22.05.2009 / Kiew: Das Ziel lautet »Weltherrschaft für die Ukraine«

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Etwa 500 Anhänger_innen der osteuropäischen Neonaziszene marschierten am vergangenen 1. Mai durch die Straßen der ukrainischen Landeshauptstadt. Der Aufmarsch in Kiew stand im Zusammenhang mit gleichzeitig stattfindenden Neonazidemonstrationen in mehreren europäischen Ländern. Den weitaus größten Anteil an der Versammlung in Kiew stellten militante Mitglieder ukrainischer Neonazigruppen, doch auch aus Russland, Litauen und Weißrussland reisten Anhänger_innen in den osteuropäischen Flächenstaat. Wenige Wochen später fand nun mit dem »1. Groß-Ukrainische nationalsozialistische Kongress« ein weiteres Treffen der ukrainischen Neonaziszene mit dem Ziel »die Weltherrschaft« zu erobern in Kiew statt.

»Ruhm für die Ukraine« sowie «Oligarchen ans Messer« skandierten die angereisten Teilnehmer_innen im Herzen der Stadt. Die Bezeichnung »Oligarchen« bezieht sich dabei auf Vertreter der ukrainischen Regierung und des Parlaments. Forderungen die sich auch im weiteren Verlauf der Demonstration niederschlugen. »Die Regierung« sei der Feind des ukrainischen Volkes, so die einhellige Meinung in den Redebeiträgen am Ende der Demonstration. Der Aufmarsch an dessen Spitze ein Transparent mit der Parole »Kapitalismus – Sklaverei« und »Sozialismus – Freiheit« prangte, wurde schließlich durch das Endzünden mehrerer bengalischer Feuer medienwirksam beendet.

Der Neonaziaufmarsch in der ukrainischen Landeshauptstadt wurde unter der Schirmherrschaft mehrerer unabhängiger Neonazigruppierungen durchgeführt. In führender Position traten dabei vor allem die Anhänger_innen der sogenannten »Autonomen Nationalsozialisten« in Erscheinung. Man orientiere sich mit dem Aufmarsch an zahlreichen gleichzeitig stattfindenden Neonazidemonstrationen in ganz Europa, so die Veranstalter_innen in Kiew. Besonders hervorgehoben wurden in diesem Zusammenhang die Aktivitäten der deutschsprachigen, russischen und tschechischen Neonaziszene, zu denen in der Vergangenheit »intensivste Verbindungen« aufgebaut werden konnten. Bezüge zur deutschsprachigen sowie tschechischen Neonaziszene manifestierten sich vor allem in der Übernahme von derzeitigen Organisations- und Erscheinungsformen.Die »Autonomen Nationalsozialisten« sind innerhalb der ukrainischen Neonaziszene eine relativ moderne und organisatorisch bislang weitestgehend unbekannte Erscheinungsform. Deren zumeist jugendlichen Mitglieder orientieren sich dabei an den Anhänger_innen der sogenannten »Autonomen Nationalisten« in Deutschland und der Tschechischen Republik. Ähnlich wie in den Strukturen ihrer europäischen Vorbilder vollzieht sich demnach nun auch in der Ukraine ein Wandel innerhalb des militanten Neonazispektrums. Denn gerade im Bezug auf das Milieu jugendlicher Anhänger_innen scheint das Konzept der »Autonomen Nationalisten« in dem osteuropäischen Land auf fruchtbaren Boden zu fallen. Der nun am 1. Mai 2009 in Kiew stattgefundene Aufmarsches wurde zumindest durch das Erscheinungsbild der schwarz gekleideten und zum Teil vermummten Mitglieder der ukrainischen »Autonomen Nationalsozialisten« bestimmend geprägt.

An der Demonstrationen in Kiew nahmen ebenfalls Vertreter der neonazistischen Untergrundorganisation von »Blood & Honour« teil. In der Ukraine benutzt die Gruppierung, welche in mehreren europäischen Ländern verboten wurde, unter anderem die Bezeichnung »Bruderschaft 28«. Der Zahlencode steht für den zweiten und achten Buchstaben im Alphabet und gilt innerhalb der Szene als Synonym für »Blood & Honour«. Einen Tag nach der Demonstration in Kiew lud der ukrainische Ableger des international tätigen Netzwerks von »Blood & Honour« zu einem Neonazikonzert. Neben einschlägigen Musikgruppen wie »Antisystem« aus Moskau wurde das Konzert auch mit dem Auftritt der englischen Musikgruppe »Warlord« beworben.. Bei dem unter dem Pseudonym »Stigger« bekannten Sänger der Musikgruppe handelt es sich um den englischen Neonaziaktivisten Steve Calladine, ein ehemaliges Mitglied der Neonazirockband »Skrewdriver«, welche als Keimzelle von »Blood & Honour« gilt. Wenige Tage später veranstaltete nun die »Patrioten der Ukraine« eine weitere Veranstaltung im Herzen der ukrainischen Landeshauptstadt.


