20.06.2009 / Hannover: Treffen des »Stammtisch Nationale Kräfte« in Hannover

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Am vergangenen Freitag fand in der niedersächsischen Landeshauptstadt der sogenannte »Stammtisch Nationale Kräfte« (SNK) statt – ein monatliches Treffen der niedersächsischen Neonaziszene. Die Veranstaltung war einmal mehr hochkonspirativ organisiert. Abseits einer vielbefahrenen Straße, auf dem Parkplatz einer Fast-Food-Kette in Hannover-Wülfel befand sich der Schleusungspunkt. Erst hier erfuhren die anreisenden Teilnehmer_innen den eigentlichen Ort der Zusammenkunft. Unbegründet waren die Sicherheitsvorkehrungen nicht, besaß das Treffen doch politische Brisanz.

Der spätere Veranstaltungsort des »Stammtisches« befand sich rund zwei Kilometer entfernt. Etwa zwei Dutzend Neonazis fanden sich im Verlauf der Abendstunden in den nahegelegenen Räumlichkeiten der Gaststätte Hubertus in Hannover Laatzen ein. Für die Betreiber ein ganz normaler Abend, denn über den politischen Hintergrund der Gäste herrschte bis zuletzt Unkenntnis. In einer zuvor verbreiteten Einladung der Veranstaltung hatten die Organisatoren des »Stammtisches« großen Wert auf unauffälliges Outfit gelegt. »Aufgrund der Problematik für uns als Nationalisten im Großraum Hannover Räumlichkeiten für Veranstaltungen zu finden, bitten wir euch zur Veranstaltung politisch neutral gekleidet zu erscheinen!«. In der Vergangenheit hatte der »Stammtisch« immer wieder für Schlagzeilen gesorgt, so auch im November 2006. Damals trafen sich die Neonazis im Vereinsheim des Bundesligisten Hannover 96. »Nicht zum ersten Mal«, wie Maren Brandenburger, Pressesprecherin des niedersächsischen Verfassungsschutzes damals auf Nachfrage einräumte.

Seitdem waren die konspirativen Treffen, zu denen bis zu 80 Teilnehmer_innen zusammenkommen, mehrfach bekannt geworden. So zum Beispiel in Langenhagen, Garbsen, Hannover-Vinnhorst oder auch im »Deutschen Haus« in Seelze-Dedensen. Die Betreiber_innen von Gaststätten im Großraum Hannover scheinen nun durch die Berichterstattung sensibilisiert, mehrere Treffen mussten die Neonazis daraufhin vorzeitig abbrechen. Wirte informierten die Polizei welche die Neonazis vor die Tür setzten. Der Gefährdung ihrer monatlichen Treffen bewusst legten die Veranstalter nun ein gesteigertes Augenmerk auf unauffälliges Erscheinungsbild. Der Argwohn der Gaststättenbetreiber_innen und ein daraus resultierender vorzeitiger Abbruch der Veranstaltungen sollte so verhindert werden. »Wir zweifeln an der geistigen Reife von Leuten, die ihr Rechtsrockgroupie-Erscheinungsbild aufgrund der derzeitigen Lage nicht ablegen können«, so die mahnenden Worte im Einladungsschreiben des »Stammtisches«.

Die monatlich stattfindenden Treffen gelten längst als wichtige Knotenpunkte der Neonaziszene in Hannover und dem übrigen Niedersachsen. Hier tauschen die militanten »Überzeugungstäter« Demonstrationstermine aus, planen Strategien und Aktionen. Der »Stammtisch Nationale Kräfte« in Hannover wird dabei gemeinsam von der NPD-Hannover und parteiunabhängigen »Freien Kräften« organisiert. Neben diesem Treffen finden allerdings auch andere »Stammtische« im Flächenland Niedersachsen statt. Vernetzungstreffen wie beispielsweise der »Stammtisch Nord«, ein regelmäßig stattfindendes »Arbeitstreffen« im Norden Niedersachsens. Zu den monatlichen Treffen reisen Neonazis aus mehreren Bundesländern an. Während einer Veranstaltung im August 2007 im niedersächsischen Reppenstedt waren Neonaziaktivisten aus Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, und Hamburg zugegen.

Neben den überregionalen finden auch regional begrenzte Koordinierungstreffen, wie beispielsweise der »Stammtisch Hildesheim«, statt. Bei einem der Hauptinitiatoren des Hildesheimer Treffens handelt es sich um Dieter Riefling aus dem niedersächsischen Alfeld. Ein Führungsaktivist der Neonaziszene mit einer ebenso langen wie umtriebigen Karriere. So war Riefling ein Mitglied der 1995 verbotenen »Freiheitlichen Arbeiterpartei« (FAP) und gehört heute zu den Anführern der »Nationalen Sozialisten Niedersachsen«, einem organisatorischem Zusammenschluss der parteiunabhängigen Neonaziszene in Niedersachsen. Gruppierungen wie die als gewaltbereit geltende »Kameradschaft Celle 73«, die »Snevern Jungs« oder auch die »Kameradschaft Lüneburg – Sturm 16« finden sich in diesem Dachverband zusammen. Riefling gilt als »Hetzprediger« der Szene. So schwärmt der NPD-Kandidat der vorangegangenen niedersächsischen Landtagswahl in seinen Redebeiträgen regelmäßig von einer »kommenden Machtergreifung« und fordert, wie nun zuletzt während eines Neonaziaufmarsches am 23.05.2009 im niedersächsischen Lüneburg, die »vorübergehende Organisationsform namens BRD« auf den »Abfallhaufen der Geschichte« zu werfen. Riefling verschickte nun auch das Einladungsschreiben des am vergangenen Freitag in Hannover stattgefundenen »Stammtisches«.

