15.03.2010 / Nordhorn: Gerichtsprozess in Nordhorn: Ein bisschen Viertes Reich

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Vor dem Amtsgericht Nordhorn (Grafschaft Bentheim) fand am vergangenen Montag, den 15.03.2010, ein Gerichtsprozess wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz statt. Dem langjährigen Neonaziaktivisten Kai-Uwe Fischer aus dem niedersächsischen Osnabrück, wurde von Seiten der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, eine Schusswaffe an Minderjährige übergeben zu haben. Der Gerichtsverhandlung waren Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit einem Wehrsportlager vorausgegangen.

Der heutige Aktivist der NPD/JN Osnabrück hatte sich im Jahr 2006 an der Durchführung eines paramilitärischen Sommercamps nahe der niedersächsischen Gemeinde Wilsum beteiligt. Das Bekanntwerden des konspirativen Treffens führte im April 2007 zu einer groß angelegten Polizeirazzia bei insgesamt 26 beteiligten Neonazis im niedersächsisch-westfälischem Grenzgebiet. Zuvor hatten Polizeibeamte im Rahmen einer im Vorjahr durchgeführten Hausdurchsuchung bei einem führenden Mitglied der Neonazigruppierung „Freie Nationale Vechta“ Fotografien von Wehrsportübungen und Scheinhinrichtungen gefunden. "Wir ermitteln wegen des Verdachtes der Bildung bewaffneter Gruppen", so der Kommentar des damaligen Pressesprechers der Staatsanwaltschaft in Osnabrück. Ein Ermittlungsverfahren, welches im Februar 2010 allerdings eingestellt wurde. Den Beschuldigten im Alter von 15 bis 51 Jahren konnte nicht nachgewiesen werden, dass sich die aufgefundenen Waffen zum Tatzeitpunkt bereits in ihrem Besitz befanden. Auch hätte die Anzahl der aufgefundenen Waffen nicht ausgereicht die gesamte Gruppe zu bewaffnen, so Staatsanwalt Alexander Rethemeyer in der jüngst veröffentlichten Pressemitteilung vom Februar 2010.

Dennoch eröffnete die zuständige Staatsanwaltschaft mehrere Ermittlungsverfahren gegen Teilnehmer-innen des Zeltlagers wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz - so auch gegen den Osnabrücker Neonaziaktivisten Kai-Uwe Fischer. Dessen Rolle bei der Durchführung des besagten Sommerlagers konnte auch bei dem nun in Nordhorn stattgefundenen Gerichtsverfahren nicht gänzlich geklärt werden. Diesbezügliche Fragen des Staatsanwaltes beantwortete der Angeklagte mit dem Verweis auf gravierende Erinnerungslücken. Angesprochen auf die im Lager an Zelteingängen befestigten Hinweisschilder mit Aufschriften wie „Leibstandarte“ oder „Hitlerjugend“ erwiderte Fischer damit, dass sich diese bereits dort befunden hätten als er in dem Lager eintraf. Weitere weiße Flecken in seinem Gedächtnis offenbarte Fischer auch im Bezug auf die Organisatoren des paramilitärischen Sommerlagers: „Daran könne er sich nicht erinnern“. Seine diesbezüglichen Aussagen stießen bei der Staatsanwaltschaft jedoch auf Unverständnis. Hatte sich Fischer doch zunächst dahingehend geäußert, dass das Lager recht unorganisiert gewesen sei und es sich eigentlich um eine „spontane Veranstaltung“ gehandelt hätte. Die Zielsetzung der Veranstaltung räumte der Neonaziaktivist letztlich jedoch ein: Auf die Frage, ob das Wehrsportlager vielleicht eine Übung für ein sogenanntes „Viertes Reich“ dargestellt haben könnte, murmelte der Angeklagte: „Ein bisschen vielleicht“.

Trotz seiner Erinnerungslücken wies die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten der im Besitz eines sogenannten „Kleinen Waffenscheines“ ist, dennoch erhebliche Verstöße gegen das Waffengesetz nach. So hatte Fischer eine Luftdruckpistole mit dazugehöriger Munition in das Zeltlager gebracht. Diese Waffe hatte der Angeklagte anschließend einer auf dem Camp stattfindenden „AG Schießen“ zur Verfügung gestellt. In dieser „Arbeitsgemeinschaft“ wurde mit verschiedenen Waffen unter Anweisung von sogenannten „Ausbildern“ der Umgang mit Waffen geübt. Geleitet wurde die „AG Schießen“ durch den langjährigen Neonaziaktivisten Christian von Velsen aus dem niedersächsischen Georgsmarienhütte. Von Velsen war bis zum Verbot der völkisch-neonazistischen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) im März 2009 hochrangiger Funktionär in der „HDJ-Einheit Hermannsland“. Der Neonaziaktivist gehörte im August 2006 auch zu den Teilnehmer-innen eines HDJ-Zeltlagers im nordrhein-westfälischen Fromhausen. Ähnlich wie bei dem einen Monat zuvor in Wilsum stattgefundenen Wehrsportlager wurden auch in Fromhausen Zelteingänge mit „Hinweisschildern“ versehen. Anstatt „Leibstandarte“ griff man dort jedoch auf Bezeichnungen wie beispielsweise „Führerbunker“ zurück.

