22.08.2009 / Kosovo: Zwischenfälle im Kosovo – Angriffe auf Roma

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Ein am vergangenen Dienstag, den 18.08.2009 veröffentlichter Bericht der Menschenrechtsorganisation „Chachipe e.V.“ wirft ein beunruhigendes Licht auf die Situation der Roma-Minderheit im Kosovo. So soll es zu einer Reihe von ernsthaften Zwischenfällen in Gnjilane, im Osten des Kosovo gekommen sein, bei denen mehrere Roma, „ohne ersichtlichen Grund, außer Hass misshandelt und überfallen wurden“. Die Menschenrechtsorganisation spart dabei nicht mit Kritik an der Polizei und der Öffentlichkeitsarbeit von Organisationen wie der OSZE, EULEX, UNMIK oder auch dem UN-Flüchtlingswerk, das den Vorgängen nach Ausführungen von Chachipe mit Desinteresse begegnet.

Anfang August erhielt die Menschenrechtsorganisation eine Mitteilung über gewaltsame Attacken auf Angehörige der Roma-Minderheit im Osten des Kosovo, bei denen mehrere Personen misshandelt und verletzt wurden. Den Berichten zufolge ereigneten sich die Angriffe in den letzten Juliwochen in einem Roma-Viertel der Ortschaft Gnjilane. Nach Augenzeugenberichten wurden die Roma durch ihre albanischen Nachbarn ohne erkennbaren Grund attackiert. Gegenüber Reportern des Fernsehsenders „Yekhipe“ erklärten die betroffenen Roma, „dass sich die Situation in Gnjilane kürzlich verschlechtert habe“. Einer der Zeugen erklärte, dass die vorangegangenen Angriffe organisiert und koordiniert seien. Die allgemeine Einschätzung der derzeitigen Situation zeigt sich aus Sicht der Roma wenig erbaulich. Sie erklärten, dass Mitglieder ihrer Gemeinschaft regelmäßig beschimpft oder tätlich angegriffen werden, und äußerten ernsthafte Bedenken bezüglich ihrer Sicherheit.

In Gnjilna bewohnen die Angehörige der Roma-Minderheit ein traditionelles Roma-Viertel. Bereits nach Beendigung des Kosovo Krieges, im Jahr 1999 waren die Roma, nach Angaben der Menschenrechtsorganisation zum Teil heftigen Attacken von Seiten der albanischen Nachbarschaft ausgesetzt. Nach gewalttätigen Angriffen flohen die Roma 1999 aus ihren Wohnhäusern. Rund 290 der damals etwa 360 Gebäude des Roma-Viertels wurden zerstört. Etliche leerstehende Gebäude wurden anschließend von Teilen der albanisch-stämmigen Bevölkerung in Besitz genommen. Am 27 Juni 1999 wurden die Roma dann das Ziel der bislang heftigsten Attacken. In einem Zeitraum von drei Wochen wurden Brandanschläge verübt, insgesamt wurden so 135 Wohnhäuser der Roma-Minderheit ein Raub der Flammen. Nur zaghaft normalisierte sich das Verhältnis. Immer wieder kam es zu vereinzelnden Attacken. Die internationale Gemeinschaft initiierte zuletzt sogar ein Ansiedlungsprogramm der vertriebenen Roma-Minderheit in der Region.

Nach den neuerlichen Berichten über gewaltsame Attacken, bei dem Ende Juli angeblich mehrere Roma verletzt worden seien, richtete die Chachipe-Menschenrechtsorganisation eine Anfrage an Vertreter_innen verschiedener internationaler Organisationen im Kosovo. Hintergründe und das Ausmaß des angeblichen Zwischenfalls sollten so ermittelt werden. Obwohl der Zwischenfall bereits einige Tage zurücklag, erklärte keine der befragten Organisationen, UNMIK, EULEX, OSZE sowie das UN-Flüchtlingswerk, dass sie bereits über den Zwischenfall informiert sei. Aber auch nachdem die Organisationen in der Folgezeit Informationen über die Vorgänge bei ihren Außenbüros eingeholt hatten, vermieden es die international tätigen Organisationen, nach Angaben der Menschenrechtsgruppe, die Vorfälle öffentlich zu machen. Stattdessen wurde ein Mantel des Schweigens über die Zwischenfälle ausgebreitet. So waren „sie entweder nicht in der Lage oder nicht gewillt, Chachipe über die Ereignisse zu informieren“ so Chachipa weiter.

