30.01.2010 / Ehrenburg, Niedersachsen: JN Osnabrück: Stützpunktgründung

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Als die Dunkelheit das abgelegene Anwesen fast verschluckt, ertönen die Trommeln. Dumpf hallen die wuchtigen Schläge durch die einsetzende Nacht. Hier auf den verschneiten Feldern von Ehrenburg, einem nur wenige Kilometer von der niedersächsischen Kleinstadt Twistringen entfernt gelegenem Niemandsland schneiden an diesem letztem Wochenende lodernde Fackeln schaurige Grimassen in die Finsternis. Sie geben den Blick frei auf die ernst blickenden Gesichter junger Männer und Frauen, einige gerade erst dem Kindesalter entwachsen. Sie alle sind an diesem Abendstunden vereint im festen Glauben an Führertum, Stolz und Vaterland – vereint im Hass auf alles Fremde. Militante Neonazis- zusammengekommen um einen weiteren Stützpunkt in Niedersachsen zu gründen.

Innerhalb nur eines Jahres stampfte die NPD-Jugendorganisation der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN) in Niedersachsen vier regionale Stützpunkte aus dem Boden: Ortsgruppen in Lüneburg, Delmenhorst, Achim/Verden und nun zuletzt in Osnabrück. Hier werden bereits Minderjährige mit unversöhnlichem Rassenhass, neonazistischer Ideologie und striktem Kadavergehorsam vertraut gemacht: ein Sammelbecken militanter Hardliner und politischer Überzeugungstäter wie auch radikalisierter Jugendlicher, die im „Durchlauferhitzer“ der „Jungen Nationaldemokraten“ zu politischen Soldaten erzogen werden sollen. Und das mit wachsendem Zuspruch: die nun im Landkreis Diepholz erfolgte Gründungsveranstaltung der „JN Osnabrück / Osnabrücker Land“ dürfte im Bezug auf die zukünftige regionale Vernetzung im Flächenland Niedersachsen nur einen vorläufigen Höhepunkt darstellen.

Bis zuletzt wurde das nun durchgeführte Treffen im Verborgenen beworben. Über geheime Treffpunkte wurden die anreisenden Neonazis zum späteren Veranstaltungsort geschleust, unnötige Aufmerksamkeit sollte vermieden werden. Bilder der nächtlichen Zeremonie im Fackelschein könnten, erstmal an die Öffentlichkeit gelangt, Erinnerungen an ein Kapitel der jüngeren Vergangenheit wachrufen. Mögliche Verbindungen der niedersächsischen NPD-Jugend zu verbotenen Gruppierungen sollen vermieden werden: Verbindungen wie die zur im März des vorangegangenen Jahres verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ). So war die beabsichtigte Gründung der „JN Osnabrück“ nur wenige Stunden nach dem Verbot der neonazistischen HDJ verkündet worden. Eine Gründung, die nun erst mehrere Monate später offiziell vollzogen wurde. Führungspersonen der HDJ wie der langjährige Neonaziaktivist Christian Fischer wechselten kurzerhand von der HDJ in die NPD-Jugend und übernahmen abermals leitende Funktionen. In Mecklenburg-Vorpommern riefen ehemalige HDJ Aktivisten dazu auf, gezielt die Strukturen der JN für zukünftige Aktivitäten zu nutzen.


Neonazis mit wechselnder Organisationsbezeichnungen


Zum Zeitpunkt des HDJ-Verbotes war die Region Osnabrück einer der bedeutendsten Knotenpunkte der HDJ - einer Gruppierung, deren Aktivitäten vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble als „widerlich“ bezeichnet wurden. Die völkisch-neonazistische Organisation betrieb bis zu ihrem Verbot sogenannte »Rasseschulungen«, vertrat eine »Blut-und-Boden-Ideologie« und beschwor die »Blutreinheit«. Ziel war es ,Kinder und Jugendliche einer nationalsozialistischen Sozialisation zu unterwerfen, um so eine zukünftige Neonazi-Elite hervorzubringen.

