25.02.2010 / Delmenhorst: Erneut Neonaziaktivitäten in Delmenhorst

recherche-nord

Delmenhorst: Am vergangenen Donnerstag, den 25.02.2010, versammelten sich Anhänger_innen der regionalen Neonaziszene unter dem Motto "Verfassungsschutz abschalten - Politische Verfolgung stoppen!" zu einer "Mahnwache" auf dem Delmenhorster Rathausplatz. Organisiert wurde die Zusammenkunft von den neofaschistichen Gruppierungen "JN-Delmenhorst" um ihren Führungskader und "Landesführer" Julian Monaco und dem „Nationalen Widerstand Delmenhorst". Unterstützung erhielt die Delmenhorster Neonaziszene dabei von jugendlichen Mitgliedern des "Nationalen Widerstands Tostedt".

Anlass der, als „Mahnwache“ deklarierten, Veranstaltung war die Eröffnung einer Ausstellung des Verfassungsschutzes Niedersachsen zum Thema „Verfassungsschutz gegen Extremismus – Demokratie schützen vor Rechts- und Linksextremismus“ im Rathaus der Delmestadt. Bereits am vergangenen Dienstag hatten Neonazis im niedersächsischen Tostedt einen Fackelmarsch zum örtlichen Jugendzentrum durchgeführt, der intern als Probelauf zur heutigen Veranstaltung in Delmenhorst galt.

Ermöglicht wurde die neofaschistische Mahnwache unter anderem durch ein Großaufgebot von Bereitschaftspolizei sowie angeforderter Bundespolizeikräfte. In der Stunde vor dem Eintreffen der Anhänger_innen der NPD-Jugendorganisation räumten die Polizeikräfte, unter teilweise massivem Gewalteinsatz, eine Protestaktion antifaschistischer Gegendemonstrant_innen. Begründet wurde dieses Vorgehen von der Polizeiführung mit dem „Tatbestand der Vermummung“ sowie einem angeblichen im Internet geäußerten Aufruf zu Gewalttaten. Größtenteils jugendliche Antifaschist_innen besetzten gegen 18 Uhr einen Teil des Rathausplatzes, um sich dem Aufzug der Neonazis entgegenzustellen, der erst Tags zuvor bekannt wurde.

Fraglich bleibt das Einsatzkonzept der Polizeiführung an diesem Tag, gerade vor dem Hintergrund, dass sich die Delmenhorster Polizei in der jüngeren Vergangenheit bemühte zu betonen, dass sie die zunehmende Präsenz der örtlichen Neonaziszene erkannt hat und entsprechend reagiert. Wie beteiligte Bürger_innen in Delmenhorst bemerkten offenbarte sich einmal mehr, dass durch die Übertragung der Führungskompetenz bei solchen Einsätzen von den örtlichen Polizeikräften auf die Bereitschaftspolizei in den betroffenen Städten und Gemeinden viel „vom mühsam aufgebauten Vertrauen der engagierten Bürger_innen gegenüber der Polizei“ zunichte gemacht werden kann. Die Äußerungen welche sich auf den Polizeieinsatz im Verlauf des Nachmittags bezogen: Nachdem etwa 40 anwesenden Gegendemonstrat_innen der Aufforderung der Polizei den Platz zu verlassen, nicht unverzüglich Folge leisteten, wurde ohne Umschweife eine unverzügliche Räumung angedroht. Daraufhin gesellten sich mehrere Mitglieder der „Eltern gegen Rechts“ zu den inzwischen auf dem Boden sitzenden Antifaschist_innen, um sich mit ihnen solidarisch zu erklären. Kurz darauf setzte die Räumung ein. Dabei wurden die in den ersten Reihen sitzenden Blockierer_innen gewaltsam aus der Gruppe herausgerissen, über den Boden zu den Einsatzwagen geschleift. Die zahlreich anwesenden Mitglieder der "Eltern gegen Rechts" zeigten sich entsetzt und protestierten mit anderen Mitbürger_innen lautstark gegen den völlig unverhältnismäßigen Polizeieinsatz.

Immer wieder wurden- teilweise unter massivem Gewalteinsatz und begleitet von Schmerzensschreien der Betroffenen- Menschen aus der Blockade entfernt ,um sie dann der Personalienfeststellung zuzuführen. Schmerzhafte Griffe in die Gesichter dienten dabei als scheinbar probates Mittel des Polizeibeamten. Selbst ältere Mitglieder des „Eltern gegen Rechts“, die durch gelbe Warnwesten gekennzeichnet waren, wurden nicht verschont, bekamen die Arme von den Einsatzkräften verdreht und sprachen im Nachhinein von einem traumatischen Erlebnis. Andere wiederum bezeichneten den Polizeieinsatz als Desaster für die bisher in Teilen gute Zusammenarbeit der „Eltern gegen Rechts“ mit der Polizei in Delmenhorst. Auch nach Auflösung der Blockade kam es immer wieder zu verbalen Unmutsbekundungen durch die Anwesenden Mitbürger_innen gegen den völlig überzogenen und durch nichts gerechtfertigten Polizeieinsatz. Einige der Menschen die sich ehrenamtlich gegen Neonazis engagieren wurden sogar unter Androhung einer vorübergehenden Festnahme von der Polizei massiv unter Druck gesetzt, um eine weitere Solidarisierung mit den Blockierer_innen zu unterbinden „Es scheint dabei nur allzu verständlich, dass sich gerade jene Menschen, welche sich zivilgesellschaftlich den Neonazis mit friedlichen Mitteln entgegenstellen, von der Polizei kriminalisiert, missachtet und sogar betrogen fühlen“, so die Betroffenen weiter.

