08.03.2010: Oha - Die »Recherche-Mitte« stellt sich vor

recherche-nord / recherche-ost

Ein neues Internetportal der Neonaziszene erblickte zu Beginn des Jahres das Licht der virtuellen Welt. Vollmundig verkündeten die Betreiber der „Recherche-Mitte“ sich mittels ihrer neu geschaffenen Plattform zukünftig der Anti-Antifa Arbeit widmen zu wollen. Das Feindbild scheint klar umrissen: „... egal ob Antideutsch, Antinational, Antiimperialistisch, kommunistisch oder bolschewistisch“ [sic], wie es die Macher unumwunden auf den Punkt bringen. Hinter dem konspirativen Anstrich des „unabhängigen“ Medienkollektivs verbergen sich gleichsam Anhänger der parteiunabhängigen Neonaziszene sowie der NPD.

Eigentlich hätte noch ein wenig Zeit verstreichen sollen. Als am 02. März 2009 die Internetseite der „Recherche-Mitte“ offiziell vorgestellt wurde, zeigte sich die technische Betreuung der Projektes überrascht: „Die Seite befindet sich noch im aufbau also noch nicht zu viel erwarten!“ [sic], so der Kommentar des Recherche-Mitte-Webmasters „Asterix“. Kurz zuvor war die Existenz des „Anti-Antifa-Projekts“ auf dem einschlägigen Internetportal „Altermedia“ erstmals bekannt gegeben worden und weckte sogleich hohe Erwartungen: „Jawoll, so muss das sein“ und „Zecken aus der Anonymität holen“ schallte dort so manch überschwängliches Urteil. Den „professionellen Charakter“ ihres zukünftigen Wirkens versuchten die beteiligten Neonazis vor allem durch den Aufbau und die Bezeichnung des Internetprojekts zu unterstreichen. „Der Name ist mit Absicht, als Anlehnung von Recherche-Ost und –Nord, so gewählt.“ Auch Logo, Rubriken und Aufbau wurden den beiden antifaschistischen Medienprojekten entlehnt.

Registriert wurde die Seite im vorigen Monat bei einem kanadischen Serverbetreiber und dort schließlich am 10. Februar freigeschaltet. „Reichsstrasse 88“, in der „Reichshauptstadt, im Reich 01488“ lauten die dort hinterlassenen Kontaktdaten des als „Recherche-Team“ auftretenden Anmelders. Bei diesem handelt es sich indes um keinen Unbekannten. Der sächsische Neonazi Sandro Auerbach aus dem beschaulichen Eppendorf im Erzgebirge tritt bereits seit einigen Jahren als Anmelder obskurer Internetseiten in Erscheinung. Unter dem Pseudonym „der todesengel 88“, war Auerbach verantwortlich für Internetseiten mit illustren Namen wie „Sturmtrupp“ oder „die-ware-antifa“ - allesamt mit relativ kurzlebiger Haltbarkeit. Während sich Sandro Auerbach bei der Anmeldung der „Recherche-Mitte“ um die Verschleierung seiner Adressdaten bemühte, trat der sächsische Neonazi in der Vergangenheit weniger konspirativ auf und verwendete statt der „Reichsstraße 88“ auch schon mal seine reguläre Adresse einschließlich telefonischer Erreichbarkeit.

Ebenso wechselhaft auch sein bisheriger Lebensweg: Führte ihn seine politische Sozialisation noch über die Punkszene, fühlt sich Auerbach nun den sogenannten „Autonomem Nationalisten“ (AN) und den strukturellen Abgründen der parteiunabhängigen Neonaziszene zugehörig. Dies hindert den Eppendorfer Neonazi jedoch nicht daran auch Bewunderung für die hohen Sphären der Parteipolitik zu entwickeln. Im Kondolenzbuch des, im vergangenen Jahr bei einem Autounfall verstorbenen, Rechtspopulisten Jörg Haider hinterließ Auerbach dem österreichischen Rechtsaußen mit den Zeilen „Ruhe in Friede, Jörg...“ zumindest einen letzten Gruß. Bei der „Recherche-Mitte“ agiert Sandro Auerbach nun abermals unter dem Pseudonym „Der Todesengel“ und gilt als Ansprechpartner des neu gegründeten und vermeintlich konspirativ agierenden „Recherche-Teams“. Ihm zur Seite steht Kai Rzehaczek aus dem sächsischen Eilenburg. Der 1968 geborene Neonazi-Funktionär ist unter anderem Geschäftsführer des „Nordsachsen-Versands“, einem Internet-Versandhandel, der neben einschlägiger Musik auch Bekleidung mit Bezug zum Nationalsozialismus veräußert.


