20.05.2009 / Schwitschen: »Jetzt kommt der Tag der Abrechnung« in Schwitschen

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Auf dem Anwesen eines Landwirtes im niedersächsischen Schwitschen soll ein »NPD Ferienhof« entstehen. Er wolle, so der Landwirt, »das größte Domizil der Partei in Norddeutschland errichten«. Zum Beweis seiner ernstgemeinten Absichten verteilte er nach Einbruch der Dämmerung bereits Flugzettel im Ortskern der nahegelegenen Stadt Visselhövede, mit denen für das Projekt geworben wurde. Vorsorglich wurde von dem Landwirt nun auch eine selbst entworfene und gemalte NPD Flagge am hofeigenen Fahnenmast befestigt. Der Wahrheitsgehalt seiner Ankündigungen darf indes getrost bezweifelt werden.

Die Ortschaft Schwitschen ist ein beschaulicher Flecken Erde mit nur knapp 500 Einwohner_innen im Herzen Niedersachsens. Für eine Ortsdurchfahrt mit dem Auto benötigt man meist nicht mehr als anderthalb Minuten, es sei denn, eine der landwirtschaftlichen Zugmaschinen des Dorflebens verirrt sich zögernd in den Verkehr und behindert die Weiterfahrt. Böse Zungen behaupten, im kleinen Schwitschen sei das Aufsehenerregendste Ereignis im Laufe des Jahres das jährlich stattfindende Schützenfest. Man kennt sich, ob nun freiwillig oder unfreiwillig. Auch der Schwitschener Landwirt Wilfried Häring gehört hier zur Dorfgemeinschaft. Umso größer die Verwunderung in der Gemeinde als bekannt wurde, dass in ihrer Ortschaft unter der Leitung von Häring ein »NPD Ferienhof« entstehen soll und er selbst beabsichtige der Partei beizutreten und sogleich »eine NPD Gruppe zu gründen«. Allerdings suche er noch Mitstreiter_innen für sein geplantes Unternehmen.

In Flugblättern, welche er in den Abendstunden in Briefkästen von Gewerbetreibenden und Privatpersonen hinterließ, hatte Häring auf seine ungewöhnlichen Pläne aufmerksam gemacht. Jeder einzelne Flugzettel wurde zuvor sorgsam mit seiner persönlichen Unterschrift versehen. Bis zu diesem Zeitpunkt war Wilfried Häring zwar als eigensinniger, mitunter starrköpfiger Kopf im Dorf bekannt, eine politische Radikalität wurde ihm aber bislang abgesprochen. Vollkommen überrascht wurden die Einwohner_innen von den drohenden Ereignissen in Schwitschen hingegen nicht. Hinter vorgehaltener Hand waren im Dorfleben bereits einige Tage zuvor hartnäckige Gerüchte aufgetaucht, nach denen die militante NPD-Jugendorganisation »Junge Nationaldemokraten« (JN) in der kleinen Gemeinde ein Zeltlager im Verlauf des Sommers plane. Auch eine NPD Fahne, die weithin sichtbar auf dem Anwesen von Wilfried Häring wehte, sorgte vereinzelt durchaus für Irritationen.


NPD-Ferienheim als simple Drohkulisse?


Inwieweit Wilfried Häring seine Ziele verwirklichen wird, bleibt abzuwarten. Die Vorgänge in Schwitschen scheinen vielmehr der momentane Höhepunkt eines seit langem schwelenden Streites zwischen dem Landwirt und den örtlichen Behörden zu sein. Wohl aus Unmut über die seiner Meinung nach ungerechte Behandlung gegenüber seiner Person habe sich Häring nun »entschlossen einen anderen Weg zu gehen«, wie es in dem verteilten Flugblatt heißt. »Ich werde aus meinem Hof einen NPD Ferienhof machen. Die Voraussetzungen sind gut, da Ferienwohnungen und Mietwohnungen vorhanden sind. Auch jede Menge Tiere tummeln sich auf dem Grundstück« so Häring. Die ungerechte Behandlung bezieht sich auf Härings Versuch, eine Baugenehmigung für sein langgezogenes Grundstück zu bekommen. Eine solche wurde ihm bislang verweigert. Die zuständigen Gerichte und Behörden beschäftigen sich bereits seit Jahren mit dem Anliegen. Drei Gerichtsprozesse verlor Häring bisher, ein Vierter steht kurz bevor.