Während Gegenproteste auf Geheiß der polizeilichen Einsatzleitung unter dem Einsatz körperlicher Gewalt abgedrängt wurden änderte die Polizeiführung im Verlauf der Neonazikundgebung ihr Vorgehen. Die eingesetzten Beamten beschränkten sich auf die Dokumentation der anwesenden Pressevertreter_innen, da "eventuell Straftaten von ihnen ausgehen könnten", so der weissagende Kommentar eines Polizeisprecher. Durch die vorangegangene Blockade verzögerte sich jedoch das Eintreffen der Neonazis um etwa eineinhalb Stunden. Unter dem Motto „Verfassungsschutz abschalten“ postierten sich schließlich knapp 20 Aktivist_innen - teilweise stark vermummt - neben dem Rathaus hinter zwei Transparenten und einer JN-Fahne. Sofort nahm Mario Müller, Führungskader der sogenannten „Aktionsgruppe Delmenhorst“, das Heft in die Hand und gab die Marschrichtung der Veranstaltung vor.

Während Julian Monaco als Landesvorsitzender der „JN Niedersachsen“ und derzeitiger Stützpunktleiter der „JN Delmenhorst“ lediglich im Hintergrund agierte, gab Müller die Parolen vor, heizte die Stimmung an. Mit hassverzerrtem Gesicht stelle er sogleich Forderungen zur Schaffung eines „sofortigen Nationalen Sozialismus“. Auch Bürgermeister Patrick de la Lanne bekam seinen Hass mit der Parole „De la Lanne, du kotzt uns an“ zu spüren. Julian Monaco begnügte sich derweil mit seiner Videokamera Polizisten und Journalisten zu porträtieren. Auch andere Jungnazis wie Kevin Boeck, Jonathan von Seggern, Fabian Rath und Alexander Emilio Wagner aus Tostedt hielten sich lieber an den Transparenten fest als selber zu agieren. Unter Polizeischutz übernahm es wiederum Müller, Flugblätter zu verteilen und suchte vergeblich das Gespräch mit zufällig vorbei eilenden Passant_innen. Nach der Drohung der Polizei an Julian Monaco, die Veranstaltung aufzulösen, wenn die Vermummung nicht abgenommen würde, fügten sich die Neonazis und nahmen in der inzwischen eingesetzten Dunkelheit ihre Sonnenbrillen ab. Kleineres Geplänkel entstand durch die Bedrohung einzelner Journalisten durch anwesende Neonazis. Die Polizei schritt dagegen jedoch nicht ein.


Die JN-Niedersachsen, Ebay und Diebesgut


Die Kundgebung in Delmenhorst steht im Zusammenhang mit einer gesteigerten Aktivität der NPD-Jugendorganisation in Niedersachsen. Vor allem in den Regionen Osnabrück und Delmenhorst werden zunehmend Propagandatätigkeiten entfaltet. In diesen Kontext scheint auch eine Pressemeldung der JN-Delmenhorst zu fallen, welche die Neonazi-Organisation jüngst auf ihrer Internetseite veröffentlichte. Die Gruppe verwies hierin auf eine Versteigerung beim Auktionsportal Ebay. Unter dem Slogan: „Sie bieten auf zwei aus Zeitungen und Netz bekannte Straßenschilder“ versuchen Mitglieder der JN-Delmenhorst derzeit zwei Metallschilder zu veräußern, welche an den Widerstand der Delmenhorster Bevölkerung im Zusammenhang mit einem befürchteten Immobiliendeal mit Neonazis in Delmenhorst im Jahre 2006 erinnern sollten.

Die Schilder wurden zuvor von Julian Monaco, seines Zeichens Landesvorsitzender der JN-Niedersachsen, öffentlichkeitswirksam entwendet. Auf einem, von der JN-Niedersachsen bereitgestellten, Video wurde der „Landesführer“ bei der Entfernung der Hinweisschilder dokumentiert. Aus ihrer Tat machten die Neonazis kein Geheimnis. In einer eigens angefertigten Pressemitteilung hieß es unumwunden, dass sie „das Schild umgehend entfernt" hätten. Ob der Erlös aus der nun bekannt gewordenen Auktion jedoch reichen wird um die klammen Kassen des niedersächsischen JN-Landesverbandes mit neuem Kapital zu füllen bleibt allerdings fraglich.