Auch Marc Oliver Matuszewski aus Hannover gehört zum organisatorischen Kreis des monatlichen Vernetzungstreffens. Ebenso wie Riefling wird Matuszewski, welcher auch als Ansprechpartner der »Nationalen Hochschulgruppe Hannover« in Erscheinung tritt, dem harten Kern der »Nationalen Sozialisten Niedersachsen« zugerechnet und ist seit Jahren fester Bestandteil der norddeutschen Neonaziszene. Gemeinsam mit Danny Subke aus dem nahegelegenen Misburg betreibt der NPD-Aktivist Matuszewski das einschlägige Internetportal der »Nationalen Sozialisten Niedersachsen«, welches als inoffizielles Kontaktformular des »Stammtisch Nationaler Kräfte« gilt. Als führender Vertreter der Neonaziszene Hannovers gehörte er ebenso zu den Versammlungsleitern eines geplanten Neonaziaufmarsches am 1. Mai 2009 in der niedersächsischen Landeshauptstadt. Die Demonstration wurde wegen befürchteter gewalttätiger Auseinandersetzungen im Vorfeld durch den Hannoveraner Polizeipräsidenten verboten.

Ursprünglich wurde der »Stammtisch Nationale Kräfte« (SNK) von langjährigen Mitgliedern der NPD-Hannover wie Gerrit Gagelmann organisiert. Nachdem die Aktivitäten des NPD-Unterbezirk im Jahr 2006 zunehmend stagnierten und sich ältere Mitglieder zurückzogen, übernahmen Neonazis wie Matuszewski oder auch der Hannoveraner Neonazi Ronny Damerow die Organisation der »Stammtische« und bauten es in der Folgezeit zu einem der wichtigsten Neonazitreffen im Herzen Niedersachsens aus. Damerow wirkt im Rahmen des »Stammtisches« zumeist im Hintergrund, zählt aber dennoch zu den treibenden Kräften. Wenn Neonazis aus Hannover zu politischen Aufmärschen reisen übernimmt Damerow zumeist die Koordinierung. Gänzlich zurückgezogen hat sich die vormalige Leitung der NPD-Hannover jedoch nicht. Am vergangenen Freitag gehörte auch Gerrit Gagelmann zu den anreisenden Teilnehmer_innen, die sich auf dem Parkplatz der Fast-Food-Kette die letzten Instruktionen zu der Veranstaltung holten.

Zum Rahmenprogramm des »Stammtisches« gehören immer wieder politische Vorträge und Referate, aber auch »musikalische Begleitung«. So soll die einschlägige »nationale Liedermacherin« Annett Müller aus Bad Lauterberg dort ebenso aufgetreten sein wie zuvor das mehrfach vorbestrafte NPD-Bundesvorstandmitglied Thorsten Heise aus dem thüringischen Fretterode. Während einer Veranstaltung im Vereinsheim von Hannover 96 mit dem Hamburger Rechtsanwalt und stellvertretenden NPD-Bundesvorsitzenden Jürgen Rieger soll es sogar zu Handgreiflichkeiten gekommen sein. Militante Neonazis sollen dabei einen Trainer des Fußballvereins attackiert haben. Auch das nun stattgefundenen Treffen sollte ursprünglich durch ein Referat eröffnet werden. Man wollte sich mit der »Historie des deutschen Afrikafeldzuges (1940-1943) beschäftigen«. In dem Einladungsschreiben von Dieter Riefling hieß es dazu folgendermaßen »Unser diesmaliger Referent nahm an diesem im deutschen Afrikakorps selbst teil. Er verdient sich in den Kämpfen in Afrika als blutjunger Soldat bereits mit 19 Jahren das Ritterkreuz«.

Wenn man den Ausführungen von Riefling Glauben schenken darf, handelte es sich bei dem angekündigtem Referenten um niemand geringeres als den heutigen Vorsitzenden der »Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger« (OdR) Günter Halm aus Bad Münder. Der 1922 geborene Halm gilt in Bad Münder als angesehener Bürger und wurde vielfach für seine ehrenamtliche Tätigkeit ausgezeichnet. So nennt Halm unter anderem die goldene Ehrennadel des Landessportbundes Niedersachsen, die silberne Stadtmedaille von Bad Münder sowie den Ehrenbrief des Deutschen Turnerbundes sein Eigen. 1995 wurde Halm sogar mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Daneben ist der Rentner Namenspatron der »Reservistenkameradschaft 14 – Günter Halm« im »Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e. V.«. Doch aus dem geplanten Vortrag von Günter Halm wurde nichts. Nachdem das Treffen des »Stammtisches« im Vorfeld ruchbar geworden war sagte man das Referat kurzerhand ab, da man dem inzwischen 86jährigen Halm einen möglichen Polizeieinsatz »nicht zumuten« wollte. Wie sich im Nachhinein herausstellte war Halm über die politischen Hintergründe der Veranstaltung im Unklaren gelassen worden.

Eine Sorge welche sich als unbegründet erweisen sollte. Der nun stattgefundene »Stammtisch Nationaler Kräfte« wurde bereits nach drei Stunden gegen 22:56 Uhr für beendet erklärt. Zwar wurde das Treffen von Einsatzkräften der Polizei beobachtet, diese unterließen jedoch ein Einschreiten. Der nächste Termin des »Stammtisches Nationaler Kräfte» in Hannover könnte indes bereits feststehen. Regelmäßig kommen die Neonazis am ersten Freitag des Monats zusammen. Dort werde man sich, wie es in dem vorangegangenem Einladungsschreiben heißt, wieder verstärkt einer »Diskussion der politischen Weiterentwicklung« widmen. Zumindest bei der zukünftigen Ortswahl scheint diese »Weiterentwicklung« nun dringend erforderlich.