Zu diesem Zweck organisierte die HDJ regelmäßig konspirativ abgehaltene Zeltlager und Sonnenwendfeiern. Aus ihrer Gesinnung machte die Neonaziorganisation kein Geheimnis. Als im August 2008 Einsatzkräfte der Polizei ein Zeltlager der HDJ im mecklenburgischen Güstrow auflösten, beschlagnahmten die Beamten zahlreiche Neonazi-Utensilien, darunter Handtücher mit überdimensionalen Hakenkreuzen. Bei anderer Gelegenheit schmückte die HDJ ihre Zelteingänge mit Hinweisschildern, auf denen schon für die Kleinsten die Aufschrift »Führerbunker« zu lesen war. In der Verbotsbegründung vom März 2009 bescheinigte das Bundesinnenministerium der neonazistischen Vereinsorganisation schließlich ein ausgeprägtes »rassistisches und nationalsozialistisches Gedankengut«.

Die nach dem Führerprinzip aufgebaute HDJ war um die Jahrtausendwende aus der 1994 vom Bundesministerium des Inneren verbotenen »Wiking-Jugend« (WJ) hervorgegangen. Zum Zeitpunkt des Verbotes war sie, wie später auch die HDJ, eine der größten neonazistischen Jugendorganisationen im Bundesgebiet. Etliche Führungsfiguren der WJ übernahmen später Funktionen innerhalb der HDJ und traten dort unter anderem als »HDJ-Einheitsführer«in Erscheinung. Für überregionales Aufsehen sorgte dabei immer wieder die sogenannte »HDJ-Einheit Hermannsland«, jene Untergruppe, welche in Niedersachsen und dem angrenzendem Nordrhein-Westfalen Aktivitäten entfaltete und deren Mitglieder nach dem erneuten Verbot Unterschlupf bei den „Jungen Nationaldemokraten“ fanden.

Christian Fischer, ein ehemaliges Mitglied der „HDJ Einheit Hermannsland“, gilt dabei als militanter Hardliner. Die Karriere des politischen Überzeugungstäters führte von der Skinhead- und parteiunabhängigen Kameradschaftsszene bis in die Führungsriege der niedersächsischen NPD. Neben führenden Funktionen im »NPD -Bundesordnerdienst«, einer als militant geltenden parteieigenen Schutztruppe, avancierte Fischer im vergangenen Jahr sogar zum Bundestagskandidaten der neonazistischen Partei. Völkisch-neonazistische Erziehung bildete stets einen Mittelpunkt seines Wirkens. Bis zum Verbot der HDJ betreute der Neonaziaktivist deren minderjährigen Schützlinge. Im Jahr 2006 gehörte Fischer zu den Organisatoren eines paramilitärischen Waffenlagers bei Wilsum (Grafschaft Bentheim) sowie einer neonazistischen „Rasseschulung“ im damaligen NPD-Heim „Harderberg“ des NPD-Unterbezirks-Osnabrück in Georgsmarienhütte. Nach dem Verbot der HDJ entfaltete Christian Fischer schließlich Aktivitäten innerhalb der »Jungen Nationaldemokraten«. Mit großem Erfolg: im August 2009 wurde der mit entsprechend ausgerichteter Jugendarbeit vertraute Neonazi zum stellvertretenden Landesvorsitzenden der niedersächsischen JN gewählt.

Braune Traditionslinien in Niedersachsen


Der Ort der nun erfolgten Gründung des „JN-Stützpunktes Osnabrück/Osnabrücker Land“ am vergangenen Wochenende, schien nicht zufällig gewählt. Von 1978 bis zum Jahr 1999 betrieb die NPD Niedersachsen um den derzeitigen Landesvorsitzenden Adolf Dammann ein Schulungszentrum „Kalte Zeit“ im nahe gelegenen Schweringhausen. Der ehemalige Wohnkomplex diente als Trainings- und Ausbildungszentrum für den politischen Nachwuchs, welcher hier zu Kadern der neonazistischen Partei erzogen wurde. Im Jahr 1999 wurde das Gebäude schließlich bei einem Brand vollständig zerstört. Doch auch heute findet die neonazistische Parteijugend Anknüpfungspunkte in der Region. So liegt nur wenige Kilometer von Schweringhausen entfernt das Anwesen des langjährigen NPD-Mitglieds Wilhelm Sudmann, auf dessen Grundstück die Stützpunktgründung am letzten Wochenende stattfand.