“Die Informationen, die wir erhalten haben, waren äußerst spärlich, so ein Vertreter der Menschenrechtsorganisation. „Sie reichten von einer Auflistung einiger Polizeiberichte, in denen von scheinbar kleineren Vorkommnisse wie einer „Rangelei“ und Diebstahl die Rede war, bis zu einer kurzen Bemerkung, wonach die Sicherheitslage der Roma im Kosovo verschlechtert hat, und einer Beschwerde darüber, dass die Polizei nur unvollständig über Übergriffe auf Roma berichtet.“ Zudem ergab sich aus ihren Erklärungen, dass ihr Vertrauen in die Polizei des Kosovo nur begrenzt vorhanden sei. Von sechs Zwischenfällen, die angeblich im Juli stattgefunden haben, wurden nur drei bei der Polizei gemeldet. Yekhipe-Reporter interviewten daraufhin einen führenden Beamten der kosovarischen Polizei, der zwei der gemeldeten Fälle als einfache Nachbarschaftskonflikte bezeichnete und behauptete, dass ein anderer Zwischenfall vermutlich auf „offenen Rechnungen“ zwischen Schwarzmarkthändlern zurückzuführen sei, womit er zugleich das Opfer disqualifizierte.

Aus Sicht der Menschenrechtsorganisation sei das Desinteresse und die Passivität, welches aus den Reaktionen der internationalen Organisationen auf seine Anfrage hervorging, vor dem Hintergrund der Angriffe nur schwer zu verstehen sei. Der Chachipe e.V. wies in einer Pressemitteilung darauf hin, dass „eine der Aufgaben der internationalen Gemeinschaft im Kosovo der Schutz und die Förderung der Menschenrechte“ sei, und dass die Organisationen ein ausdrückliches Mandat haben die Lage vor Ort zu überwachen. Besorgniserregend sei dabei vor allem die Tatsache das die verantwortlichen Strukturen der „EU-Polizeimission“ offenbar kaum Informationen über die Lage in der Romasiedlung in Gnjilane hatte. „Wie aus den jüngsten Zwischenfällen in Gnjilane hervorgeht, die sich mit Berichten überschneiden, die wir bereits früher erhalten haben, wissen die Roma im Kosovo nicht, an wen sie sich wenden sollen, wenn sie sich gefährdet fühlen, und diejenigen, die Kosovo verlassen haben, sind oft nicht in der Lage, die Risiken, denen sie bei ihrer Rückkehr ausgesetzt sind, ausreichend zu dokumentieren.“ Die unzureichende Berichterstattung über die ethnisch aufgeladenen Konflikte und gewaltsamen Attacken gegen die Roma im Kosovo verstärkt die Unsicherheit.

Insbesondere im Bezug auf die Flüchtlings- und Asylpolitik mehrerer europäischer Staaten schlagen Vertreter_innen von Chachipe Alarm. Die Entscheidung von Staaten wie unter anderem Deutschland, Schweden, Österreich oder die Schweiz Angehörige der Roma in den Kosovo abschieben stößt auf massive Kritik. Die Entscheidung beruhe auf unvollständigen und verzerrten Einschätzung der sicherheitspolitischen Lage der Roma im Kosovo. „Es scheint, dass die letzten Berichte der UNMIK gegenüber dem UN-Sicherheitsrat ausschließlich auf Berichten der kosovarischen Polizei beruhen, und dies, obwohl die UNMIK selbst einräumt, dass ethnische Minderheiten kein Vertrauen in die Polizei haben,“ erklärte die zunehmend besorgte Menschenrechtsorganisation. Dabei scheint die Abschiebepolitik ein Teil des Problems zu bilden. Die albanisch-stämmige Bevölkerung von Gnjilane betrachtet die Flüchtlinge als Fremdkörper. In einer Erklärung forderte der Chachipe e.V. die internationale Gemeinschaft und deren Organisationen auf, die Spannungen in Gnjilane zu entschärfen und Probleme welche offenbar im Zusammenhang mit der Rückkehr von Flüchtlingen stehen, zu lösen.

Darüber hinaus verlangte Chachipe die Einleitung einer umfassende Untersuchung über die Hintergründe der jüngsten Angriffe auf Roma i, Osten des Kosovo. Eine objektive und unparteiische Überwachung sowie Berichterstattung der Sicherheitslage im Kosovo sei ebenfalls von der internationalen Gemeinschaft zu gewährleisten. Schließlich forderte Chachipe die Regierungen der europäischen Aufnahmeländer eindringlich auf, von der zwangsweisen Rückführung und Abschiebungen der Roma ins Kosovo abzusehen. Flüchtlingen, die sich bereits über Jahre in ihren jeweiligen Ländern aufhalten, solle ein dauerhaftes Bleiberecht gewährt werden. Solange die Sicherheitslage für die Roma-Minderheit im Kosovo derart unsicher ist, das internationale Organisationen von einer „verschlechterten Sicherheitslage“ berichten, sei dies das Gebot der Stunde.