14.11.2009 / München: Von Opfern und »Helden« in München

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Anlässlich des so genannten »Volkstrauertages« versammelten sich am vergangenen Wochenende etwa 120 Anhänger_innen der süddeutschen Neonaziszene in der bayrischen Landeshauptstadt München. Unter dem Motto »Ruhm und Ehre dem deutschen Soldaten« versuchten die angereisten Neonazis nationalsozialistische Gewaltherrschaft zu verherrlichen.

Unter der Tarnbezeichnung »Münchener Gedenkkomitee zum Erhalt der Ehre unserer Soldaten« hatten die »Freien Nationalisten München« (FNM) um ihren Führungsaktivisten Philipp Hasselbach seit mehreren Wochen zum »Heldengedenkmarsch« durch die Münchner Innenstadt mobilisiert. Hintergründiges Ziel der »Freien Nationalisten München« ist dabei die Etablierung eines »zentralen Gedenktages« der neofaschistischen Szene in der süddeutschen Metropole. Dem diesjährigem Aufruf folgten vor allem Mitglieder neonazistischer Gruppierungen aus München und dem bayrischen Umland wie der »Kameradschaft Landshut«, »Freie Kräfte Gilchingen«, »Freie Kräfte Erlingen«, der »Freien Nationalisten Nürnberg« oder auch der so genannten »Hatecore-Crew Mainfranken«. Trotz der überregionalen Beteiligung der baden-württembergischen Neonaziszene aus Ulm, Friedrichshafen sowie der »Aktionsgruppe Lörrach« blieb die Anzahl der Teilnehmer_innen sowie das öffentliche Interesse weit hinter den gesteckten Erwartungen zurück.


Tiefe Spaltung der regionalen Neonaziszene


Die mangelnde Mobilisierungsfähigkeit war letztlich zum großen Teil internen Auseinandersetzungen im Vorfeld des nun durchgeführten Aufmarsches geschuldet. Nach dem Tod des Hamburger Rechtsanwalts und stellvertretendem NPD-Bundesvorsitzenden Jürgen Rieger am 29.10.2009 riefen der NPD-Bundesvorstand, unterstützt von parteiunabhängigen Neonazifunktionären, zu einem zentralen »Gedenkmarsch« ins bayrische Wunsiedel. Eine ebenfalls für das vergangene Wochenende terminierte Neonazidemonstration im brandenburgischen Halbe wurde daraufhin abgesagt. Man wolle das »Gedenken in Wunsiedel unterstützen« so die Veranstalter des in Halbe geplanten Aufmarsches. Ähnlich wie Neonazis aus Thüringen, welche am gleichen Tag im thüringischen Arnstadt einen »Fackelmarsch« angekündigt hatten, bestand Phillip Hasselbach allerdings auf die weitere Durchführung der geplanten Demonstration in München. Für dieses Vorgehen ernteten die »Freien Nationalisten München« und namentlich Phillip Hasselbach umfassende Kritik aus den eigenen Reihen.

Die Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Demonstration in München bilden allerdings nur den vorläufigen Höhepunkt. Seit einem Streit um Einflussbereiche und Posten innerhalb der Münchener NPD-Struktur im vergangenen Jahr liefern sich Vertreter_innen der militanten Neonaziszene einen Machtkampf um den politischen Führungsanspruch in der Isarstadt. Allen voran Phillip Hasselbach und der langjährige Neonazi Norman Bordin von der »Kameradschaft München«. Bordin spielt in der »Kameradschaft München« und in dem überregionalen Vernetzungsstruktur „Freies Netz Süd“ eine zentrale Rolle, während die FNM mit Philipp Hasselbach an der Spitze, in der Länder übergreifenden Struktur des »Freier Widerstand Süd« organisiert ist. Zwar konnte sich Hasselbach bei den internen Auseinandersetzungen um verkannte Posten der Münchener NPD durchsetzen, dennoch blieb sein Einsatz für die neonazistische Partei bislang ohne Erfolg. Bei der vergangenen Bundestagswahl erzielte Hasselbach, als Direktkandidat der NPD für den Wahlkreis »München Land« das schlechteste Wahlergebnis aller bayrischen NPD-Kandidaten. Doch auch abseits parteipolitischer Rivalitäten sorgten die Auseinandersetzungen der beiden »Anführer« in der Vergangenheit zu einer tiefen Spaltung der regionalen Neonaziszene.


Wer zu spät kommt, den bestraft...


Der nun am vergangenen Samstag durchgeführte Aufmarsch konnte erst mit mehrstündiger Verzögerung beginnen. Gegendemonstrant_innen blockierte im Vorfeld erfolgreich eine Zufahrtsstraße und sorgte so für eine erhebliche Verszögerung des eh schon verspäteten Veranstaltungsleiters Phillip Hasselbach mitsamt des angemeldeten Lautsprecherfahrzeuges. Als Resultat kollabierte der Zeitplan der Veranstalter_innen. Da die neonazistische Zusammenkunft lediglich bis 18:00 Uhr angemeldet wurde, musste die angereisten Neonazis ihren »Gedenkmarsch« auf Grund der fortgeschrittenen Zeit schon nach etwa der Hälfte der geplanten Aufmarschroute für beendet erklären. Zuvor hatte sich der Demonstrationszug immer wieder verzögert. Wegen der teilweise recht heftigen Protesten von fast 2000 Gegendemonstrant_innen dürfte die Außenwirkung des Neonaziaufmarsches und ihrer geschichtsrevisionistischen Parolen gegen Null tendieren.

Für Mobilisierungsschwierigkeiten dürfte, neben den Konkurrenzveranstaltungen wie im bayrischen Wunsiedel, auch das relativ kurzfristig aufgehobene Verbot der Veranstaltung gesorgt haben. Die vom Bayrischer Verwaltungsgerichtshof (BVH) angeführte Begründung zur Zurücknahme des zuvor verhängten Veranstaltungsverbots hatte selbst konservative Stadtpolitiker_innen sowie die Polizeieinsatzleitung überrascht. Nachdem der Anmeldung des Aufmarsches am Montag durch das Kreisverwaltungsreferat der Stadt München nicht stattgegeben worden war, erlaubte der zuständige BVH am Freitagmittag den als »Heldengedenktag« bezeichneten Aufmarsch in München. Dieser sei zwar, nach Auffassung des Gerichts, eine Anlehnung »an die Heldengedenkfeiern des nationalsozialistischen Regimes. Gleichwohl könne (...) nicht auf eine Billigung schwerer Menschenrechtsverletzungen durch das NS-Regime geschlossen werden«, so das Gericht in der Pressemitteilung.

Der geschichtsrevisionistische Versuch, den Nationalsozialismus von seiner Gewaltherrschaft und industriellen Vernichtungmaschinerie konzeptionell zu trennen, zeigt sich noch deutlicher in einem weiteren Statement des BVHs. Eine Beeinträchtigung der Würde der Opfer des Nationalsozialismus könne »durch die beabsichtigte rechtsextreme nationalistische Meinungsäußerung, dass alle gefallenen deutschen Soldaten Helden gewesen wären, nicht begründet werden, weil es insoweit an einer erkennbaren Beziehung zwischen der Meinungskundgabe und der Würde der Opfer des NS-Regimes fehle.« Somit widerspricht, zumindest nach Ansicht des zuständigen Richters, die Verherrlichung von SS, SA und Wehrmachtssoldaten, die Millionen von Menschen jüdischen Glauben, Homosexuelle, Roma und Sinti und politisch Andersdenkende ermordeten, nicht einem würdigen Umgang mit dem Gedenken an diese Opfer und ihrer Nachfahren.