Den 1960 geborenen Sudmann verbindet mit den »Jungen Nationaldemokraten« dabei mehr als nur oberflächliche Sympathie . Er kann seinerseits auf eine langjährige NPD- und JN-Karriere zurückblicken. So wurde Sudmann erstmals im März 1991 in den Vorstand des niedersächsischen JN-Landesverbandes gewählt. Zwei Jahre später wurde er als offizielles Mitglied des NPD- Kreisverbandes Diepholz geführt und beteiligte sich noch im gleichen Jahr maßgeblich an der Ausrichtung eines JN-Pfingstlagers. Im Jahr 1995 übernahm Wilhelm Sudman dann das Amt des niedersächsischen JN-Landesvorsitzenden und agierte ab dem Jahr 1999 gar als NPD-Familienbeauftragter. Zuletzt trat Sudmann während des Landesparteitages der NPD Niedersachsen in Scharzfeld öffentlich in Erscheinung und kandidierte im Jahr 2009 erfolglos für ein NPD- Bundestagsmandat im Wahlkreis Unterems. Seit einem schweren Autounfall, bei dem der ehemalige Fuhrunternemer ein Bein verlor, ist Sudmann jedoch an den Rollstuhl gefesselt und schränkte seine öffentlichen Auftritte weitestgehend ein.

Dem Ruf der „JN Osnabrück“ und ihres „Stützpunktleiters“ Christian Fischer folgten schließlich knapp 40 Neonazis aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Brandenburg. Neben zahlreichen JN-Aktivisten samt neugeborenem Kleinkind reisten auch Mitglieder der neonazistischen Kameradschaftsgruppe „Snevern Jungs“ sowie Vertreterinnen des „Ring Nationaler Frauen“ (RNF) ins verschneite Ehrenburg. Mit Ricarda Riefling, der derzeitigen Landesvorsitzenden des „RNF Niedersachsen“ war hohe Prominenz in das verschneite Ehrenburg gereist, welche dort über die Ziele der neonazistischen Frauenorganisation berichtete. Unterstützt wurde sie dabei von Anhängerinnen der RNF-Regionalgruppen „Weser-Ems“ und „Hildesheim“.

Ehemalige Aktivisten der HDJ-Einheiten „Niedersachsen“, „Hermannsland“ „Preußen“ sowie der „Einheit Nordland“ waren ebenfalls zugegen und beteiligten sich an der organisatorischen Ausrichtung der Gründungsveranstaltung. Mit Sebastian Richter, seines Zeichens stellvertretender JN – Bundesvorsitzender gehörte darüber hinaus ein ehemaliger HDJ-Aktivist zu den Referenten der konspirativen Zusammenkunft. Sebastian Richter Ansprache auf der verschneiten Koppel im abendlichen Ehrenburg verdeutlichte einmal mehr die erzieherischen Traditionslinien der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) im Bezug auf die anvisierte Jugendarbeit der „Jungen Nationaldemokraten“. Eine „artgemäße Weltanschauung“ müsse, nach Aussage des JN-Führungskaders das Fundament des „politischen Handelns“ bilden. Ähnlich wie die HDJ, welche bereits Kinder und Jugendliche einer, in sich abgeschlossenen Sozialisation unterwarf, skizzierte der ehemalige HDJ-Aktivist Sebastian Richter eine „ganzheitlichen Bildung von Körper, Geist und Gemüt“ als zukünftigen JN-Erziehungsauftrag - um nicht zuletzt „dauerhafte Strukturen“ bilden zu können.


