26.08.2009 / Tschechien: Tschechische Neonazis gestehen Brandanschlag

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Der Brandanschlag sorgte für Entsetzen. Unbekannte warfen im April diesen Jahres mehrere Brandsätze in ein von Roma bewohntes Haus im tschechischen Vitkov. Drei Menschen wurden bei der Tat schwer verletzt. Vor einigen Tagen konnte die tschechische Polizei nun eine Gruppe von zwölf Verdächtigen, aus dem Umfeld der „Autonomen Nationalisten“ festnehmen. Gegen vier von ihnen wurde eine Anklage wegen versuchten Mordes mit rassistischen Motiv erlassen. Drei der beschuldigten Neonazis haben eine Tatbeteiligung inzwischen eingeräumt.

Die Tat ereignete sich in der Nacht auf den 19ten April. Kurz vor Mitternacht schleuderten Unbekannte vier Molotow-Cocktails durch die Fenster, setzten das Wohnhaus der achtköpfigen Roma-Familie in Brand. Versuche der Betroffenen das Feuer zu löschen scheiterten. Als die Feuerwehr am Ort des Geschehens eintraf und mit Löscharbeiten begann, war das Haus durch die Flammen bereits vollständig zerstört. Durch die Flammen wurden ebenfalls mehrere Menschen schwer verletzt. So erlitt das jüngste Familienmitglied, die zweijähriges Natálka, Verbrennungen an etwa 80% ihres Körpers und wird vermutlich ihr Leben lang auf ärztliche Hilfe angewiesen sein. Über einen Zeitraum von drei Monaten wurde das Mädchen in einem im künstlichen Tiefschlaf gehalten. Erst vor zwei Wochen konnten die Ärzte die künstliche Beatmung einstellen und das Mädchen wieder erwecken – ihr kritischer Gesundheitszustand bleibt. Auch die Eltern des Kindes erlitten schwerste Verletzungen.

Tschechischen Behörden wie auch die Betroffenen vertraten bereits wenige Stunden später die Ansicht das die Täter_innen aus rassistischer Motivation gehandelt hatten. Eine Zeugin der Brandkatastrophe berichtete, das kurz vor der Tat ein Fahrzeug vor dem Wohnhaus zum Stehen gekommen war und sich mehrere Personen auf das Gebäude zubewegt hatten. „So Zigeuner, jetzt brennt ihr!", hatten die Personengruppe gerufen, bevor sie die Brandsätze in das Gebäude schleuderten, so die Zeugin gegenüber einem tschechischen Fernsehsender. Der Anschlag auf Angehörige der Roma-Minderheit in Vitkov bildete dabei nur den vorläufigen Höhepunkt in eine Reihe von gewaltsamen Übergriffen welche die Tschechische Republik in beunruhigender Regelmäßigkeit erschüttern. Erst im November 2008 versuchten Anhänger_innen der tschechischen Neonaziszene eine überwiegend von Roma bewohnte Siedlung im nordböhmischen Litvinov anzugreifen. Pogromartige Ausschreitungen waren die Folge. Militante Neonazis setzten dabei ein Polizeifahrzeug in Brand und lieferten sich stundenlange Straßenschlachten mit den Sicherheitskräften. Die tschechische Neonazipartei „Delnicka Strana“ (DS), deren Anhänger_innen ebenfalls an den Ausschreitungen beteiligt waren, betreibt seit längerem eine aggressive Stimmungsmache gegen Angehörige der Roma-Minderheit.