Strukturübergreifender Zusammenschluss


Parallel zu seinen Aktivitäten als Versand- und Szenehändler engagiert sich Rzehaczek auch im „NPD Kreisverband Nordsachsen“. Im Zuge der sächsischen Kommunalwahlen im Juni 2009 kandidierte der Neonaziaktivist erfolgreich um einen Sitz im Eilenburger Stadtrat und vertritt dort seitdem die Belange der neonazistischen Partei. Als sich am 12. Januar die Parteispitze der NPD Sachsen und VertreterInnen der militanten Neonaziszene im sächsischen Landtag anlässlich eines Treffens der NPD-Fraktion versammelten um über die weitere politische Entwicklung der Landesverbandes zu beratschlagen, war Rzehaczek ebenso anwesend wie auch zwei Wochen später während der traditionellen Jahresauftaktveranstaltung der sächsischen NPD in Limbach-Oberfrohna. Die Arbeitsbelastung als NPD-Funktionär scheint Rzehaczek allerdings genug Raum für weitere Unternehmungen zu lassen. Unter dem Pseudonym „Oberlix“, nach eingehender Rechtschreibprüfung später in „Obelix“ abgeändert, befriedigt der sächsische NPD-Aktivist nun seinen Bewegungsdrang als Fotograf innerhalb der „Recherche-Mitte“. Eine Kostprobe seiner Arbeit lieferte Rzehaczek bereits während der Veranstaltung der sächsischen NPD am 23.01.2010 in Limbach-Oberfohna. Anwesende Gegendemonstrant_innen wurden dort von Kai Rzehaczek dokumentiert. Fotografien, welche später auf der Internetpräsenz der „Recherche-Mitte“ veröffentlicht wurden.

Neben den ostdeutschen Mitwirkenden der „Recherche-Mitte“ lassen sich auch Aktivisten im norddeutschen Raum verorten. So wie Michael Meyer - seines Zeichens Vorsitzender des „NPD Unterbezirks Oldenburg“. Das langjährige NPD-Mitglied gilt als ebenso kompromisslos wie gewaltbereit. Eigenschaften, welche ihm während seiner Zeit als aktiver Fußball-Hooligan ebenso zu Gute kamen wie auch im, von der NPD-Bundesführung geforderten, „Kampf um die Straße“. Eine anschauliche Kostprobe dieser Attribute gab er am 11. März 2007, als der NPD-Funktionär in der Fußgängerzone der Stadt Oldenburg einen Polizeibeamten attackierte. Der Vorfall ereignete sich, nachdem ein geplanter Landesparteitag der niedersächsischen NPD kurzerhand abgesagt werden musste. Ursprünglich sollte die Veranstaltung im ostfriesischen Burhafe stattfinden. Angesichts des enormen Medieninteresses verweigerte der Betreiber der Gaststätte den verdutzten NPD-AnhängerInnen jedoch den Zutritt. Daraufhin verschlug es einen Teil der angereisten Neonazis in die Oldenburger Innenstadt um dort eine Protestkundgebung abzuhalten. Zum Unmut der NPD untersagte die Polizei jedoch die Veranstaltung. Nachdem die NPD-Mitglieder, allen voran der damalige NPD-Landesvorsitzende Ulrich Eigenfeld, sich den Auflagen der Polizei verweigerten, entstanden tumultartige Szenen. Die Polizei setzte Tränengas ein um die aufgebrachten Neonazis auseinanderzutreiben. Unter den später in Gewahrsam genommenen Neonazis befanden sich auch mehrere Mitglieder des NPD-Bundesvorstandes.

