30.07.2009 / Delmenhorst: Gerichtsverhandlung mit Begleitprogramm

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Am gestrigen Mittwoch, den 29.7.2009, fand vor dem Amtsgericht Delmenhorst ein Prozess gegen zwei Aktivisten der neonazistischen Szene in Delmenhorst statt. Beiden Beschuldigten wurde Sachbeschädigung vorgeworfen. Einer der Angeklagten musste sich darüber hinaus wegen unerlaubten Waffenbesitzes verantworten. Außerhalb des Gerichtsgebäudes wurde gleichzeitig, mittels einer Kundgebung auf die Umtriebe der lokalen Neonaziszene hingewiesen. Auch etliche Neonazis aus Delmenhorst und Bremen zog es anlässlich des Gerichtstermins in die niedersächsische Kreisstadt.

Während der Verhandlung stellte sich folgender Ablauf dar: In der Nacht des 29.7.2008 wurde ein Gruppe von drei Personen -2 Männer und eine Frau- von Passant_innen beim Verkleben von Propagandaaufklebern beobachtet. Besagte Aufkleber, auf denen sich neben ideologisch eingefärbten Inhalten wie »100% Volksgemeinschaft« oder Kampfansagen wie »Holen wir uns die Stadt zurück« auch Webadressen der neonazistischen »AG-Delmenhorst« (Aktionsgruppe Delmenhorst) und der »NaSo-N« (Nationale Sozialisten Niedersachsen) befanden, wurden zum Teil flächendeckend auf Laternenpfähle, Zigarettenautomaten und Verkehrsschilder hinterlassen. Die Polizei sprach in diesem Zusammenhang von einer Anzahl im 3stelligen Bereich. Etwa eine Stunde später wurden die beiden Männer und die Frau von der gleichen Passantengruppe erneut beobachtet. Während einer der Passanten daraufhin die Polizei verständigte, sprachen die anderen beiden die Dreiergruppe an.

Die Reaktion der Angesprochenen kam ebenso unerwartet wie brutal. Einer der jungen Männer zog unvermittelt eine Reizgasflasche aus seiner Tasche und attackierte die Passant_innen. Der inzwischen eingetroffenen Polizei gelang es dann wenig später auf einem nahegelegenen Parkplatz die beiden männlichen Angreifer festzusetzen. Bei der Durchsuchung ihres Autos wurden im Handschuhfach weiteres Propagandamaterial beschlagnahmt. Ein Zeuge konnte später auf Fotos einen der Täter identifizieren. Da es in den vorangegangenen Monaten in Delmenhorst bereits fünf ähnliche Klebeaktionen mit je über tausend Aufklebern gegeben hatte, erreichte die Polizei vor Gericht Durchsuchungsbeschlüsse für die Wohnungen der beiden Verdächtigen. Die Beamten wurden fündig. Neben größeren Mengen neonazistischer Propagandaaufkleber wurde auch ein Schlagring bei einem der Beschuldigten sichergestellt.

Beide Angeklagten machten von ihrem Recht auf Aussageverweigerung im Falle der Sachbeschädigung Gebrauch und das Gericht stützte sich auf die Aussagen der insgesamt vier Zeugen. Gegen Kevin Boeck waren in den Jahren 2006 bis 2008 bereits fünf Verfahren anhängig, unter anderem wegen Volksverhetzung, Verwenden verfassungsfeindlicher Symbole, Verletzung des Urheberrechts und Beleidigung. Der Beschuldigte Niklas Brunkhorst, dem von der Jugendgerichtshilfe Ablösungsversuche aus der neonazistischen Szene attestiert wurden, hat bereits ein Verfahren wegen Verstoß gegen das Waffengesetz hinter sich. Trotzdem plädierten die beiden Verteidiger auf Freispruch, da sie die Tatbeteiligung ihrer Mandanten als nicht bewiesen ansahen. Dem widersprachen der Staatsanwalt und im Weiteren auch der Richter vehement. Der Verteidiger von Niklas Brunkhorst verstieg sich sogar zu der Behauptung, dass sein Mandant von den Zeugen, die er als Angehörige der linken Szene bezeichnete, verfolgt worden wäre.

