23.02.2010 Neustadt: Dritter Verhandlungstag wegen Überfall in Wunstorf

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Am 23.02. wurde im Amtsgericht Neustadt (Rübenberge) die Verhandlung wegen eines Angriffs von Neonazis auf dem Vorplatz des Wunstorfer Bahnhofs fortgesetzt. Angeklagt sind die einschlägig bekannten und vorbestraften Neonazis Marco Siedbürger und der Heranwachsende W. Sie sollen am 15. März letzten Jahres aus einer Gruppe von bis zu 30 Neonazis zunächst versucht haben, das Jugendzentrum Wohnwelt anzugreifen und danach in kleinerer Gruppe zwei junge Erwachsene angegriffen haben, wobei sie eine junge Frau massiv und einen jungen Mann leicht verletzten. Der Prozess gestaltet sich aufwendig, weil Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung zahlreiche Zeugen, teils aus der organisierten Neonazi-Szene geladen haben. Die Verhandlungen finden daher unter massiven Sicherheitsvorkehrungen statt.


Befangenheitsantrag gegen Richter


Der dritte Verhandlungstag begann mit einem Befangenheitsantrag gegen den Richter. Ihm wurde seitens der Verteidigung des Angeklagten W. vorgeworfen, die Verteidigung am zweiten Verhandlungstag behindert zu haben. Akten habe man nicht rechtzeitig einsehen können, eine Verhandlungsunterbrechung, um dieses am zweiten Verhandlungstag nachholen zu können, wurde damals nicht gewährt. Die Verteidigung von Marco S. plädierte ebenfalls für Aussetzung des Verfahrens, um den Vorwurf gegen den Richter prüfen zu lassen. Nach einer kurzen Pause wurde jedoch weiter verhandelt, um die Beweisaufnahme mit den zahlreichen Zeugen fortführen zu können. Über die Befangenheit muss jetzt ein anderer Richter bis zum nächsten Verhandlungstag entscheiden.


Fehlende und neonazistische Zeugen


Die Zeugenvernehmungen gestalten sich jedoch schwierig: Nachdem bereits beim vorherigen Verhandlungstag ein Zeuge aus der rechtsradikalen Szene nicht auftauchte, waren auch an diesem Prozesstag zahlreiche Zeugen nicht erschienen. Der bereits vor zwei Wochen geladenen Zeuge, sollte von der Polizei vorgeführt werden, war jedoch morgens unter seiner Adresse nicht auffindbar. Andere Zeugen aus der Neonazi-Szene, die am Tatabend von der Polizei vor Ort angetroffen wurden, machten von ihrem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch, da gegen sie wegen Landfriedensbruch ermittelt wird. Die Ermittlungen gegen einige der Neonazis wurden nach der Aussage des Neonazis Ronny Damerow vor zwei Wochen sogar noch wegen Tatbeteiligung an dem brutalen Angriff auf die junge Frau ausgeweitet. Der Neonazi sprach bei seiner Aussage vor Gericht von einem „Match“, also von einer Schlägerei, zu der man sich mit den linken Gegnern verabredet habe. Hiermit belastete er nicht nur sich, sondern auch einige seiner „Kameraden“.


„Tritte waren weit ausgeholt und mit Schwung“


Mit Spannung erwartet wurde die Aussage eines der Hauptbelastungszeugen, einem Polizisten, der am Abend des Angriffs im Einsatz war. Er schilderte die Vorgänge ebenso wie sein Kollege am vorangegangen Verhandlungstag wie folgt: Man sei zu einer Party im Wunstorfer Jugendzentrum „Bauhof“ gerufen worden, weil dort rechte Musik gespielt worden sei. Nachdem man zunächst keine Feststellung machen konnte, sei man aber von einem Partygast informiert worden, dass es angeblich Flaschenwürfe auf Teilnehmer der Geburtstagsparty im Bauhof gegeben hab soll. Im Zuge der Aufnahme des Sachverhalts sei Marco S. in Erscheinung getreten, der den aussagenden Gast wieder in den Bauhof hineingezogen habe. Dadurch sensibilisiert habe man den Bereich mit Polizeistreifen überwacht und sei dabei später dann auf die größere Gruppe teils vermummter und bewaffneter Rechter gestoßen. Diese haben sich am Omnibusbahnhof gegenüber der Wohnwelt gesammelt und seien dann als Gruppe geschlossen zum Angriff in Richtung Wohnwelt übergegangen. Die Polizisten haben sich nach der Schilderung des Beamten der Gruppe in den Weg gestellt und dabei auch einen mit Schlagstock bewaffneten Neonazi entwaffnen können.

