17.10.2009 / Leipzig: Tumulte und „Subkulturelle Erscheinungsformen“ in Leipzig
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Unter dem Motto „Recht auf Zukunft“ versammelten sich am vergangenen Samstag, den 17. Oktober 2009, rund 950 Anhänger_innen der Neonaziszene um durch Leipzigs Straßen zu marschieren. Doch der geplante Aufmarsch scheiterte: ein bürgerliches Bündnis von Parteien, Gewerkschaften bis hin zu zahlreichen Initiativen und Einzelpersonen blockierte für mehrere Stunden die von den Rechtsradikalen angemeldete Demonstrationsroute. Sein endgültiges Ende fand der Aufmarsch nach einer direkten Auseinandersetzung zwischen Neonazis und Polizeibeamten, bei der mehrere Aufmarschteilnehmer_innen verletzt und in polizeilichen Gewahrsam genommen wurden.
Man verlangte Disziplin. Im Vorfeld hatten die Organisator_innen des Aufmarsches. um den Neonazi Tommy Naumann, seines Zeichens Landesvorsitzender der sächsischen „Jungen Nationaldemokraten“ (JN), die Einhaltung strenger „Auflagen in eigener Sache“ eingefordert. Das konsequente Nichteinhalten des fast schon obligatorischen „Alkohol- und Rauchverbots“, im Verlauf der gestrigen Veranstaltung entpuppte sich dabei allerdings als das wahrscheinlich geringste Problem. Da man sich als „Angehörige eines uralten Kulturvolkes“ wähnte, forderten die Organisator_innen des Aufmarsches während der Demonstration auf „extrem subkulturelle Erscheinungsformen“ zu verzichten. Gemeint waren dabei vor allem modische Erscheinungsformen und Dresscodes welche sich am Erscheinungsbild der links-autonome Szene orientiert.
Dass dennoch die überwiegende Mehrheit der angereisten Teilnehmer_innen dies zu ignorieren schien, dürfte die Organistionsstruktur um der Anmelder Tommy Naumann nicht gerade erfreut haben. Wurde doch im Zuge der Mobilisierung hinreichend betont, dass sich „antiautoritar fühlende Leute“ gern „fernhalten dürften“ und „ihre Zugehörigkeit zur Bewegung überdenken sollten“. Über diese Zugehörigkeit dürfte nun wohl auch der Großteil der eingesetzten Ordner-Kräfte nachdenken, welche sich in die sich einheitlicher schwarzer Kleidung und auch sonst im Kleidungssytle von „extrem subkulturellen Erscheinungsformen“ präsentierten.
Ähnlich wie der Umgang mit diesen Auflagen, verhielt es sich dann mit der Demonstration selbst. Die geplante mehrere Kilometer lange Aufmarschroute wurde bereits wenige Meter vom Startpunkt entfernt blockiert. Etwa 1800 Menschen beteiligten sich an dem von verschiedenen Parteien und anderen Organisation initiierten Bündnis, das unter dem Motto „Leipzig nimmt Platz“ zur Blockade der Aufmarschroute aufgerufen hatte. Nach einer mehrstündigen Verhandlungszeit forderte die Polizei die Gegendemonstrant_innen unter Androhung einer Räumung auf, die Route freizugeben. Zahlreiche der sich in unmittelbarer Nähe befindenden Neofaschist_innen bezogen diese Aufforderung auf den seit vier Stunden im Nieselregen wartende Aufmarsch: Steine, Flaschen und Feuerwerkskörper wurden aus der Versammlung heraus auf die Polizeikräfte geworfen worauf hin die eingesetzten Beamten die Neonazis mit Reizgas- und Schlagstockeinsatz zurückdrängten. Daraufhin wurde die Versammlung umgehend aufgelöst, wenige Minuten später kam es abermals kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen - die Polizei setzte Wasserwerfer ein. Bis in die späten Abendstunden wurden die Personalien aller Teilnehmer der rechten Demonstration aufgenommen, denen nun Strafverfahren wegen Landfriedensbruch drohen.
Die Organisator_innen, der nun zwangsweise aufgelösten Demonstration traten mit ihrem gescheiterten Aufmarsch unfreiwillig in die Fußstapfen des Hamburger Neonazi-Kaders Christian Worch. Der langjährige Neonazikader, welcher seit einigen Monaten in Mecklenburg-Vorpommern gemeldet ist, hatte in den Jahren 2005 und 2006, jeweils am 1. Mai, zu Großdemonstrationen in Leipzig aufgerufen. In beiden Jahren mussten die Aufmärsche nach heftigen antifaschistischen Protesten frühzeitig angebrochen werden. Nachdem in der Folgezeit die öffentlich wirksamen Aktionen zurückgegangen waren, präsentierte sich die Neonaziszene im letzten Jahr wieder merklich aktiver. In der Odermannstrasse 8. war im Oktober vergangenen Jahres ein NPD-Zentrum eröffnet worden, gleichzeitig fanden mehrere Demonstrationen und Veranstaltungen der NPD sowie parteiunabhängigen Neofaschist_innen statt. Der nun gescheiterte Aufmarsch im Osten Leipzigs dürfte einen erheblichen Dämpfer für den Auftrieb neonazistischer Strukturen bedeuten.
Dass Vertreter_innen der sächsische NPD sich nicht am diesjährigen Aufmarsch und der Mobilisierung beteiligten, wird hierbei kein Zufall sein. Während sich die NPD-Landtagsfraktion um Holger Apfel auf die Festigung eines bürgerlichen Image konzentriert, schlagen die Strukturen der JN und sogenannten „Autonomen Nationalisten“ als Verfechter_innen eines radikalen Vorgehens einen anderen Weg ein. Neofaschistische Revoltionsromantik und das praktizierte aggressive Auftreten dürften mit den Ansichten der Führungsebene der NPD Sachsen zunehmend kollidieren. Vor allem die Beteiligung der eigenen Jugendorganisation an den Ausschreitungen in Leipzig dürfte innerhalb der sächsischen NPD für Unmut und Gesprächsstoff sorgen. Und auch innerhalb der parteiunabhängigen Neonazinetzwerke dürfte sich Gesprächsbedarf anbahnen. Das sich die „politischen“ Statements auf die vom Veranstalter verbotenen stadionähnliche Sprechchöre wie „ladi-ladi-ladi-ladi-oh - Antifaaa, Hurensöööhne“ und „scha-la-la-la“ reduzierten, politische Forderungen jedoch mit der Lupe zu suchen waren, dürfte zumindest die Frage aufwerfen, welcher Sinn sich hinter solchen Veranstaltungen verbirgt.