Berührungsängste des Oldenburger NPD-Funktionärs zur parteiunabhängigen Neonaziszene dürften kaum bestehen. Im Gegenteil: Inzwischen gilt Michael Meyer als Bindeglied zwischen NPD und militanten Neonazis in der Region. Zu seinen Bündnispartnern zählen ebenso die derweil aufgelösten „Freien Kräfte Oldenburg“ wie temporär auch die „Autonomen Nationalisten Oldenburg“ (AN-OL). Einen Schwerpunkt seines politischen Wirkens bildet dabei die Auseinandersetzung mit politischen Gegner_innen. Als Oldenburger Neonazis unter der Bezeichnung „anti-antifa-nord“ diesbezügliche Aktivitäten zu intensivieren versuchten, soll Michael Meyer die Gruppierung mit der Bereitstellung von Fotografien unterstützt haben. Von ihm angefertigte Fotodokumentationen politischer Gegner_innen und Journalist_innen finden sich nun auch auf der Internetseite der „Recherche-Mitte“ wieder. Die dort veröffentlichten Aufnahmen entstanden im August 2009 während eines Neonaziaufmarsches im niedersächsischen Bad Nenndorf.


Recherche-Mitte: Alte Bekannte


Zum norddeutschen Kreis der „Recherche-Mitte“ zählt auch der derzeitige Webmaster des Anti-Antifa-Projektes. Bei diesem handelt es sich um den ehemaligen JN-Aktivisten Markus Walter aus dem niedersächsischen Garrel, welcher sich unter dem Pseudonym „Asterix“ für die Gestaltung der Seite verantwortlich zeichnet. Der 1991 geborene Neonaziaktivist ist beileibe kein unbeschriebenes Blatt. Von ehemaligen Weggefährten als manisch-depressiv und mitunter als cholerisch beschrieben, bewegt sich der Neonazi bereits seit frühester Jugend in politisch einschlägigen Gefilden. Erfahrungen mit dem Medium Internet sammelte Walter bereits im Jahr 2006 beim Aufbau der Internetpräsenz der inzwischen inaktiven „JN-Cloppenburg“. Aufgrund bedenklicher Inhalte wurde die erste Variante der JN-Internetpräsenz jedoch gelöscht und landete schließlich auf einem amerikanischen Server. Kurze Zeit nach der inoffiziellen Auflösung des niedersächsischen JN-Stützpunktes, bei dem es Walter bis zum stellvertretenden Vorsitzenden brachte, zog es den jugendlichen Neonaziaktivisten in den Süden.

Im baden-württembergischen Weil am Rhein fand er schnell Anschluss an die regionale Neonaziszene. So gehörte er bereits im September 2007 zu den Gründungsmitgliedern des sogenannten „Nationalen Widerstands Lörrach“, welcher auch unter der Bezeichnung „Freie Kräfte Lörrach“ in Erscheinung trat. Durch seine multimedialen Tätigkeiten knüpfte Walter bald Kontakt zu Stefan Schreiber vom „Netzradio Germania“, welcher ihm schließlich Speicherplatz auf seinen Servern zur Verfügung stellte. Nach einem unfreiwilligen Aufenthalt in einem Kinderheim, in welches er auf Anordnung der Behörden verfrachtet wurde, beinhaltete sein Aufgabenfeld die Verwaltung der Internetseiten der „Freien Kräfte Lörrach“ (FKL) sowie des, später in „Aktionsbüro Dreiländereck“ umbenannte, „Aktionsbündnis Südbaden“. Einige Inhalte auf der Internetseite des „Aktionsbündnis Südbaden“ (ABS) führten schließlich zu rechtlichen Konsequenzen. Nachdem Markus Walter Beleidigendes über einen Polizeibeamten auf der ABS-Internetseite einstellte, holte die Polizei am 16.07.2009 in Form mehrerer Hausdurchsuchungen zum Gegenschlag aus.

Einen Monat später sorgte die Neonaziszene in Lörrach dann abermals für Negativ-Schlagzeilen. Deren Strukturen waren zwischenzeitlich in der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN) aufgegangen. Am 26. August 2009 durchsuchten Einsatzkräfte der Polizei die Räumlichkeiten des dortigen JN-Stützpunktleiters Thomas Baumann. Der Neonazi hatte sich zuvor mit Hilfe weiterer NPD-Mitglieder Materialien und chemische Substanzen zur Herstellung von Sprengkörpern beschafft. Auch bei Walter wurden die Beamten vorstellig. Dieser hatte sich allerdings vorsorglich in die niedersächsische Ortschaft Garrel abgesetzt wo er schließlich nach einem weiteren Fluchtversuch von Polizeibeamten festgesetzt werden konnte.