Der „JN Stützpunkt Osnabrück/Osnabrücker Land“


Die Worte Sebastian Richters dürften im Verlauf der „JN-Stützpunktgründung“ auf offene Ohren gestoßen sein, Zumal ein Großteil der dort vertretenden Mitglieder der „Jungen Nationaldemokraten Osnabrück/Osnabrücker Land“ mit dem dort geforderten „Erziehungsauftrag“ bestens vertraut sein dürften. So gehört, neben dem ehemaligen HDJ-Mitglied Christian Fischer auch der Osnabrücker Neonazi Christian von Velsen, seines Zeichens ehemaliger „HDJ-Einheitsführer“ der „HDJ Einheit Hermannsland“ zum personellen Bestand des nun gegründeten „Stützpunktes“. Im Juli 2006 gehörten die beiden Neonazikader zu den Organisatoren eines paramilitärischen Waffenlager in der Nähe der niedersächsischen Gemeinde Wilsum. Schießübungen, Scheinhinrichtungen sowie das Anlegen militärischer Verschanzungen gehörten zum Programm des Ausbildungslagers. Über den Zelteingängen prangten die Aufschriften »Hitlerjugend« und »Leibstandarte«.

Die Vorgänge in der Grafschaft Bentheim beschäftigte neun Monate später Polizei und Staatsanwaltschat: Nach Bekanntwerden des Zeltlagers führte die Polizei eine groß angelegte Razzia gegen Teilnehmer der Veranstaltung durch -förderte dabei ein umfangreiches Waffenarsenal zu Tage: Darunter Schlagwaffen wie Macheten oder Totschläger, ein Kleinkalibergewehr, Pistolen, Luftgewehre Munition für Maschinengewehre sowie eine Panzerfaust. Drei Monate später folgten dann weitere Hausdurchsuchungen in den Landkreisen Steinfurt und Osnabrück. Die Polizeibeamten fahndeten nach einer Rohrbombe – entsprechende Bauanleitungen waren bei der ersten Razzia entdeckt worden. Im Fokus der Ermittlungsbehörden stand damals unter anderem Fabian Witte. Der Neonaziaktivist aus dem niedersächsischem Hilter musste sich aufgrund dessen im vergangenen Dezember wegen „Herstellung eines Sprengkörpers und gemeinschaftlicher Bau einer Rohrbombe“ vor dem Amtsgericht Ibbenbühren verantworten. Das Gericht verfügte Geldstrafen für drei der angeklagten Neonazis – Fabian Witte selbst wurde nach entlastenden Aussagen freigesprochen, da er nicht an der praktischen Herstellung des Sprengkörpers beteiligt gewesen sein soll.

Witte, der inzwischen Fabian zur Linnen heißt, hatte sich noch im Juli 2006 maßgeblich an Scheinhinrichtungen im Verlauf des sogenannten Waffenlagers bei Wilsum beteiligt, und gehörte ebenfalls zu den Teilnehmer_innen der nun durchgeführten JN-Gründungsveranstaltung in Ehrenburg. Ihm und weiteren Neonazis wurde im abendlichen Ehrenburg der „Treueschwur“ abgenommen. Während einer bizarren Zeremonie im Fackelschein leistete Fabian Witte seinen Eid auf „Vaterland“ und „Volksgemeinschaft“. Der derzeitigen Landesvorsitzende der „Jungen Nationaldemokraten“ in Niedersachsen, Julian Monaco aus Delmenhorst, leitete die Vereidigung in deren Verlauf die Namen der einzelnen Mitglieder des „JN Stützpunktes Osnabrück / Osnabrücker Land“ aufgerufen wurden. Diese antworteten mit einem markigen „Hier“. Bevor die anwesenden Neonazis, zum Ende der schaurigen Veranstaltung aufgefordert wurden, „ihre Fackeln dem Feuer zu übergeben“, wurde Christian Fischer, als Anführer des neu gegründeten JN-Stützpunktes, die obligatorische JN-Fahne ausgehändigt.

Während das niedersächsische Innenministerium noch vor wenigen Wochen die Gefahren zurückwies, die Neonaziszene könnte nun die Strukturen der „Jungen Nationaldemokraten“ als „Auffang – oder Nachfolgeorganisation der verbotenen HDJ“ nutzen, offenbarte sich in Ehrenburg ein anderes Bild. Inwieweit sich das Ministerium unter Innenminister Uwe Schünemann von der Realität einholen lässt, wird allerdings die Zukunft zeigen müssen. Derweil wird das braune Treiben fortgesetzt.