Nachdem ein örtliches Unternehmen nun eine Baugenehmigung in unmittelbarer Nähe zu Härings Grundstück bekam, scheint dies der sprichwörtliche Tropfen gewesen zu sein, der das Fass des Landwirtes zum Überlaufen gebracht hatte. Der Streit eskalierte, Häring verfasste sein Flugblatt, wohl auch um mit dieser Drohkulisse den Druck auf die örtlichen Behörden zu verstärken. Für den Landwirt ist bei der Vergabe der Baugenehmigungen »Betrug und Korruption« im Spiel gewesen und er fürchte einen »großen Schaden« der ihm und seiner Familie dadurch entstehen würde. Für den anstehenden Gerichtsprozess will Häring nun »Verstärkung mitbringen«. Er werde nicht alleine erscheinen. »Jetzt kommt der Tag der Abrechnung«. Auf eine diesbezügliche Frage eines örtlichen Lokalredakteurs, um welche »Verstärkung« es sich dabei handeln würde, erwiderte der Landwirt, dass es sich dabei um Mitglieder der »Republikaner, ähm Snevern-Jungs, nein NPD, sie wissen schon« handeln würde. Wahrheit oder Fiktion? Aussagen wie diese verstärken zumindest den Verdacht, dass es sich bei dem »geplanten NPD Ferienhof« lediglich um eine fixe Idee handeln könnte.

Die Bürgermeisterin im benachbarten Visselhövede warf Häring in diesem Zusammenhang inzwischen Erpressung vor. «Er sei nur einer von vielen«, der versuche »den Staat auf diese Weise zu erpressen«, so die SPD Politikerin. Allerdings, so verhärtet die Fronten in der Gemeinde auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, besorgniserregend ist diese Entwicklung allemal und ist keineswegs auf das beschauliche Schwitschen beschränkt. Immer wieder hört und liest man von den Versuchen finanziell angeschlagener Gebäudeeigentümer_innen, welche ihre Immobilien mit Hilfe solcher Drohkulissen profitabel veräußern wollen. Das Rauschen im medialen Blätterwald schwillt mit brutaler Regelmäßigkeit bedrohlich an - sobald Kaufinteressen von Neonazis bekannt werden.


Preissteigerung mit braunen Gespenstern


Besonders aussagekräftig erscheint dabei der Name des Hamburger Rechtsanwaltes und NPD-Funktionärs Jürgen Rieger, der im Jahr 2004 zwei Gebäudekomplexe im niedersächsischen Dörverden sowie im thüringischen Pößneck erwarb. Rieger gilt seitdem als eifriger Sammler von Immobilien im gesamten Bundesgebiet um diese einer späteren Nutzung als neonazistische Schulungszentren zuzuführen, sowie als erfolgversprechender Garant für anschließende Berichterstattung. Nicht zuletzt aus diesem Grund brachten in der Vergangenheit einzelne Eigentümer_innen von unverkäuflich erscheinenden Immobilien ein mögliches Kaufinteresse des Hamburger Rechtsanwaltes ins Spiel. Eine dahinter liegende Rechnung ist simpel. Die Aussicht auf ein mögliches Schulungszentrum von Neonazis in den betroffenen Gemeinden, flankiert durch eine mitunter ausufernde Berichterstattung regionaler und überregionaler Medien, setzt die zuständigen Behörden massiv unter Druck.

Prominenteres Beispiel dafür sind die zurückliegenden Geschehnisse um einen Hotelkomplex im niedersächsischen Delmenhorst. Nachdem ein angebliches Kaufinteresse durch Jürgen Rieger an die Öffentlichkeit gelangte, setze sich eine bis dahin ungeahnte Pressemaschinerie in Gang. Der Druck auf die Stadt Delmenhorst wuchs beständig an, bis die Stadt das Gebäude schließlich für die stattliche Summe von rund 3 Millionen Euro erwarb. Wenig später berichteten Szeneaussteiger_innen, dass es sich in Delmenhorst um ein Scheingeschäft gehandelt haben soll. Rieger fiel dabei die Rolle des Druckmittels zu, die Stadt sollte dadurch bewegt werden, das Gebäude zu erwerben. Der Plan gelang und der Eigentümer habe Jürgen Rieger für sein Engagement schließlich 10 bis 15 Prozent der erzielten Kaufsumme übergeben. Dieses erfolgreiche und durchaus profitable Geschäftsmodell machte Schule. Seitdem drohen immer wieder Eigentümer mit möglichen Kaufinteressen von Neonazis. Spötter urteilen bisweilen, es sei bei der bisherigen Entwicklung nur eine Frage der Zeit, bis die ersten NPD-Wimpel auf Flohmärkten aufgebaut werden würden. Mit der Drohung, Jürgen Rieger oder die NPD habe ein Kaufinteresse an einer zerbrochenen Tasse geäußert, könne man dann für jegliche Art von angebotenem Trödel Preissteigerung betreiben und ungeheure Summen erzielen.