Mehr als vier Monate nach der Tragödie in Vitkov erschien die Aufklärung des Anschlags zweifelhaft. Bereits in den Jahren 1996 bis 1999 verübten Unbekannte insgesamt fünf Brandanschläge auf Unterkünfte der Roma-Minderheit. Nur in einem dieser Fälle konnten die Täter_innen überführt werden. Doch im Fall von Vitkov wendete sich das Blatt. Vergangene Woche berichteten tschechische Medien über einen Fahndungserfolg der zuständigen Behörden. Im Zuge einer großangelegten Polizeirazzia hätten die Ermittlungsbehörden mehrere Personen festgenommen. Nach Polizeiangaben handelte es sich dabei um neuen Männer und drei Frauen im Alter zwischen 20 und 30 Jahren, welche der organisierten Neonaziszene zugerechnet werden können. Vier der Festgenommenen wurden des versuchten Mordes mit rassistischem Motiv beschuldigt und in Haft genommen. Im Falle einer Verurteilung drohen ihnen bis zu 15 Jahre Gefängnis. Die übrigen acht Personen wurden nach den Verhören wieder fauf freien Fuß gesetzt. Gegen sie lägen keine ausreichenden Beweise für eine Tatbeteiligung vor, so die Polizei.

Der nun erfolgten Polizeiaktion gingen monatelange Ermittlungen voraus. Wie ein Sprecher der Polizei während einer Pressekonferenz im tschechischen Ostrava mitteilte, seien dabei über 600 verdächtige Personen in der Tschechischen Republik und „darüber hinaus“ überprüft worden. Im Zusammenhang mit der nun durchgeführten Polizeirazzia seien neben Propagandamaterialien tschechischer „Autonomen Nationalisten“ auch eine Ausgabe der sogenannten „Turner-Tagebücher“ sichergestellt worden. Die „Turner-Tagebücher“, aus der Feder des US-amerikanischen Rassisten und Neonazifunktionärs William Luther Pierce, gelten als „Bestseller“ des Neonazi-Untergrunds. In dem rassistischen Machwerk, beschreibt der im Jahr 2002 verstorbene Pierce, das Wirken der Neonaziorganisation „The Order“, einer fiktiven Gruppierung, die einen „heiligen Rassenkrieg“ vorbereitet. Das Buch gilt als Vorlage mehrerer politischer Attentate. So soll der amerikanische Neonaziterrorist Timothy McVeigh, der 1998 einen Bombenanschlag in Oklahoma City verübte, die „Turner Tagebücher“ als Blaupause seiner eigenen Anschlagsplanung verwendet haben. Bei dem verheerenden Anschlag auf das „Murrah Federal Building“ in Oklahoma City, dem Sitz mehrerer Regierungsbehörden, verloren 168 Menschen ihr Leben.

Inzwischen haben drei der Festgenommenen ihre Tatbeteiligung eingeräumt. Wie ein Anwalt der Opfer mitteilte, zeichnen die bisherigen Einlassungen der Tatverdächtigen dennoch ein düsteres Bild. Demnach hätten die Attentäter lediglich Befehle ausgeführt. Vordergründige Aufgabe der Polizei sei es nun, denjenigen habhaft zu werden welche die Anschläge gefordert hätten. Wenige Stunden vor dem Brandanschlag in Vitkov hatte es mehrere, gegen Roma gerichtete Kundgebungen der tschechischen Neonazipartei „Delnicka Strana“ gegeben. Inwieweit deren Funktionäre in die Vorfälle verstrickt sind, bleibt bislang Spekulation. Das tschechische Innenministerium kündigte derweil an, ein erneutes Verbotsverfahren gegen die Parteiorganisation einzuleiten. Das Ministerium begründete diesen Schritt mit den „offensichtlichen Verbindungen“ der “Delnicka Strana (DS) zu den nun festgenommen Neonazis. Im März diesen Jahres war ein vorangegangenes Verbotsverfahren gegen die Neonazipartei gescheitert. Ein entsprechender Antrag zum Verbot der Organisation wurde abgelehnt. Das Oberste Verwaltungsgericht Tschechien begründete das damalige Urteil mit Versäumnissen der tschechischen Regierung, im Vorfeld der Verfahrens aussagekräftige Gründe für ein Verbot vorzulegen.