»New World Order« unter militärisch-kultureller Leitung der Ukraine


Die Veranstaltung der neonazistischen »Patrioten der Ukraine« (Vartovyy Derzhavy, VGO) stand allerdings unter keinem guten Stern. Schon vor Beginn des Treffens sollen nach Angaben der Veranstaltungsleitung etliche Anhänger_innen während ihrer Anreise von der Polizei festgenommen worden sein. Nach den Worten von Andrew Beletsky, seines Zeichens Vorsitzender der »Patrioten der Ukraine« könne der zweitägige Kongress dennoch als Erfolg gewertet werden. Nach seinen Angaben sollen sich unter den 70 angereisten Teilnehmer_innen neben den Mitgliedern der »VGO« auch Akademiker, rechtsradikale Intellektuelle und Vertreter religiöser Grupierungen befunden haben. Letztere sorgen nach Angaben der »Patrioten der Ukraine« für die dringend benötigte »spirituelle Komponente der Ideologie«. Die »Vernetzung der weißen Rassisten in Europa« sei den Worten des VGO-Vorsitzenden Beletsky folgend, die wichtigste Aufgabe welche sich »ukrainische Patrioten« widmen sollen. Den erst daraus »resultiere die Wiederbelebung der europäischen Nationen« so der Vorsitzende weiter.

Während sich solche Zielsetzungen ebenfalls bei anderen europäischen Neonaziorganisationen finden lassen, beinhaltet das politischen Programm der neonazistischen »Patrioten der Ukraine« auch einige grotesk anmutende Forderungen. Zu Erziehungszwecken plane man die Aufstellung von paramilitärischen Jugendverbänden unter »rassisch nationalen Gesichtspunkten«, denn gefördert »solle das rassisch wertvollste«, und dies sei nach übereinstimmender Ansicht der Gruppierung nun einmal der »weiße Mann«. Auch ein Verbot aller demokratischer Nachrichtenagenturen und Medien wird von den »Patrioten der Ukraine« gefordert. Im Falle einer »Machtergreifung« werde der nationalsozialistische Staat für die Versorgung der Bevölkerungsgruppen mit Informationen zuständig sein. »Meinungsmanipulationen« sollen damit der Vergangenheit angehören. Ähnlich imposant sind ebenfalls die außenpolitischen Pläne des VGO-Parteiprogrammes. Zur Durchsetzung der »europäisch-ukrainischen Vorherrschaft im eurasischen Raum« sei neben einer umfassenden Modernisierung der Streitkräfte die Anschaffung von Atomwaffen unerlässlich. Das »ultimative Ziel« der zukünftig ukrainischen Außenpolitik sei nichts geringeres als die Erringung der Weltherrschaft.

Der nun im Mai 2009 in Kiew stattgefundene Kongress der »Patrioten der Ukraine« diente nicht zuletzt der schrittweisen Vorbereitung jener hohen Ziele. Trotz der «Unausweichlichkeit unseres Sieges« wolle man als ersten Schritt zunächst eine »Offensive der Propaganda und Agitation« in dem osteuropäischen Land starten, so ein Vertreter der Organisation. Bereits wenige Tage später organisierte die Gruppierung in diesem Zusammenhang eine Kundgebung vor dem Parlamentsgebäude in Kiew. Unter dem Motto »Tod den Oligarchen« blockierten deren Anhänger_innen zeitweise die Zufahrt zum ukrainischen Regierungssitz. Eine Fortsetzung des einschlägigen Kongresses wurde inzwischen für den Spätsommer angekündigt. Man wolle weiterhin an »praktischen Lösungsansätzen« arbeiten, so die Veranstalter_innen während der Schlussberatungen. Ähnlich wie bei dem nun in Kiew stattgefundenen Kongress sollen dazu Vorträge und Diskussionsbeiträge ausgearbeitet werden. Dabei geht es nicht ausschließlich um ideologische Fragestellungen, wie der am vergangenen Wochenende in Kiew gehaltene Vortrag »Alkohol als wichtigste Waffe zur Zerstörung der Nation« anschaulich vor Augen führt. Inwieweit diese Waffe allerdings Einfluss auf das Parteiprogramm der »Patrioten der Ukraine« und deren außenpolitische Zielsetzung, inklusive der dort formulierten Welteroberungsplänen genommen hat, darüber schwieg sich der Vortrag allerdings aus.