Im konkreten Fall von Kai-Uwe Fischer wertete die Staatsanwaltschaft Osnabrück als besonders schwerwiegend, dass der zum Tatzeitpunkt 22 Jahre alte Angeklagte seine Waffe minderjährigen Teilnehmern des Zeltlagers zur Verfügung gestellt hatte - und dies ohne Einweisung in den Gebrauch und Hinweise auf die Gefährlichkeit von Schusswaffen. Der Angeklagte, welcher zum Tatzeitpunkt im Juli 2006, der parteiunabhängigen Neonazigruppierung „Nationalen Widerstand Osnabrücker Land“ (NWOSL) angehörte, gab dies auf Nachfrage auch unumwunden zu. Für ähnliche Reaktionen auf Seiten der Staatsanwaltschaft sorgten auch bei Hausdurchsuchungen sichergestellte Fotografien, welche Kai-Uwe Fischer dabei zeigten, wie er seine Waffe unmittelbar gegen den Kopf eines weiteren Campteilnehmers richtete. In der weiteren Beweisaufnahme konnte dem heute 25-jährigen Umschüler nachgewiesen werden, ohne Erlaubnis Schusswaffen im öffentlichen Raum geführt zu haben, da das Lager im Prinzip „Jedem zugänglich gewesen“ wäre und nicht durch Zäune oder Mauern von der Öffentlichkeit abgeschirmt war. Das galt auch für die Schießübungen mit Luftgewehr und Luftpistole auf Zielscheiben, die zuvor an Heuballen befestigt worden waren. Da es in diesem Prozess lediglich um die Verstöße gegen das Waffenrecht ging, wurden Begleitumstände um das neonazistische Sommerlager bei dem späteren Urteil ausgeklammert.

Die Beweisaufnahme endete mit der Forderung nach einem Schuldspruch und einer Geldstrafe von insgesamt 600 Euro. Kai-Uwe Fischer sei schuldig zu befinden, da er Beihilfe zum Führen von Schusswaffen durch Minderjährige geleistet habe. Strafmildernd kam allerdings in Betracht, dass der Angeklagte Neonazi derzeit einen privaten Schuldenberg von annähernd 20.000 Euro verwalte und lediglich über ein geringes Einkommen verfüge. Keinerlei gerichtsrelevante Vorstrafen kamen dem Neonaziaktivisten aus Sicht der Staatsanwaltschaft ebenfalls zugute. Auf Grund der Länge des Gesamtverfahrens von inzwischen rund dreieinhalb Jahren könne die Hälfte der Bestrafung als bereits verbüßt angesehen werden. Forderungen, denen sich auch der Richter anschloss. Zuvor hatten Staatsanwaltschaft, Richter sowie der Rechtsanwalt des Beschuldigten auf die Vernehmung der geladenen Zeugen verzichtet, da sich der Angeklagte als durchaus geständig zeigte und auf die Rückgabe, der bei ihm sichergestellten Waffen, unter anderem ein Samuraischwert, verzichtete.

Das Urteil ist rechtskräftig: Sowohl Staatsanwaltschaft als auch der durch einen Rechtsanwalt vertretene Neonazi verzichteten auf weitere Rechtsmittel. Dem Neonaziaktivisten dürfte das nun verkündete Urteil nicht nur angesichts seiner finanziellen Situation gelegen kommen. Auch im Hinblick auf sein derzeitiges politisches Engagement erlaubt es Kai-Uwe Fischer eine Fortführung seiner bisherigen Aktivitäten. So tritt der Osnabrücker Neonazi derzeit vor allem im Zusammenhang mit dem NPD-Bundesordnerdienst in Erscheinung, zuletzt während der Gründungsveranstaltung der JN Osnabrück/Osnabrücker Land im Januar 2010 im niedersächsischen Ehrenburg. Die Mitglieder der parteieigenen „Schutztruppe“ gelten als militante und gewaltbereite Hardliner – etliche Mitglieder wurden bereits wegen Gewalttaten oder auch Sprengstoffbesitzes verurteilt. Dennoch, gerichtsrelevante Verurteilungen und Vorstrafen sind den Aktivitäten als „NPD Bundesordner“ abträglich. Ordneraufgaben auf Demonstrationen werden vorbestraften Neonazis regelmäßig durch die Polizei untersagt. Und auch Kai-Uwe Fischer steht einigen Aktivisten des NPD-Bundesordnerdienstes in Nichts nach: Erst im Dezember 2009 schlitterte Fischer nur denkbar knapp an einer Vorstrafe vorbei. Das Amtsgericht Ibbenbühren verurteilte ihn zur Zahlung einer Geldstarfe von 300 Euro: Gemeinsam mit weiteren Neonazis hatte Fischer eine Rohrbombe hergestellt. Ob Kai-Uwe Fischer seinen „Kleinen Waffenschein“ behalten darf, wird nun die zuständige Ordnungsbehörde entscheiden müssen.