10.03.2010 / Tostedt: Neonazis gedenken nationalsozialistischer Märtyrerfigur

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In den frühen Abendstunden des 23.02.2010 versammelten sich ca. 30 AnhängerInnen verschiedener Neonazigruppiereungen in Tostedt. Nach einer Eröffnungszeremonie zogen die Neonazis in Zweierreihen am Jugendzentrum vorbei und entzündeten stilgerecht eigens mitgebrachte Fackeln. Hier, im Zentrum der niedersächsischen Gemeinde Tostedt, am Fuße des örtlichen Kriegsdenkmals gedachten sie an diesem Abend Horst Wessel, einer Symbolfigur des Nationalsozialismus. An der konspirativ vorbereiteten Veranstaltung beteiligten sich neben AnhängerInnen der Tostedter Neonazigruppen „Gladiator Germania“ und des „Nationalen Widerstandes Tostedt“ auch Aktivisten der „Snevern Jungs“ sowie der niedersächsischen NPD und deren Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“.

Diese Zusammenkunft steht im Zusammenhang mit den, seit einiger Zeit bedrohlich ansteigenden, neonazistischen Aktivtäten in der Region. Fast wöchentlich berichten Opfer und Betroffene von Übergriffen, Einschüchterungsversuchen und Propagandaaktionen der örtlichen Neonaziszene. Als besonders militant tritt dabei die Struktur des „Nationalen Widerstandes Tostedt“ in Erscheinung, welche sich am organisatorischen Konzept der „Autonomen Nationalisten“ orientiert. Bevor sich deren Mitglieder als eigenständige Gruppierung konstituierten, bewegten sich die, zumeist jugendlichen, Aktivisten im Umfeld der Tostedter Neonazigruppierung „Gladiator Germania“. Bei einem der Führungskader der niedersächsischen „Gladiatoren“ handelt es sich um den langjährigen Neonaziaktivisten Stefan Silar, der im benachbarten Todtglüsing einen Szeneladen betreibt und sich in der Vergangenheit vor allem für die Einbindung des politischen Nachwuchses engagierte.

Dem nachhaltigen Wirken solcher Neonazikader wie Stefan Silar oder, dem ebenfalls aus Tostedt stammenden, Sebastian Stöber dürfte es wohl zu verdanken sein, dass sich die Region in den letzten Jahren zu einem weiteren Aufmarschgebiet der niedersächsischen Neonaziszene entwickelte. So planten parteiunabhängige Neonazis am 8. November 2008 eine Demonstration im benachbarten Buxtehude. Unter dem Motto: "Linker Mainstream - Nein Danke! Nationale Freiräume erkämpfen“ wollte man politischen Gegner_innen zu Leibe rücken. Zwar scheiterte der geplante Aufmarsch bereits im Vorfeld an Abstimmungsschwierigkeiten der Beteiligten, eine Entwarnung kann jedoch dennoch nicht gegeben werden. Im letzten Jahr meldete die NPD-Lüneburg einen weiteren Aufmarsch in der Region an. Die, für den 05. Dezember 2009 vorgesehene, Demonstration wurde ebenfalls aufgrund mangelnder Vorbereitung von den Veranstaltern wenige Tage vor dem anvisierten Termin abgesagt.

Die jüngst in Tostedt durchgeführte Veranstaltung im Fackelschein wollten die beteiligten Neonazis als Vorbereitung für weitere Aktivitäten verstanden wissen. So ließen Neonazis aus dem Umfeld des „Nationalen Widerstand Tostedt“ verlauten bei dem „Gedenkmarsch am 23.2.“ habe es sich lediglich um „einen Probelauf für einen richtigen Aufmarsch gehandelt“. Mit der „Gedenkveranstaltung“ zu Ehren des 1930 ermordeten SA-Sturmführers Horst Wessel offenbart die Tostedter Neonaziszene nunmehr abermals ihre auserkorenen Traditionslinien. Wessel galt bis zu seinem Tod als Überzeugungstäter, als gewaltbereiter Verfechter nationalsozialistischer Überzeugung. Nach seinem Tod wurde Wessel zur Märtyrerfigur stilisiert – das sogenannte „Horst Wessel Lied“ fungierte zu Zeiten der NS-Diktatur zeitweise als zweite Nationalhymne. Angesichts der zunehmenden Übergriffe auf Andersdenkende in Tostedt scheint hier vor allem das gewaltsame Vorgehen des SA-Sturmführers eine Vorbildfunktion zu besitzen.