25.05.2009 / Lüneburg: Der »Abfallhaufen der Geschichte« in Lüneburg

recherche-nord

Großes hatte man sich vorgenommen. Nachdem am 11.April 2009 ein Neonaziaufmarsch im niedersächsischen Lüneburg durch Einsatzkräfte der Polizei gestoppt und wenig später aufgelöst wurde, mobilisierte die Neonaziszene nun zu einer Neuauflage der Demonstration. Dem Aufruf der Veranstalter_innen »Gegen Behördenwillkür – Keine Blockade der Meinungsfreiheit« zu demonstrieren folgten am vergangenen Wochenende allerdings lediglich 117 Anhänger_innen. Für die Behörden der Stadt Lüneburg Grund genug einen kompletten Stadtteil abzuriegeln.

Die neuerliche Demonstration in Lüneburg wurde nach den Vorgängen des vorangegangenen Aufmarsches innerhalb der Neonaziszene als sprichwörtlicher »Akt der Revanche« beworben. Mehrere tausend Gegendemonstrant_innen hatten am 11.April 2009 gegen den Aufmarsch der Neonazis in Lüneburg demonstriert und zeitweise die Route blockiert. Nachdem eine alternative Ausweichstrecke von Seiten der Neonazis abgelehnt wurde, und die Situation zu eskalieren drohte, löste die Polizei den Aufmarsch kurzerhand auf. Daraufhin entwickelten sich turbulente Szenen in unmittelbarer Nähe des Lüneburger Hauptbahnhofes. Polizeibeamte wurden attackiert, mehrere gewaltbereite Neonazis kurzfristig in Gewahrsam genommen. Inzwischen ermitteln die Behörden in diesem Zusammenhang wegen Landfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Volksverhetzung sowie dem Verwenden verfassungsfeindlicher Symbolik.

Richtete sich der vorangegangene Aufmarsch noch »Gegen linke Gewalt«, so wurde nun die Behörden zum «aktuellen Feindbild« erklärt. Während dem Aufruf im April allerdings noch insgesamt 246 Neonazis folgten, verringerte sich die Anzahl der erneut angereisten Teilnehmer_innen deutlich. Mit lediglich 117 angereisten Unterstützer_innen konnte in Lüneburg seit einem Aufmarsch im Jahr 1999 die bislang kleinste Neonazidemonstration verzeichnet werden. Neben der Mobilisierung bereitete allerdings bereits die Anmeldung der Veranstaltung erhebliche Schwierigkeiten. Anfänglich planten die Organisator_innen die neuerliche Demonstration im Innenstadtbereich Lüneburgs stattfinden zu lassen. Zuvor angemeldete Gegenkundgebungen verhinderten dies jedoch erfolgreich. Die zuständigen Behörden verweigerten der Neonazidemonstration schließlich die ursprünglich angedachte Demonstrationsroute und verlegten den Aufmarsch schlussendlich in den Lüneburger Stadtteil Neu Hagen.

Angemeldet hatte die Veranstaltung wie bereits am 11. April 2009 der Lüneburger Neonazi Christian Sternberg aus dem Umfeld der militanten »Kameradschaft Lüneburg Sturm 16«. Dieser betreibt nahe der Lüneburger Innenstadt das »nationale Bekleidungsgeschäft Hatecore«, in welchem einschlägige Musik und szenetypische Accessoires erworben werden können. Sternberg wird dem Umfeld des sogenannten »Netzwerk Nord« zugerechnet, einem organisatorischen Zusammenschluss organisierter Neonazis in Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen sowie dem westlichen Mecklenburg-Vorpommern. Mit der rechtliche Durchsetzung der Veranstaltung wurde hingegen der Hamburger Neonazi Christian Worch beauftragt. Bevor sich der Aufmarsch am vergangenen Wochenende schließlich in Bewegung setze, wurden die Veranstalter_innen allerdings mit erneuten Schwierigkeiten konfrontiert. Gegen zwei der angereisten Teilnehmer_innen wurden polizeiliche Ermittlungsverfahren wegen Verwendens verfassungsfeindlicher Symbole eingeleitet, gegen eine weitere Person gar wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz. Sichtliche Probleme bestanden ebenfalls bei der Auswahl von Ordnerkräften des Demonstrationszuges. Mit Hinblick auf das jeweilige Vorstrafenregister wurden etliche der ursprünglich angedachten Ordnerkräfte durch die Behörden abgelehnt.

Der weitere Aufmarsch in dem polizeilich abgeriegelten Stadtteil fand anschließend ohne nennenswerte Zwischenfälle statt. Neben regionalen Neonaziaktivist_innen reisten Mitglieder der »Freien Kräfte Osterholz«, der »Kameradschaft Hildesheim«, »Freien Nationalisten Bremen«, «Kameradschaft Celle 73«, des »Aktionsbüros Norddeutschland«, der »Snevern Jungs« sowie Mitglieder des niedersächsischen Landesverbandes der »Jungen Nationaldemokraten« zu der Demonstration. Auch aus dem nördlichen Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern kamen Unterstützer_innen in die ehemalige niedersächsische Salzstadt. Der Demonstrationszug endete schlussendlich wo er ursprünglich begann. Während der Abschlusskundgebung ergriffen dann Christian Worch sowie das Führungsmitglied der »Kameradschaft Hildesheim«, Dieter Riefling das bereitgestellte Mikrophon. Riefling machte er aus seiner Verehrung für das Dritte Reich keinen Hehl und forderte lautstark, die »vorübergehende Organisationsform namens BRD« auf den »Abfallhaufen der Geschichte« zu befördern.

Die Veranstaltung selbst wurde begleitet durch ein massives Polizeiaufgebot. Die Bewegungsfreiheit in dem durch zahlreiche Absperrungen abgeriegelten Stadtteil Neu Hagen wurde dabei erheblichen Einschränkungen unterworfen, wie Gegendemonstrant_innen und Bewohner_innen im Anschluss an die Veranstaltung beklagten. Insgesamt beteiligten sich rund 1000 Menschen an den Gegenprotesten im Lüneburger Innenstadtbereich. Beobachter_innen rechnen derweil mit weiteren Demonstrationen der Neonaziszene in Lüneburg. Ziel sei es, aus Solidarität mit dem Ladengeschäft von Christian Sternberg sowie als benötigter Beweis der eigenen Handlungsfähigkeit einen entsprechenden Aufmarsch im Innenstadtbereich von Lüneburg durchzuführen. In Anbetracht der nun erzielten Anzahl von Teilnehmer_innen ein »durchaus waghalsiges Unterfangen«, höhnten bereits Teile der Protestbewegung.