittene Bezeichnung »Narodni Odpor« als legale Bezeichnung eintragen zu lassen. »Narodni Odpor«, was soviel bedeutet wie »Nationaler Widerstand« lautet die Bezeichnung einer in Tschechien verbotenen Neonazigruppierung. Bestimmte noch in der jüngeren Vergangenheit die schwarz-weiß-roten Fahnen der »Narodni Odpor« die Aufmärsche tschechischer Neonazis, so wurden in den vergangenen Monaten mehrere tschechische Neonazis wegen der Nutzung jener Parole zu Haftstrafen verurteilt. Nach dem gescheiterten Verbotsverfahren hatte die »Dělnicka strana« kurzerhand eine neue Zeitung mit dem Titel »Narodni Odpo« herausgegeben. Ein tschechisches Gericht bestätigte nun die legale Verwendung der umstrittenen Bezeichnung.

Ebenso wie die »Dělnicka strana« unterhält auch deren Jugendorganisation enge Kontakte in die Bundesrepublik. Erst im April waren Mitglieder der »Dělnická mládež« und des »Narodní Odpor« (NO), dem tschechischen Pendant zu den »Freien Nationalisten« in Deutschland, zu einem Austauschbesuch in die Bundesrepublik gereist. Unter ihnen soll auch Martin Zbela gewesen sein. Das gemeinsame Treffen der tschechischen Delegation mit den Mitgliedern des »Zentropa Klan Deutschland / Syndikat Z» um den langjährigen Dortmunder Neonazi Steffen Pohl sowie Mitgliedern der sogenannten »Autonomen Nationalisten« aus dem Großraum Nordrhein-Westfalen diente dabei einer Intensivierung »der gemeinsamen Arbeit«. Die vordergründige Hoffnung der deutschsprachigen Seite ist nicht zuletzt ein Anwachsen der militanten Strukturen »Autonomer Nationalisten« in Tschechien und die Gründung eines »Zentropa Klan Czechia / Generace Z«.

Die grenzüberschreitende Vernetzung zwischen den Gruppierungen ist immens. Mitglieder des »Syndikat Z« und der nordrhein-westfälischen »Autonomen Nationalisten« werden immer wieder im Zusammenhang mit den Aktivitäten tschechischer Neonazis genannt. Die deutschen Neonazis engagieren sich dabei als politisch motivierte Aufbauhelfer. In Arbeits- und Praxistreffen wurden Konzepte wie beispielsweise der »Nationale Sanitätsdienst« (NS) erfolgreich in die Tschechische Republik transferiert. Redebeiträge deutschsprachiger Neonazis sind in Tschechien längst keine Seltenheit mehr. So auch während der diesjährigen 1. Mai-Demonstration. Als Vertreter des deutschsprachigen »Syndikat Z« hielt dann der Dortmunder Neonazi Steffen Pohl einen Redebeitrag in Brno (Brünn). Einen solchen hatte Pohl bereits im Jahr zuvor, anlässlich einer Demonstration tschechischer Neonazis am 1. Mai in der Landeshauptstadt Prag gehalten.

Die europäische Vernetzung der tschechischen Neonaziszene manifestierte sich am 1. Mai 2009 in Brno (Brünn) auch an weiteren Redebeiträgen. Neben einem Vertreter der ungarischen Neonaziszene betrat ebenfalls der österreichische Neonazifunktionär Gottfried Küssel das Rednerpodest in Brno. Küssel war beileibe nicht alleine erschienen. Nachdem ein ursprünglich am 1. Mai im oberösterreichischen Braunau geplanter Aufmarsch durch die Behörden untersagt wurde, wichen die österreichischen Neonazis zum Teil nach Tschechien aus. Gottfried Küssel gab, von einem tschechischen Dolmetscher begleitet, den anwesenden Neonazis in seinem Redebeitrag zu verstehen das der 1.Mai für ihn schon lange kein «Kampftag der Arbeiter» mehr sei. Man müsse, so Küssel folgend, den 1. Mai vielmehr »als Kampftag der Nationen begehen« um damit zu verhindern »dass in unserem Kontinent ein amorpher Völkerbrei heimatloser Gesellen haust«. Dagegen stellte Küssel ein von ihm gefordertes »Europa der Völker und Vaterländer«.

Unter dem Gesichtspunkt einer zunehmenden Kooperation europäischer Neofaschisten wurde der Aufmarsch szeneintern als Erfolg gewertet. Angesichts zahlreicher und gleichzeitig stattfindener Demonstrationen zum Beispiel in Russland, Spanien, der Ukraine, Portugal und nicht zuletzt mehrerer Aufmärsche in der Bundesrepublik Deutschland, scheint sich dieses Urteil zu bewahrheiten. Die Teilnehmerzahl, erscheint trotz der enormen Anzahl von »Konkurenzaufmärschen« als Erfolg der Mobilisierungstätigkeit tschechischer Neonazis. Von den zuletzt anwachsenden Vernetzungsbestrebungen tschechischer Neonazis ins europäische Umland profitierte die Szene bislang. Die weitere Entwicklung in Tschechien wird allerdings abhängig bleiben von den Bündnisbestrebungen zwischen parteifreien Neonazis und den Strukturen der »Dělnicka strana«.