Der Richter wies in seiner Urteilsverkündigung daraufhin, dass es wohl schwer vorstellbar sei, dass die beiden Angeklagten kurz nach Mitternacht aus ihren Wohnorten Ganderkesee und Wildeshausen nach Delmenhorst kämen, um dort spazieren zu gehen. Da er es auf Grund der übereinstimmenden und präzisen Aussagen von Tatzeug_innen und ermittelnden Beamt_innen sowie den Funden der Haussuchungen als erwiesen ansah, dass beide die Sachbeschädigungen in einem Gesamtschadenswert von über 3000,- Euro begangen haben, verurteilte er Kevin Boeck zu 50 Arbeitsstunden und Niklas Brunkhorst zu 250,- Euro Geldstrafe. In den Schlusssätzen gab das Gericht dem Angeklagten Boeck deutlich zu verstehen, dass dieser im Falle eines weiteren Verfahrens mit weitaus härteren Strafen zu rechnen habe, unter anderem deshalb, weil bei ihm während des Prozesses keinerlei Reue oder Einsicht zu bemerken war.

Außer von ihren Anwälten und einem Vertreter der Jugendgerichtshilfe wurden die beiden Beschuldigten von einer größeren Gruppe Neonazis aus Delmenhorst und Bremen ins Gericht begleitet. Schon kurz nach 8 Uhr sammelte sich diese, darunter Gerry Bakker und Simon Lahusen aus dem Umfeld der Bremer Hooligangruppe »Standarte Bremen« und der »Freien Nationalisten Bremen«, in den nahegelegenen Graftanlagen und betrat kurz danach das Gerichtsgebäude. Gegen 9.30 Uhr versammelten sich auf dem gegenüber liegenden Bismarckplatz etwa 40 Teilnehmer_innen einer antifaschistischen Kundgebung. In Redebeiträgen und einem Flugblatt wurde auf die zunehmenden Übergriffe, Bedrohungen und Aktivitäten der Delmenhorster Neonaziszene hingewiesen. Nach Beginn der Kundgebung verließen die Delmenhorster Neonazis Mario Müller und Julian Monaco das Gerichtsgebäude und versuchten anschließend die Kundgebungsteilnehmer_innen zu fotografieren. Als diese daraufhin die Neonazis aufforderten das Fotografieren einzustellen, kam es zu Wortgefechten und einem Handgemenge, in dessen Verlauf der Delmenhorster Neonaziaktivist Mario Müller einen mitgeführten Karabinerhaken zum Schlagring umfunktionierte. Zum Einsatz kam der Schlaggegenstand nicht. Polizeikräfte griffen in das Geschehen ein und leiteten die Neonazis kurzerhand zurück in das Gerichtsgebäude.

Müller war es auch, der gemeinsam mit einem weiteren Delmenhorster Neonazi die beiden Angeklagten in den Gerichtssaal begleiten durfte. Da für den Rest des militanten »Begleitschutzes« der Platz in dem Gerichtssaal nicht ausreichte, verließen die übrigen Neonazis das Gericht. Draußen wurden sie von der Polizei zu einem wenige hundert Meter entfernten Platz gebracht, wo sie auf den Ausgang des Gerichtsverfahrens warteten. Diese Wartezeit mittels einer schwarz-weiß-roten Fahne in eine Mahnwache umzuwidmen, geriet zum zwischenzeitlichen Flop. Vorübergehende Passant_innen zeigten sich eher erschreckt als interessiert, vor allem da sich der überwiegende Teil der Neonazis vermummt hatte. Als sich nach der Urteilsverkündigung auch die anderen vier Neonazis, darunter auch der im Gericht als »Aussteiger« präsentierte Niklas Brunkhorst, der Gruppe angeschlossen hatten, wurde den Neonazis der weitere Weg in die Innenstadt durch die Polizei verwehrt. Ein anscheinend noch Minderjähriger wurde daraufhin von seiner Mutter abgeholt.