19.08.2009 / Berlin: Anklage gegen „European Brotherhood Radio“ erhoben

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Nun ist es amtlich. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen die Betreiber_innen des neonazistischen Internet-Radios „European Brotherhood Radio“ eröffnet. Den sieben Männer und Frauen wird Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Verstoß gegen das Waffengesetz sowie Anstiftung zum Rassenhass und Volksverhetzung vorgeworfen. Unter den Angeklagten befindet sich auch eine ehemalige Mitarbeiterin des niedersächsischen Verfassungsschutzes.

Im März 2009 wurde der Betrieb des einschlägigen Internet-Radios eingestellt. Bis dahin galt das sogenannte „European Brotherhood Radio“ (EBR) als Geheimtip der militanten Neonaziszene. Antisemitische Hetzparolen und Aufstachelung zum Rassenhass bestimmten den 24stündigen Programmablauf. Die Moderator_innen, welche unter Pseudonymen wie „K.Nackentod“, R.Rassenhass“ oder auch „Sensenmann88“ in Erscheinung traten, versorgten ihre Höhrer_innen mit volksverhetzender „Begleitmusik zu Mord und Totschlag“. Strafrechtlich relevante Titel europäischer Neonazibands erfreuten sich dabei besonderer Beliebtheit. Die Moderator_innen machten aus der ideologischen Zielsetzung kein Geheimnis. So kommentierten sie die Sendungen mit Parolen aus der Zeit des dritten Reiches, verlasen antisemitische Reden und glorifizierten offen das NS-Regime. Verbrechen wie die systematische und industriell betriebene Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in Europa, durch die Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten wurden hingegen geleugnet.

Zum vielfältigem Angebot des neonazistischen Internetradios, das bis zum Jahr 2005 unter der Bezeichnung „White Nation Online Radio“ auf Sendung ging, gehörte neben umfangreichen NS-Propagandamaterialien auch die frei zugängliche Bereitstellung von detaillierten Anleitungen zur Herstellung von diversen Sprengmitteln. Im März 2009 wurden das Radio dann ausgehoben. Unter Leitung der Staatsanwaltschaft Berlin durchsuchten Einsatzkräfte der Polizei die Wohnräume von mutmaßlichen Programmmacher_innen in Niedersachsen, Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein. Ein 29jähriger der als Mitbegründer des Internet-Radios galt, wurde in den Abendstunden des gleichen Tages in Nordrhein-Westfalen, nahe der niederländischen Grenze festgenommen. Die sechs Beschuldigten, darunter zwei Frauen, im Alter zwischen 19 und 36 Jahren wurden in Untersuchungshaft genommen. Umfangreiches Beweismaterial, darunter Computer, Datenträger, CD's und Waffen wurden im Zuge der Polizeirazzia sichergestellt. Laut Angaben der Polizeibehörden konnten der Vereinigung über 250 Straftaten zugerechnet werden.

Ein besonderes Interesse an dem nun anstehenden Gerichtsprozess dürfte dem niedersächsischen Verfassungsschutz zufallen. Bei zumindest einer, der im März 2009 festgenommenen Moderator_innen handelt es sich um eine damalige Mitarbeiterin der Geheimdienstbehörde. Dabei handelt es sich um die langjährige Neonaziaktivistin Sandra Franke aus dem niedersächsischen Soltau. Die ursprünglich aus Baden-Württemberg stammende Neofaschistin bewegte sich über Jahre hinweg in den Strukturen der militanten und parteiunabhängigen Neonaziszene in Norddeutschland. So trat die spätere Administratorin des „European Brotherhood Radios“ immer wieder im Zusammenhang mit der „Kameradschaft Snevern-Jungs“ (Schneverdingen) und der „Kameradschaft 73 Celle“ in Erscheinung. Nach internen Streitigkeiten verließ Franke deren Zusammenhänge und engagierte sich in der Folgezeit im Umfeld der „Autonomen Nationalisten Soltau“. Nach einem kurzen Intermezzo in den Strukturen der „Autonomen Nationalisten“ gründete die umtriebige Neonazistin eine Ortsgruppe der „Deutschen Volksunion“ (DVU). Doch auch im World-Wide-Web kann Sandra Franke auf eine ebenso einschlägige wie langjährige Karriere zurückblicken. Als Moderatorin der neonazistischen Internet-Kontaktbörse „Odin's Kontaktanzeigen“ verfügte Franke über hinreichende Qualifikationen und Verbindungen für ihre späteren Tätigkeiten beim „European Brotherhood Radio“.

Verbindungen welche die Neonaziaktivistin auch für den Verfassungsschutz interessant machte. Unter dem Decknamen „Doris König“ hatte Franke spätestens seit Herbst 2007 für den Verfassungsschutz in Hannover gearbeitet Für ihre Tätigkeiten habe sie, Behördenangaben zufolge, monatlich rund 300 Euro plus Reisespesen erhalten. Das letzte gemeinsame Treffen mit ihrer Verbindungsbeamtin „Heidi“ soll zuletzt drei Tage vor ihrer Verhaftung im März 2009 stattgefunden haben. Über Frankes Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem „European Brotherhood Radio“ (EBR) zeigte sich das niedersächsische Amt für Verfassungsschutz im März 2009 ahnungslos. Man habe die „Vertrauensperson“ Sandra Franke erst als Quelle abgeschaltet nachdem ihre EBR-Tätigkeiten öffentlich bekannt geworden seien. Zu diesem Zeitpunkt hatte Franke bereits Bauanleitungen für Rohrbomben und Rezepte zur Herstellung eines napalmähnlichen Brandstoffes in dem Portal des „Internet-Radios“ veröffentlicht. Die Verbindungen des niedersächsischen Verfassungsschutzes, zu ihrer ehemaligen Mitarbeiterin werden auch bei dem in Berlin anstehenden Gerichtsprozess gegen die Betreiber des „European Brotherhood Radios“ eine Rolle spielen. Auch der Verfassungsschutzchef Niedersachsens solle nun als Zeuge geladen werden.