23.06.2009 / Ungarn: »Grundausbildung für den Bürgerkrieg in Ungarn«

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»Junge ungarische Nationalisten zwecks militärischer Grundausbildung gesucht«. Mit diesen Zeilen bewirbt die militante »Ungarische Nationale Front« ein für den kommenden Juli geplantes paramilitärisches Ausbildungslager der ungarischen Neonaziszene. Bereits Anfang Mai bewarb die »Ungarische Nationale Front« (Magyar Nemzeti Arcvonal – MNA) ein ähnliches Lager. Die uniformierte und schwer bewaffnete Anhängerschaft der Gruppierung trainierte dort für den Ernstfall. Granatwerfen, Nahkampf sowie der Umgang mit Schusswaffen standen auf dem Programm, denn in dem öffentlich beworbenen Waffenlager sollten »praktische, militärische Grundkenntnisse« vermittelt werden.

Aus ihrer politischen Zielsetzung macht die militante Organisation dabei kein Geheimnis. »Ungeeignet und unwürdig« sei die Ungarische Regierung, ein Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung stehe kurz bevor. Auf die Zeit des Umbruchs wolle man sich demnach vorbereiten. Offen wurde das vorangegangene militärische Ausbildungslager im Internet beworben. Ausgerichtet wurde das paramilitärische Treffen durch den »Wanderfalken«, eine Jugendorganisation der »Ungarischen Nationalen Front«, welche gleichzeitig als der »militärische Arm« der Gruppierung in Erscheinung tritt. »Im militärischen Geiste« wolle man die Jugendlichen erziehen, dafür stünde ein zentrales Ausbildungslager bereit. Auch ein spezielles Ausbildungsprogramm im Umgang mit Waffen für weibliche Unterstützerinnen wurde angeboten. »Erfahrene Mitglieder« der Gruppierung vermittelten im Verlauf der Zusammenkunft die »Grundlagen der Waffentechnik«, des Schießens mit scharfer Munition sowie der Überwindung von Hindernissen. Militärischer Drill gehörte ebenso zum Trainingsprogramm wie das Einüben von speziellen Wurftechniken für den Einsatz von Granaten und die Grundlagen von Nahkampfttechniken.

Ziel des Ausbildungsprogramms ist die Aufstellung paramilitärischer Einheiten in dem EU-Mitgliedsland. Die »Ungarische Nationale Front« sieht sich dabei in Opposition zur derzeitigen Regierung unter Ministerpräsident Gordon Bajnai. Dieser hatte erst im April 2009 die Regierungsgeschäfte übernommen nachdem sein Vorgänger Ferenc Gyurcsán auf dem bisherigen Höhepunkt der wirtschaftlichen Krise in Ungarn und anhaltender regierungsfeindlicher Demonstrationen in der Hauptstadt Budapest sein Amt niedergelegt hatte. Bei den heftigen Ausschreitungen im Verlauf der wochenlangen Proteste standen zahlreiche Mitglieder rechtsradikaler und neonazistischer Gruppierungen in vorderster Front und lieferten sich Straßenschlachten mit Sicherheitskräften und der Polizei. Die »Ungarische Nationale Front« ist allerdings nur eine von dutzenden neonazistischen Splittergruppen, welche gemeinsam mit rechtsradikalen Parteien die in ihren Augen »jüdische Interessenspolitik« der »verweichlichten« ungarischen Regierung bekämpft und destabilisiert.

Der Name »Ungarische Nationale Front« (Magyar Nemzeti Arcvonal- MNA) steht dabei für eine der ältesten neonazistischen Gruppierungen Ungarns. Im Jahr 1989 offiziell gegründet versteht sich die Gruppe als legitime Nachfolgeorganistin der »Hungarista Bewegung«. Diese nationalsozialistische Bewegung ist ihrerseits aus der 1935 gegründeten »Partei des nationalen Willens« entstanden und wurde später unter der Bezeichnung »Pfeilkreuzer« über die Grenzen Ungarns hinaus durch begangene Verbrechen berühmt und berüchtigt. Nachdem Ungarn im Jahr 1944 durch Wehrmachtsverbände des nationalsozialistischen Deutschland besetzt wurde, kollaborierten die »Pfeilkreuzer« mit den Besatzer_innen und übernahmen die Regierungsgeschäfte in dem osteuropäischen Land. Nach ihrer Machtübernahme ermordeten deren uniformierten Mitglieder in einer Terrorwelle zehntausende jüdische Bürger_innen. Hunderttausende wurden bis zum Sturz der Regierung gewaltsam deportiert und fielen den Konzentrations- und Vernichtungslagern des nationalsozialistischen Regimes zum Opfer.

Für die »Ungarische Nationale Front« kein negativer Makel. »Entschiedenes Vorgehen gegen Zigeuner und jüdische Lebensart« lautet eine der Voraussetzungen welche die zahlreichen Anhänger der Organisation erfüllen müssen. Ähnlich wie im Mai 2009 plant die »Ungarische Nationale Front« nun im Juni ein erneutes paramilitärische Ausbildungslager. »Unter anderem werden Themen wie Grundlagen des Gefechts, Nahkampf, Waffenkenntnisse, Stärkung der Ausdauer usw. theoretisch und praktisch behandelt.«, heißt es in der Bewerbung der Veranstaltung. »Homosexuelle, Zigeuner und Juden ist eine Teilnahme verwehrt«, so die ungarische Neonaziorganisation auf ihrer Internetseite. Dort wirbt die Gruppe auch mit einem Werbefilm für das neuerliche Lager. Die Paramilitärs der »Ungarische Nationale Front« präsentieren in dem veröffentlichten Video ihr Trainingsprogramm. Bewaffnete Einheiten stürmen Gebäude und üben sich in nächtlichen Kommandoaktionen. Die Gefahr in Ungarn wächst, das nun die anhaltenden, zum Teil gewaltsamen Aktionen auf der Straße in der Zukunft durch eine eventuelle Beteiligung militärischer Gruppierungen ergänzt werden könnte. Dennoch, die Präsenz neonazistischer Paramilitärs in dem Mitgliedsland der Europäischen Union findet in den Verlautbarungen der ungarischen Regierung bislang keine Erwähnung.