Als sich die große Gruppe der Neonazis wieder zurückzog, sah ein Polizeibeamter, ca. 50 Meter weiter vor dem Wunstorfer Bahnhof eine weitere kleinere Gruppe dunkel Vermummter sowie eine Person, die auf etwas oder jemanden mit weit ausgeholten Schritten eintrat. Der sofort zur Hilfe eilende Polizist fand darauf hin die angegriffene junge Frau verletzt und bewusstlos auf der Erde liegen. Als den brutal eintretenden Angreifer will der Beamte Marco Siedbürger wiedererkannt haben, da er ihn bereits kurze Zeit zuvor am „Bauhof“ gesehen habe und ihn anhand seiner auffälligen Kleidung und seines Gipsarms identifiziert habe.


„Haben nicht über die Aussage geredet“


Ganz entgegengesetzt auch an diesem Verhandlungstag die Darstellung von neonazistischer Seite. Ein Zeuge aus dem Umfeld der NPD Hannover schilderte seine Sicht der Dinge, obwohl er keine Angaben hätte machen müssen, da gegen ihn (aufgrund der Aussage seines Kameraden D. zwei Wochen zuvor) ebenfalls ein Verfahren wegen des Verdachts auf Tatbeteiligung eingeleitet wurde. Er gab an, dass er und seine Kameraden Opfer eines Angriffs von politischen Gegner_innen geworden seien. Man habe ebenfalls auf die Party im Bauhof gewollt und habe daher auf „weitere Kameraden“ wartend vor dem Wunstorfer Bahnhof gestanden, als man angeblich „von Linken“ bedrängt und geschubst worden sei. Ein „Match“ sei jedoch nicht vereinbart worden und Pfefferspray auch nur aus Notwehr zum Einsatz gekommen. Bei einem, kurz darauf einsetzenden Tumult zwischen den beiden Gruppierungen habe man sich aber nicht beteiligt, sondern sei geflüchtet. Von dem Vorwurf der verabredeten Schlägerei, dem „Match“ mit den Linken habe der junge Mann aus dem Umfeld der hannoverschen NPD aber erst durch die Berichterstattung aus dem Internet erfahren.

Aufschlussreich auch die Aussage eines weiteren Zeugen: hier wurde ganz offensichtlich im Vorfeld des Strafverfahrens über Aussagen geredet. Nach Vorhaltung der Nebenklage seiner Aussagen in der polizeilichen Vernehmung wurde deutlich, dass dem Zeugen von einem gewissen „Matuszewski“ und einem „Danny“ eingeschärft wurde, dass er bei der Polizei keine Aussage machen solle. Bei den beiden genannten Personen dürfte es sich um den Vorsitzenden der NPD Hannover und Anführer der „Freien Nationalisten Hannover“ Marc Oliver Matuszewski sowie dem langjährigen Neonazi Danny Subke handeln. Beide werden der Führungsebene der regionalen Neonaziszene zugerechnet.


Weiterer Verhandlungstag notwendig


Aufgrund von fünf nicht erschienenden Zeugen, dem Befangenheitsantrag gegen den Richter und zwei zusätzlichen Beweisanträgen von Rechtsanwalt Hessel, dem Strafverteidigers von Marco S. ist noch ein weiterer Verhandlungstag notwendig. Die Verteidigung fordert eine Begehung des Tatorts zur Prüfung der Lichtverhältnisse bei Nacht und ein medizinisches Gutachten über die Herzrhythmusstörungen bei der angegriffenen jungen Frau. Obwohl hierüber bereits ein ärztliches Gutachten vorliegt, scheint die Verteidigung des Wiederholungstäters Marco S. dem keinen Glauben zu schenken. Ein Umstand der zu verständnislosen Reaktionen im Publikum führte. Ein Prozessbeobachter bezeichnete diesen Beweisantrag als zynisch und zusätzliche Demütigung für das Opfer. Der nächste Verhandlungstag ist für den 5. März angesetzt.