Nach den Ereignissen in Süddeutschland verlegte Markus Walter seinen Wohnsitz abermals nach Niedersachsen. Beflügelt durch seine Verbindungen zum „JN-Stützpunkt Lörrach“ gelang es Walter in der folgenden Zeit Kontakte zu überregionalen Neonazigruppierungen aufzubauen. Besonders intensiv entwickelten sich dabei die Verbindungen zum „NPD Kreisbereich Verden“, mit dessen Mitgliedern Markus Walter bereits zu Zeiten des „JN Stützpunktes Cloppenburg“ eng zusammenarbeitete. Die Vernetzung zu seinem ehemaligen Wirkungsbereich in Baden-Württemberg riss indes nicht ab. So erstellte Walter unter seinem Pseudonym "marwal" für die neu gegründete „Aktionsgruppe Lörrach“ (AG Lörrach) abermals eine Internetpräsenz. In Norddeutschland entfaltete Walter jüngst derweil Aktivitäten bei den neu gegründeten „Autonomen Nationalisten Oldenburg“ (anol). Das neonazistische Netzwerk der Gruppierung war zuvor nach dem Rückzug von Führungspersonen auseinander gebrochen. Auf der ebenfalls von ihm betreuten Internetseite der Oldenburger Gruppierung trat Walter unter dem Pseudonym „Asterix“ in Erscheinung. Im Dezember 2009 fand schließlich ein Treffen der „Aktionsgruppe Lörrach“ und der „Autonomen Nationalisten Oldenburg“ statt um, wie es heißt, ein „gegenseitiges Bündnis der Zusammenarbeit abzuschließen“.

Eine Zusammenarbeit, die Markus Walter auch mit der nun gegründeten „Recherche-Mitte“ vorantreibt. Dort übernahm der, inzwischen nach Oldenburg verzogene, Neonazi den Aufbau und die Gestaltung der Internetpräsenz. Doch dabei beließ es Walter nicht. Für eine eigens auf der Internetseite geschaffene Rubrik über die Städte Oldenburg, Eppendorf, Eilenburg und Bremen steuerte Markus Walter etliche Fotografien zur „Feindaufklärung“ des Oldenburger Parteibüros der Partei „Die Linke“ sowie des selbstverwalteten Aktions- und Kommunikationszentrums „Alhambra“ bei.

Inwieweit der „Recherche-Mitte“ eine dauerhafte Zukunft beschert ist, bleibt abzuwarten. Am vergangenen Freitag, den 05.03.2010, erhielten Neonazis aus dem Umfeld Markus Walters unerwarteten Besuch von Beamten der Oldenburger Kriminalpolizei. Hintergrund der folgenden Durchsuchungsaktion war eine Fotografie auf einer von Walter betreuten Internetseite. Im Durchsuchungsbeschluss hieß es: „Die Anordnung beruht auf den §§ 98, 102 StPO. Der Beschuldigte ist verdächtig, als Verantwortlicher Herausgeber der Homepage xxx.anol.tk am 26.02.2010 eine Fotomontage ins Internet gestellt zu haben, die den Geschädigten „Staatsschutz Beamten“ als Stasi-Spitzel verunglimpft (strafbar gem. §§ 187, 185 StGB)“. Die Polizeibeamten beschlagnahmten im Zuge der Durchsuchungsaktion zwei Computer, zwei Laptops, eine Digitalkamera, eine Daten CD sowie Propagandamaterialien. Die Internetpräsenz der „Autonomen Nationalisten Oldenburg“ wurde daraufhin vom Netz genommen und verlinkt nun auf einen Eintrag im Internetportal Wikipedia: mit Namen „Stasi 2.0“. Auch die, ebenfalls von Markus Walter betriebene, Internetseite „Nationale gegen Kinderschänder“ ist inzwischen nicht mehr erreichbar.

Für die Betreiber der „Recherche-Mitte“ brauen sich derweil weitere dunkle Wolken zusammen. Nachdem im Verlauf der vergangenen Woche auf der Internetseite der „Recherche-Mitte“ zwei Studenten der Universität Freiburg „geoutet“ wurden, erstatteten diese inzwischen Anzeige. Die Kriminalpolizei ermittelt bereits.