Soziale Demontage in der Dorfgemeinschaft Schwitschen


Die jüngsten Ereignisse in Schwitschen machen auch aus anderen Gründen nachdenklich. Die Drohung Wilfried Häring's ein NPD-Ferienheim zu errichten, erscheint vielmehr als ein Akt der Hilflosigkeit und als letzter katastrophaler Strohalm um die eigenen Interessen schlussendlich durchsetzen zu können. Die Frage, warum es in Schwitschen so weit kommen konnte drängt sich förmlich auf. Häring gehört in Schwitschen zur alteingesessen Bevölkerung und gilt als einer der größten Landbesitzer der Gemeinde. Seit Jahren versucht der Landwirt, bislang erfolglos einen Teil seiner Flächen einer anderen baurechtlichen Nutzung zuzuführen. Zuletzt scheiterte er an naturschutzrechtlichen Bedenken. Auf der anderen Seite scheinen diese behördlichen Bedenken bei einem angrenzenden Unternehmer, der im Gegensatz zu Häring sehr wohl Genehmigungen für Bebauungen erhielt, nicht angewendet worden zu sein. Aus Ärger und Frustration über die Entscheidungen führte Wilfried Häring inzwischen mehrere Gerichtsprozesse. Dies führte wiederum zur schrittweisen Isolation des Landwirtes.

»Auf dem Schützenfest kann sich Häring nicht blicken lassen«, so ein Anwohner auf die Frage nach der Integration des Landwirtes im Schwitschener Dorfleben. Häring hatte zuvor immer wieder auf Verschmutzungen im Schwitschener »Schweinekobenbach« hingewiesen und erregte dadurch allerlei Unmut. Den polizeilichen Ermittlungen aufgrund der tatsächlich stattgefundenen Verschmutzung folgten schnell behördliche Anordnungen gegen andere Schwitschener Landwirte. Daraufhin sollen diese Druck auf den Arbeitgeber Häring's ausgeübt haben, der Landwirt verlor seine Anstellung. Erst durch einem gewonnenen Gerichtsprozess konnte Häring seine vormaligen Arbeit wieder aufnehmen. Vielen im Dorf gilt Häring inzwischen als ewiger Starrkopf, der sich mit seinen Beschwerden gegen die Landwirte selbst ins soziale Abseits katapultiert habe. Doch so einfach ist die Angelegenheit wohl nicht. Die Situation innerhalb der Dorfgemeinschaft scheint dennoch verfahren, die Fronten verhärtet.

Die Zuspitzung entlud sich nun in Wilfried Häring's Ankündigungen »einen anderen Weg zu gehen« und neben einer NPD Ortsgruppe gleich noch einen »NPD Ferienhof« zu errichten. Durch die NPD und organisierte Neonazis hoffe er die Unterstützung zu erhalten welche ihm in seinem Umfeld bislang versagt blieb. In kindlicher Naivität scheint Häring der Neonaziszene einen ungeheuren Einfluss zuzusprechen. Für den im Juni anstehenden Gerichtsprozess, welcher über die Bewilligung der Baugenehmigung entscheiden soll »habe ich auch vor Gericht starke Leute im Rücken«, so Häring. Unterstützt von der NPD hoffe er das Urteil zu seinen Gunsten beeinflussen zu können. Inwieweit sich die Situation in Schwischen zuspitzen wird, hängt jetzt auch im weiteren Vorgehen der Dorfgemeinschaft ab. Die sich anbahnende Tragödie wird dadurch erschwert das Häring entschlossen scheint seinen »anderen Weg« fortzusetzen. Gemeinsame Gespräche werden dringend benötigt. Ansonsten könnte es Häring wie dem Zauberlehrling ergehen, der die Geister die er rief nicht mehr unter Kontrolle bekommt.